Europäische Regulierungen aus dem EU Green Deal rücken ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit seit 2019 verstärkt in den Fokus. Der 2025 initiierte „EU Clean Industrial Deal“ zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zielt darauf ab, Verwaltungsaufwände durch die gestiegene Nachhaltigkeits-Regulatorik zu reduzieren, mindert jedoch nicht die Bedeutung nachhaltigen Wirtschaftens.
Auch die Unternehmen der MedTech-Branche sind sich ihrer Mitverantwortung bewusst und investieren bei allem wirtschaftlichen Druck in nachhaltigkeitsfördernde Konzepte und Maßnahmen. Die Ansatzpunkte lauten:
- Abfallreduktion und Kreislaufwirtschaft,
- umweltverträgliche Materialalternativen und
- soziale Nachhaltigkeit entlang der Lieferkette.
Für spürbare Effekte braucht es Branchenlösungen, die neben herstellerübergreifender Kollaboration auch andere relevante Akteure wie Krankenhäuser einbeziehen. Und es braucht politische Rahmenbedingungen, die nachhaltige Produktlösungen und deren Skalierbarkeit möglich machen.
SEE-Studie zeigt Handlungsfelder
Der BVMed hat im Jahr 2022 eine SEE-Impact-Studie durchführen lassen, um den ökonomischen, ökologischen und sozialen Fußabdruck der MedTech-Branche entlang der Wertschöpfungskette zu erfassen. Wesentliches Ziel: Bereiche identifizieren, die die größte Hebelwirkung entfalten und daraus wirksame Maßnahmen ableiten.
© BVMed / Michelle Klee
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Neben dem primären Ziel der Gesundheitsversorgung ist die MedTech-Branche ein wichtiger Garant für Wohlstand und Beschäftigung in Deutschland. Der gesamte ökonomische Fußabdruck – inklusive direkter, indirekter und induzierter Effekte – beläuft sich auf über 41 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung und mehr als 450.000 Beschäftigte.
Im Vergleich zu anderen Branchen wie der Textilwirtschaft oder dem Maschinenbau emittiert die MedTech Branche hierzulande deutlich weniger Treibhausgase und produziert „upstream“ (vorgelagerte Wertschöpfungskette) in der Lieferkette weniger Abfall als die anderen Branchen, die die Studie betrachtet hat. Sieht man indes genauer hin, entsteht ein differenzierteres Bild. So entstehen 60 Prozent der Emissionen und 80 Prozent des Abfalls der MedTech-Branchen in den globalen Lieferketten. Abfälle von Medizinprodukten, die „downstream“ (nachgelagerte Wertschöpfungskette) in deutschen Kliniken oder Praxen anfallen – etwa Einwegverpackungen von sterilen Produkten wie Spritzen –, sind in dieser Studie nicht einberechnet, da die Methodik diese Datenerhebung nicht hergab. Es besteht noch Handlungsbedarf hinsichtlich Downstream-Studien.
Komplex ist auch der soziale Bereich. Standards etwa im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz unterscheiden sich je nach Land. Hierzulande sind diese höher als in anderen Ländern, in denen Medizinprodukte oder Zubehör produziert werden.
“Wir sehen unsere Verantwortung“, sagt Denise Brecht, Managerin Government Affairs bei B. Braun und Sprecherin des BVMed-Arbeitskreises Nachhaltigkeit (ESG). Seit Jahren engagieren sich MedTech-Unternehmen und es gibt bereits zahlreiche Leuchtturmprojekte etwa zu Abfallreduktion, der Nutzung erneuerbarer Energien in der Produktion oder der Förderung sozialer Projekte. „Doch die faktische Illustrierung des Branchenfußabdrucks durch die SEE-Studie und die verstärkte Regulatorik durch den EU Green Deal haben Unternehmen dazu bewegt, das Thema Nachhaltigkeit systematischer und datenbasierter anzugehen.“
Kernbereiche von Nachhaltigkeit
So hat der BVMed – abgeleitet von den Ergebnissen der SEE-Studie – drei Kernbereiche definiert, in denen konsequent Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit entwickelt und umgesetzt werden sollen:
- Abfallvermeidung und Kreislaufwirtschaft: Steril verpackte Medizinprodukte sowie Einwegartikel sind für die Sicherheit der Patient:innen nötig, verursachen aber tagtäglich tausende Tonnen Abfall. Unter anderem aus regulatorischen Gründen wird dieser Abfall derzeit noch vorwiegend verbrannt. Die MedTech-Hersteller entwickeln recyclebare Verpackungskonzepte und erarbeiten Branchenlösungen für Rücknahmestrukturen. Zusätzlich reduziert die Umstellung auf elektronische Gebrauchsanweisungen (eIFU) den Einsatz von Papier erheblich und vermeidet so weitere Verpackungsabfälle.
