Energieversorgung

Auswirkungen der Gasknappheit auf die Medizinprodukte-Branche

Das oberste Ziel der Medtech-Branche ist es, die Gesundheitssysteme auch in Krisenzeiten mit lebensnotwendigen Medizinprodukten versorgen zu können. Die aktuelle Gasknappheit und eine mögliche Beschränkung des Gasbezugs sind dabei eine große Herausforderung. Denn die Produktion von Medizinprodukten und deren Zulieferprodukten ist energie- und rohstoffintensiv. Bei den zahlreichen Produktionsprozessen werden hohe Temperaturen benötigt. Dabei ist die Branche auf Gas als Brennstoff angewiesen – ohne Alternativen. Die Gasversorgung ist primär bei der Produktion in Reinräumen sowie bei Vorprodukten erforderlich.

Der BVMed hatte sich bereits im April 2022 an das Bundeswirtschaftsministerium und die Bundesnetzagentur gewendet und einen Antrag zur vorrangigen Belieferung mit Gas gestellt sowie um Freistellung von der Anordnung zur Abschaltung der Gasversorgung in der Medizintechnik-Branche gebeten. Denn: die Branche leistet einen wesentlichen Beitrag zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung in Deutschland und gehört somit zur systemrelevanten Infrastruktur der Bundesrepublik Deutschland. Bei Ausfall oder Beeinträchtigung würden Versorgungsengpässe eintreten, die die Produktions- und damit die Sicherheit von Patientinnen und Patienten erheblich beeinträchtigen. Im Sinne der Krisenvorsorge und des Schutzes der Herstellung systemrelevanter Medizinprodukte ist die vorrangige Belieferung mit Gas für die Branche mit besonderen Merkmalen von äußerst hoher Wichtigkeit.

In diesem Beitrag geben wir eine Übersicht zur Energie- und Rohstoffversorgung der Medizintechnik-Branche und beleuchten die Bedeutung der Gasversorgung für die Unternehmen.

Energie- und Rohstoffversorgung in der Medtech-Branche

Die Produktion von Medizinprodukten und deren Zulieferprodukten ist energie- und rohstoffintensiv. Der steile Anstieg der internationalen Öl- und Gaspreise hat zu höheren Energiekosten geführt, die sich auf die Herstellungskosten auswirken. Darüber hinaus sind die weltweiten Rohstoffpreise in die Höhe geschossen. Die Folge: alle Produkte und Waren, die auf diese Materialien angewiesen sind, werden teurer.

Zusätzlich trägt die weltweite Knappheit bei Rohstoffen, die für die Herstellung von Medizintechnik essenziell sind, zu erheblichen Preissteigerungen bei. Beispiele für betroffene Rohstoffe sind Halbleiter, Verpackungsmaterialien, Harze, Kunststoffe und Legierungen.

Der Anteil der Unternehmen, der Energie- und Rohstoffpreise als Risiko angibt, liegt in der Medizintechnik-Industrie nach einer DIHK-Umfrage vom Juni 2022 mit 72 Prozent auf einem neuen Allzeithoch. Die Lage im Gesundheitssektor stellt sich dabei schlechter als in der Gesamtwirtschaft dar.

Die hohen Energie- und Rohstoffpreise haben in der Gesundheitswirtschaft den Fachkräftemangel vom Platz eins der Risikofaktoren verdrängt.

Bedeutung der Gasversorgung in der MedTech-Branche

In der Medizintechnik-Branche und deren Zulieferindustrie gibt es zahlreiche Produktionsprozesse, bei denen hohe Temperaturen benötigt werden. Dabei sind sie auf Gas als Brennstoff angewiesen, ohne dass es dafür kurzfristig einsetzbare Alternativen gibt.

