ICD

Herzinsuffizienz: Patienten weiter durch Defibrillator geschützt

DÄ Online vom 18. April 2023

Die Behandlungsfortschritte der vergangenen Jahre haben dazu geführt, dass immer weniger Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz an einem plötzlichen Herztod sterben. Die Notwendigkeit eines implantierbaren Cardioverter-Defibrillator (ICD) wird deshalb zunehmend infrage gestellt. Zu Unrecht, warnte ein Experte auf der 89. Jahrestagung der deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Mannheim, berichtet das Deutsche Ärzteblatt.

Die therapeutischen Möglichkeiten der Herzinsuffizienz haben sich in den vergangenen Jahrzehnten verbes­sert. Die derzeit empfohlenen Medikamente einschließlich ACE-Hemmer, Sartane, Betablocker, Aldosteron­an­tago­nisten und zuletzt Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI) und Gliflozine (SGLT-2-Hemmer) haben die Prognose der Patienten soweit gebessert, dass der Nutzen eines zusätzlichen ICD infrage gestellt wird.

Diese Ansicht gründet sich auf einer 2017 von dem schottischen Kardiologen John McMurray im New England Journal of Medicine (2017; DOI: 10.1056/NEJMoa1609758) publizierten Analyse, nach der die Häufigkeit eines plötzlichen Herztods zwischen 1995 und 2014 kontinuierlich zurückgegangen ist. Waren in der RALES-Studie von 1995-98 noch 2,4 % der Patienten in den ersten 90 Tagen an einem plötzlichen Herztod gestorben, betrug die Rate in der PARADIGM-HF-Studie von 2009/14 nur noch 1 %. McMurray stellte die Frage, ob die hohen Kosten für den ICD noch gerechtfertigt sind, zumal der Trend zu weni­ger Todesfällen am plötzlichen Herztod offenbar anhalte, wie eine von McMurray publizierte Grafik suggeriert.

Carsten Israel vom Evangelischen Klinikum Bethel bezweifelt nicht, dass sich die Prognose der Patienten verbessert hat. Den von McMurray errechneten Trend sieht der Chefkardiologe der Klinik jedoch kritisch. So habe es in der RALES-Studie einen deutlichen höheren Anteil an Patienten in den NYHA-Stadium III (ca. 70 %) und IV (ca. 30 %) gegeben als in der PARADIGM-HF-Studie, in der nur 25 % ein NYHA-Stadium III hatten und keiner im Stadium IV war. Da mit dem Schweregrad der Herzinsuffizienz das Risiko auf einen plötzlichen Herztod steige, seien die beiden Studien nur begrenzt miteinander vergleichbar, so Israel.

Plötzlicher Herztod kein seltenes Ereignis

Die Vorhersage, dass das Risiko auf einen plötzlichen Herztod pro Jahrzehnt um 1,2 % sinke, bis es irgend­wann so niedrig sei, dass man es vernachlässigen könne, kann Carsten Israel nicht nachvollziehen. Auch die zuletzt berichtete jährliche Mortalitätsrate von 2,7 % bedeute nicht, dass ein plötzlicher Herztod zu einem seltenen Ereignis geworden ist. „2,7% pro Jahr klingt nicht niedrig, tatsächlich ist der Wert aber extrem hoch“, betonte Israel. Denn ab einem Prozentsatz von 1,2 pro Jahr spreche man von einem hohen Risiko.

Der plötzliche Herztod infolge einer schweren Herzinsuffizienz sei heute noch immer eine der häufigsten Todesursachen überhaupt. Dass der plötzliche Herztod sukzessive seltener wird, bezeichnet der Kardiologe als Mythos.

Israel weist darauf hin, dass auch bei einem niedrigen Ausgangsrisiko ein Cardioverter-Defibrillator (ICD) das Sterberisiko weiter senken kann. Dies zeigte sich auch in einer Analyse der PARADIGM-HF-Studie, die ein Forscherteam (zu dem auch McMurray gehörte) in JACC: Heart Failure (2020; DOI: 10.1016/j.jchf.2020.06.015) publiziert hatte.

ICD-Träger sterben seltener am plötzlichen Herztod

Von den 7.145 Teilnehmenden der Studie, bei denen ein ICD indiziert war – die Fachgesellschaften empfehlen ihn bei einem Abfall der Pumpleistung (LVEF) auf unter 35 % –hatten nur 1.243 auch tatsächlich einen ICD erhalten. In einer Propensity-Analyse, die nur Patienten mit gleichen Eigenschaften gegenüberstellt, waren die ICD-Träger zu 56 % seltener an einem plötzlichen Herztod gestorben.

Den Einwand, dass ein ICD nicht ohne Risiken sei – bei der Implantation kann es zu Infektionen und später zu Kabelbrüchen kommen – lässt Dr. Israel nicht gelten. Das jährliche Risiko auf eine der beiden Komplikationen liege jeweils bei etwa 1 % und das Risiko, dass eine der beiden Komplikationen tödlich verlaufe, nur bei ca. 0,1 %. Dieses Risiko sei deutlich geringer als die Gefahr, dass die Patienten ohne ICD an einem plötzlichen Herztod sterben.

Die fehlerhafte Einschätzung von Nutzen und Risiken ist nach Ansicht von Israel mit dafür verantwort­lich, dass auch in Deutschland, wo europaweit die meisten ICD implantiert werden, weiterhin viele Patienten mit einer Herzinsuffizienz keinen ICD erhalten, auch wenn dies nach den Leitlinien eigentlich indiziert wäre.

„Ein Großteil der Herzinsuffizienz-Patientinnen und Patienten, die von einem Defibrillator profitieren würden, bekommen ihn nicht implantiert, weil die Wahrnehmung des Themas aktuell so fehlerhaft ist“, warnte Israel bei der Kongress-Pressekonferenz.

Medikamentöse Behandlung und ICDs sind keine Konkurrenten, erklärte der Kardiologe. Es seien vielmehr zwei Therapien, die sich gegenseitig ergänzen, weshalb für viele Patienten die Kombination der beiden Therapien die beste Wahl sei, um die Patienten möglichst lange am Leben zu halten.

Quelle: Deutsches Ärzteblatt Online vom 18. April 2023
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