- Sozialer Impact: Die MedTech-Branche bezieht Material und Vorprodukte weltweit. Über ESG-Anforderungen in der Lieferantenauswahl und Auditierungen nehmen die Unternehmen Einfluss auf weltweite Zulieferer mit dem Ziel, dass auch in der globalen Lieferkette hohe Mindestanforderungen in Sachen Arbeits- und Gesundheitsschutz gewährleistet sind.
- Chemikalien und Stoffpolitik: Um anwendungsbezogene Eigenschaften wie Stabilität oder Biokompatibilität zu gewährleisten, kommt in der Entwicklung von Medizinprodukten eine Vielzahl an chemischen Stoffen zum Einsatz, die bereits heute streng reguliert sind. Zur Erfüllung der branchenspezifischen Anforderungen an die Patient:innensicherheit sind die Materialalternativen für Medizintechnikhersteller begrenzt. Doch die Unternehmen forschen in Zusammenarbeit mit Zulieferern an innovativen Materialien und Verfahren, welche die Möglichkeiten für sichere und zugleich nachhaltige Produktlösungen ausweiten
„Die faktische Illustrierung des Branchenfußabdrucks durch die SEE-Studie und die verstärkte Regulatorik durch den EU Green Deal haben Unternehmen dazu bewegt, das Thema Nachhaltigkeit systematischer und datenbasierter anzugehen.“Denise BrechtSprecherin des BVMed-Arbeitskreises ESG
Dazu sind die Mitglieder des BVMed-Arbeitskreises ESG regelmäßig im Austausch, teilen Erfahrungen, entwickeln Konzepte. Aktuelles Beispiel ist ein neuer internationaler Branchenstandard für die Berechnung von Produktlebenszyklus-Analysen (LCA) für Medizinprodukte und Arzneimittel, den der BVMed unter dem Dach des Deutschen Instituts für Normung (DIN)Externer Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab. mitentwickelt. Damit soll der ökologische Fußabdruck von Produkten künftig einheitlich erfasst und vergleichbar werden, um Optimierungshebel systematisch zu identifizieren und Verbesserungen messen zu können.
Denise Brecht: „Bislang werden Produktlebenszyklus-Analysen vor allem dafür eingesetzt, unternehmensintern Optimierungspotenziale zu analysieren und auf der Basis von Daten zielgerichtet Verbesserungsaktivitäten einleiten zu können. Aber durch unterschiedliche Berechnungsmethoden und fehlende Normen sind diese Werte bislang nicht vergleichbar und somit auch wenig nutzbar für Einkaufsentscheidungen in Kliniken. Standardisierung soll das ändern.“ Die Entwicklung erfolgt zunächst auf DIN-Ebene in Deutschland, perspektivisch ist ein internationaler ISO-Standard geplant. „Wir gehen in der Entwicklung eines Branchenstandards voran, unternehmensübergreifend und in Kollaboration mit Fachexpert:innen seitens Klinik, Forschung und Akademia.“
Zudem zeigt sich die steigende Bedeutung des Themas auch in den Unternehmen selbst. Immer mehr Firmen verankern Nachhaltigkeit in ihrer Unternehmensstrategie und stellen Personal dezidiert für dieses Thema ein. Das bestätigt auch die BVMed-Herbstumfrage 2025: So haben im Jahr 2025 bereits mehr als 60 Prozent der Mitglieder eine nachhaltige, ökologisch und sozial verantwortliche Unternehmensführung etabliert – im Vorjahr waren es erst 54 Prozent. Ein ähnlich hoher Anteil setzt Maßnahmen um, um Emissionen zu reduzieren und Ressourcen wie Wasser zu sparen. Mehr als ein Drittel der Unternehmen hat Konzepte für die Kreislaufwirtschaft implementiert, um Abfälle zu reduzieren. Und mehr als 40 Prozent investieren in Forschung und Entwicklung für nachhaltige Produkte und Verpackungen.