Der BVMed hat sich deshalb bereits im April 2022 an das Bundeswirtschaftsministerium und die Bundesnetzagentur gewendet und einen Antrag zur vorrangigen Belieferung mit Gas gestellt sowie um Freistellung von der Anordnung zur Abschaltung der Gasversorgung in der Medizintechnik-Branche gebeten. Denn: die Branche leistet einen wesentlichen Beitrag zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung in Deutschland und gehört somit zur systemrelevanten Infrastruktur der Bundesrepublik Deutschland. Bei Ausfall oder Beeinträchtigung würden Versorgungsengpässe eintreten, die die Produktions- und damit die Sicherheit von Patientinnen und Patienten erheblich beeinträchtigen. Im Sinne der Krisenvorsorge und des Schutzes der Herstellung systemrelevanter Medizinprodukte ist die vorrangige Belieferung mit Gas für die Branche mit besonderen Merkmalen von äußerst hoher Wichtigkeit.

Dies muss außerdem die gesamte Lieferkette der Medizintechnik-Industrie einschließen. Denn oft ist gar nicht erkennbar, dass Vorprodukte, die über den Handel bezogen werden, in Medizinprodukten genutzt werden.
Gleichzeitig ist von Externen häufig gar nicht erkennbar, dass z. B. die Vorprodukte der Vlieslieferanten oder die Vorprodukte, die über den Handel bezogen werden, in Medizinprodukten genutzt werden.
Auch Sterilisationspartner sind bei der Sterilisierung von Medizinprodukten auf Gas angewiesen und müssen bei der Gasmangellage mitgedacht bzw. prioritär versorgt werden.

Die Unternehmen der Medizintechnik-Branche arbeiten daran, die Energieversorgung in der Produktion trotz der angespannten Lage sicherzustellen. Dazu gehört auch die stellenweise mögliche Umstellung auf alternative Lösungen zur Wärme- und Dampferzeugung in Form von Mietaggregaten, die mit Heizöl betrieben werden.

Von Gasengpässen betroffene MedTech-Bereiche | Beispiele

Die Gasversorgung ist primär bei der Produktion in Reinräumen unentbehrlich. Für die Produktion von Medizinprodukten unter Reinraumbedingungen werden unter anderem Luftentfeuchter eingesetzt. Diese laufen aufgrund der Vorgaben der Good-Manufacturing Practice (GMP) durchgehend, also 24/7. Selbst eine kurzzeitige Unterbrechung würde einen Produktionsstopp bedeuten. Das Wiederhochfahren der Prozesse führt zu einem erheblichen Zeitverzug, da die GMP Vorgaben eingehalten werden müssen. Dies gilt beispielsweise für:
  • die Herstellung von Wundauflagen und Verbandmitteln
  • von OP- und Pflege-Sets
  • die Verarbeitung und Lagerung von Kunststoffteilen zur Schlauchherstellung oder die Verarbeitung von Implantaten
  • Produkte, die nicht auf Vorrat hergestellt werden können (Parenteralia u. a. Parenterale Ernährung, Krebstherapie, Schmerztherapie, Antibiosetherapie, Infusionen bei seltenen Erkrankungen usw.)
  • Gefäßimplantate (Stents und Stent-Grafts) zur Behandlung von Vaskulären und Venösen Erkrankungen (Gefäßverschlüsse)
  • urologische Produkte (Ureter - Schienen, Steinfangkörbchen)

Bei der Produktion von Wundverbänden ist die Klebemassebeschichtung von der Gasversorgung abhängig. Hier gibt es aktuell keine alternativen Energiequellen.

Bei der Produktion von Kompressionsprodukten ist Gas zur Dampferzeugung im Produktionsprozess unentbehrlich. Eine Fertigung auf Lager ist in diesem Produktbereich nicht möglich, da Kompressionsprodukte auf Maße und Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten angepasst sind.

Die Stomaproduktion wäre indirekt von einer Gasmangellage betroffen, da die dort eingesetzten Vorprodukte (Kunststoffe und Vliesprodukte) zum Schmelzen der Kunststoffgranulate ebenfalls hohe Gasmengen benötigen.

