Die MedTech-Zulieferindustrie ist vielfältig. Zu ihr zählen Spezialist:innen für Materialentwicklung ebenso wie Hersteller von Komponenten sowie Anlagen- und Maschinenbauer:innen. Die COMPAMED-Messe, die zeitgleich zur MEDICA jeden November in Düsseldorf stattfindet, zeigt die Schlag- und Innovationskraft der Zulieferer-Branche. Die Firmen tragen dazu bei, dass die Produkte der MedTech-Firmen höchste Qualitätsmaßstäbe erfüllen und dem Gesundheitswesen verlässlich zur Verfügung stehen.
Zusammenarbeit auf Augenhöhe
© Freudenberg
„Die Zusammenarbeit zwischen Zulieferern und MedTech-Herstellern ist durchaus eng“, sagt Rüdiger Gall, Stellvertretender Sprecher des BVMed-Fachbereichs „Zulieferer“ sowie General Manager und Vice President Business Development SC EMEA & Global Pharma bei Freudenberg Medical Europe. Der Grad an Unterstützung variiert dabei erheblich. „Manche Hersteller kommen mit einer einfachen Zeichnung zu uns und wir unterstützen komplett vom Erstkonzept über die Entwicklung bis hin zur Zulassung.“ Hier sei eine frühzeitige Beratung und Selektion wichtig, um von vornherein nur in Produkte zu investieren, die gute Marktchancen haben. „Andere Kunden haben schon konkrete Konzepte. Da helfen wir etwa bei der Auswahl geeigneter Materialien und passen gemeinsam das Design so an, dass große Stückzahlen wirtschaftlich produziert werden können.“ Große Hersteller hingegen übermitteln in der Regel bereits fertige Spezifikationen, die dann 1:1 umgesetzt werden. Dort sei die Rolle der Zulieferer eher ausführend, gemeinsame Diskussionen beträfen eher Details wie die Prozessoptimierung.
Dabei sind viele Zulieferer auch selbst Entwickler. Sie haben eigene Systemkomponenten auf dem Markt, die von Herstellern übernommen und ohne größere Anpassungen in Produkte integriert werden können. Rüdiger Gall nennt das Beispiel eines Kathetergriffs, der von einem Zulieferer angeboten werden kann. Hersteller können diesen für ihre Katheter nutzen und sparen dadurch erheblich an Zeit und Ressourcen in der Entwicklungsarbeit sowie auch im Zulassungsprozess. Im Materialbereich hat sein Unternehmen ein Silikonpad entwickelt, das leitfähig ist. „Silikon ist ja eigentlich ein Isolator. Aber für einen Kunden haben wir ein Pad entwickelt, das kleine Stromimpulse abgeben kann.“ Die Innovation wird in einem Mundstück genutzt, das tagsüber für jeweils 15 Minuten angewandt wird und Stromimpulse an die Zunge abgibt. So baut sich die Zungenmuskulatur auf und nächtliches Schnarchen wird reduziert.
© VDMA
Niklas Kuczaty, Sprecher des Fachbereichs Zulieferer beim BVMed und Geschäftsführer der AG HealthTech im Maschinenbauverband VDMA, nennt noch einen weiteren wichtigen Typ von Zulieferer: „Unsere Unternehmen beim VDMA entwickeln und liefern Anlagen und Maschinen, um MedTech-Produkte überhaupt produzieren zu können.“
Das reiche von Massenprodukten wie Spritzen oder Verbänden bis hin zu sehr spezifischen Geräten für die teilautomatisierte Produktion von Implantaten. Auch hier sei die Absprache zwischen den Zulieferern und den Herstellern sehr eng, teils werden neue Maschinen für die Fertigung von Komponenten oder ganzen Medizinprodukten eigens entwickelt.
Vertrauen unerlässlich
Die Beispiele verdeutlichen auch: Die Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Zulieferern ist höchst vertrauensvoll. Rüdiger Gall: „Die Branche ist hochinnovativ und lebt von der Entwicklung neuer Produkte. Beide Seiten verfügen über Wissen, das geschützt sein will – ob zu Materialien, spezifischen Komponenten oder auch Herstellungsverfahren.“ Man arbeite Hand in Hand und könne sich aufeinander verlassen, das sei besonders wichtig.
„Beide Seiten verfügen über Wissen, das geschützt sein will – ob zu Materialien, spezifischen Komponenten oder auch Herstellungsverfahren.“Rudi GallFreudenberg Medical Europa
Das langjährige Vertrauen zahlt sich besonders dann aus, wenn Spannungen auftreten. Wie zuletzt etwa im Rahmen der Einführung der europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR). Die 2017 in Kraft getretene Verordnung verpflichtet Medizinprodukte-Hersteller zu deutlich umfangreicheren Nachweispflichten, um ihre Produkte in der EU vertreiben zu dürfen. Dies betrifft neben dem Medizinprodukt selbst auch Informationen zu Komponenten, die von Zulieferern beigesteuert werden. Daraus resultierten notwendige Anpassungen im Geschäftsverhältnis zwischen Herstellern und Zulieferern. Der BVMed konnte durch einen intensiven Austausch dazu beitragen, dass Lösungen gefunden wurden, die im Einklang mit den geltenden Anforderungen der MDR stehen und gleichzeitig wirtschaftlich zukunftsfähig sind.