Ersatzteile für Maschinen wie z. B. einfache Schrauben oder kleinere Ersatzteile werden regelmäßig über den Handel gekauft. Sind diese nicht verfügbar, so führt selbst das Fehlen einzelner, kleiner Komponenten zum Stillstand der Produktion.

Eine Beschränkung des Gasbezugs hätte in der Medizintechnik-Branche erhebliche Auswirkungen auf Vorprodukte. So ist insbesondere die energieintensive Herstellung von Kunststoffgranulaten oder Glas auf eine gesicherte Gasversorgung angewiesen. Kunststoffgranulate werden beispielsweise für die Produktion von Spritzen, Katheter, Kanülen und medizinischen Schläuchen benötigt.

Infusionsbeutel, Schmerzkassetten und Bolusse, sowie Sekundärverpackungen (Lichtschutzfolie, Überleitsysteme, Etiketten, etc.) sowie Spritzen und Verschlüsse. Des Weiteren die Schlauchsysteme für die Abfüllautomaten. Gerade in dem Bereich der patientenindividuellen Parenteraliaherstellung herrscht bei den in der Produktion verwendeten Rohstoffen bereits jetzt schon eine Mangelwirtschaft, die durch eine eventuelle Gasknappheit noch weiter verschärft werden würde.

Schmiedeteile und Hochleistungskeramiken beispielsweise für Hüftgelenke sind bei der Produktion auf hohe Temperaturen angewiesen. Keramiken für Medizinprodukte müssen beispielsweise eine enorme Festigkeit aufweisen, die dadurch erreicht wird, dass die Produkte im Rahmen des Fertigungsprozesses über lange Zeit hohen Temperaturen ausgesetzt sind. Hierzu ist Gas als Brennstoff unerlässlich.

Bei der Herstellung von PEEK-Implantaten für die Wirbelsäule muss in den Produktionsräumen ein konstanter Temperaturbereich von 20 Grad Celcius eingehalten werden, da sonst bei der Produktion die Maßhaltigkeit nicht mehr gewährleistet werden kann. Die CNC-Fräsprogramme sind pro einzelnes Produkt / Implantat für einen genau definierten Temperaturbereich erstellt, geprüft und freigegeben und können nicht ohne weiteres angepasst werden. Ohne Gasversorgung ist diese spezifische Temperatur nicht zu halten. Die PEEK-Implantate werden zur Qualitätskontrolle vermessen (Messmaschinen mit taktiler Messung). In den Messräumen muss daher ebenfalls ein konstanter Temperaturbereich von 20 Grad Celcius eingehalten werden, da sonst die Messungen falsche Werte liefern und/oder die Maße außerhalb der Spezifikation liegen.

Auch im labordiagnostischen Bereich wird in größerem Umfang Gas für die Erzeugung von Wärme- und Kälteenergie benötigt. Beispielhaft steht hier die Produktion von Nährmedien und Petrischalen für klinische und außerklinische mikrobiologische Untersuchungen im Rahmen der regulären Patientenversorgung. Außerdem sind diese Nährmedien essentiell für die die Hygieneüberwachung bei der Herstellung von Medikamenten und Impfstoffentwicklung sowie für die Hygieneüberwachung in der Produktion der Lebensmittelindustrie.

Für die Herstellung von Medikations- bzw. Apothekenautomation im Bereich der Offizin- und Krankenhausapotheken wird Gas bei der Produktion von Ersatzteilen und zur Sicherstellung vorgegebener Raumtemperaturen verwendet. Die Auswirkungen einer Einschränkung der Gasversorgung wären vielfältig.

Weitere Informationen
Aktuelle Informationen zum Thema Gasversorgung für die Medtech-Branche gibt es im Ukraine-Blog des BVMed.
Informationen zu den Kostensteigerungen haben hat der BVMed in einem Factsheet zusammengetragen.
Aktuelle Marktzahlen gibt es im MedTech-Branchenbericht des BVMed.
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