Regulierung mit Augenmaß
Die MDR ist ein Dauerthema für die Branche. Die Politik sei hier deutlich über das Ziel hinausgeschossen, so Rüdiger Gall. Die Folgen sind bereits spürbar. In manchen Bereichen seien bis zu 30 Prozent der Produkte weggebrochen, etwa spezielle Katheter für die Versorgung von Frühchen mit angeborenen Herzfehlern oder Dünn- und Dickdarmsonden in der Pädiatrie. Unternehmen würden insbesondere ältere Produkte aus dem Markt nehmen, weil sich der Aufwand für die erneute Zertifizierung nicht lohnt. Rüdiger Gall: „In den 1980er Jahren reichten wenige Unterlagen, um ein Medizinprodukt zu zertifizieren. Gemäß MDR muss das jetzt alles neu gemacht werden – ein irrer Aufwand für Produkte, die sich über Jahrzehnte bewährt und als sicher erwiesen haben.“
Er führt noch weiter aus: Viele US-amerikanische Hersteller hätten früher ihre Produkte zunächst auf dem europäischen Markt eingeführt, da die Zulassung einfacher als in den USA war. „Wir hatten immer die neuesten Produkte, vor den Amerikanern selbst. Das hat sich seit der MDR komplett gedreht.“ Auch Niklas Kuczaty nimmt wahr, dass die Zahl an Innovationen, die in Europa auf den Markt gebracht wurden, in den letzten Jahren abgenommen hat.
„Die Branche wird wichtiger. Das gilt gerade für Hersteller von Anlagen und Maschinen, wie wir sie bei VDMA HealthTech haben.“Niklas KuczatyVDMA HealthTech
Liefer- und Versorgungssicherheit
Die Branche beschäftigt zudem das Thema Liefer- und Versorgungssicherheit. Die Lieferketten funktionieren aktuell noch gut, doch viele Unternehmen fragen sich, wie lange das noch der Fall sein wird.
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Rüdiger Gall verweist auf geopolitische Unsicherheiten, die größer werden: „Aktuell kann es passieren, dass man von heute auf morgen nicht mehr in die USA – unseren größten Zielmarkt – liefern kann oder aus Zollgründen nicht mehr zu bisherigen Preisen. Das bereitet uns Sorgen.“ Hinzu kommen Abhängigkeiten, insbesondere von Asien. Viele Hersteller versuchen zwar, Lieferketten zu diversifizieren, das hat aber seine Grenzen. So sei es nur schwer zu realisieren, Elektronikkomponenten wie Platinen – die etwa für bildgebende Verfahren, Infusionssysteme oder Herzschrittmacher unersetzlich sind – perspektivisch in Europa zu fertigen. Aus Kostengründen, so Rüdiger Gall, aber auch, weil das Knowhow mittlerweile in Asien sei. Last but not least sind Monopole ein Thema, etwa bei Kunststoffen. Das Problem: Materialien im Gesundheitsbereich müssen aufwändig zertifiziert werden, viele Hersteller scheuen die Investition. Und wird für ein bestehendes Produkt ein neues Material verwendet, muss das gesamte Produkt neu zugelassen werden – nach den umfangreichen MDR-Vorgaben. Rüdiger Gall: „Für Neuentwicklungen kann man das machen, für bestehende Produkte eher nicht.“
MedTech-Branche stärken
Klar ist: MedTech ist eine Schlüsselindustrie für Deutschland und Europa. Beide Experten begrüßen, dass der Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung die Medizintechnik als Leitbranche aufführt. Nun müssten dem aber auch Taten folgen. Rüdiger Gall: „Wir müssen flexibler und schneller werden. Ich staune immer wieder, wie viele neue Unternehmen und Start-ups jedes Jahr in den USA entstehen. Dafür braucht es bei uns mehr Förderung und bessere Rahmenbedingungen.“ Niklas Kuczaty ergänzt: „Wir müssen jetzt wesentliche Entwicklungen vorantreiben, etwa beim Thema Automatisierung.“ Für Europa eröffne sich hier die Chance, wettbewerbsfähiger zu produzieren und so auch wieder mehr Produktion zurückzuholen. Konzepte gäbe es bereits – so habe ein Unternehmen im VDMA etwa eine vollautomatisierte Stent-Linie gebaut –, doch fehlten bislang politische Anreize durch konkrete Fördermaßnahmen und bessere grundsätzliche industriepolitische Rahmenbedingungen.
„Die europäische Politik hat der MedTech-Branche in den letzten Jahren viele Fesseln angelegt, das spüren wir auch als Zulieferer sehr stark“, so Rüdiger Gall. Er sieht den BVMed als wichtigen Player gegenüber der Politik, um auf die Bedeutung und Wünsche der Branche hinzuweisen. „Wir müssen bei den Verantwortlichen deutlich machen, welche Konsequenzen Regelungen wie die MDR in der Praxis haben. Nur so können wir die MedTech-Branche fit machen für die nächsten Jahrzehnte.“