Denise Brecht ergänzt: „Als wir den Arbeitskreis ESG beim BVMed ins Leben gerufen haben, war der Zulauf so groß, dass wir gar nicht alle Interessenten aufnehmen konnten.“ Gerade kleine und mittelständische Unternehmen – die über 90 Prozent der Branche ausmachen – profitieren von dem Austausch beispielsweise über Best Practices auf Verbandsebene.
Erhebliche Herausforderungen
Das Engagement und der Wille der MedTech-Unternehmen sind groß. Dabei stoßen die Unternehmen indes an Grenzen, die im Gesundheitssektor noch einmal um einiges enger gesteckt sind als in anderen Branchen. Etwa das Thema Regulatorik, insbesondere die Vorgaben der EU-Medizinprodukte-Verordnung, kurz: MDR. Materialien müssen unter anderem biokompatibel sein, verschiedenen Sterilisationsverfahren standhalten und jede Gefahr von Infektion ausschließen. Clara Mailin Allonge, Leiterin des Referats Nachhaltigkeit (ESG) beim BVMed, führt aus: „Die Unternehmen sind teils sehr eingeschränkt in den Materialien, die sie überhaupt nutzen können. Da wird aus einer simpel klingenden Recyclingidee schnell ein mehrjähriges Entwicklungsprojekt.“
© BVMed / Tina Eichner
Clara Mailin Allonge, Leiterin des BVMed-Referats Nachhaltigkeit (ESG)
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Hinzu kommen finanzielle Einschränkungen im Gesundheitssystem. Zwar finden Nachhaltigkeitskriterien immer häufiger Eingang in Ausschreibungen, doch ausschlaggebend ist am Ende immer noch der Preis. Für die Skalierbarkeit von nachhaltigen Produktlösungsangeboten fehlen auch wirtschaftliche Anreize, um in die Entwicklung zu investieren und international wettbewerbsfähig bleiben zu können.
Nicht zuletzt ist die Produktvielfalt in der MedTech-Branche außerordentlich groß. Von Pflastern über Prothesen bis hin zu Herzschrittmachern produzieren die Unternehmen ein breites Spektrum. Die Folge gemäß Clara Mailin Allonge: „Es gibt nicht den einen Optimierungsansatz, der sich auf alle Produktgruppen gleichermaßen anwenden lässt.“ Jedes Unternehmen müsse für sich Lösungen entwickeln. Aber der Austausch im Verband sei sehr wertvoll, um branchenspezifische Herausforderungen zu diskutieren und gemeinsame Lösungsansätze hervorzubringen.
Engagement der Branche flankieren
Klar ist: Um Nachhaltigkeit in der MedTech-Branche voranzubringen, brauchen die Unternehmen auch die Flankierung durch den Gesetzgeber. Clara Mailin Allonge nennt das Thema Abfallmanagement als Beispiel. Unternehmen hätten verschiedene Pilotprojekte zu Rücknahmekonzepten und Recycling gestartet, „aber es fehlen im Gesundheitswesen etablierte Recyclingpfade wie es sie für Privathaushalte etwa mit der Gelben Tonne seit Jahrzehnten gibt. Bildlich gesprochen: Eine Klinik kann nicht für jeden Hersteller einen eigenen Abfallbehälter aufstellen. Da braucht es einen Systemansatz.“ Dafür wiederum fehlen einheitliche Prozesse und Standards, die es zunächst aufzubauen gilt – in Kollaboration mit Kliniken, Entsorgungsdienstleistern und letztlich auch der Politik für unterstützende regulatorische Rahmenbedingungen.
„Wenn wir Ressourcen und Emissionen im Gesundheitswesen einsparen, tragen wir auch dazu bei, dass die Menschen gesünder bleiben, seltener behandelt werden müssen – und das Gesundheitssystem insgesamt weniger belastet wird.“Clara AllongeNachhaltigkeitsexpertin des BVMed
Ein zweiter Bereich sind Vorschriften und Berichtspflichten, die für die Unternehmen in den letzten Jahren massiv zugenommen haben. Oftmals stünden Aufwand und Nutzen in keinem Verhältnis, sagt Clara Mailin Allonge. Teils müssten dieselben Informationspunkte in verschiedenen Kanälen doppelt berichtet werden, etwa gemäß der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) sowie der Europäischen Lieferkettenrichtlinie (CSDDD). Sie sieht aber auch ein wachsendes Bewusstsein dafür in der Politik. Mit dem EU Clean Industrial Deal von 2025 hat die Europäische Kommission einen sogenannten „Nachhaltigkeits-Omnibus“ initiiert zum Abbau von administrativen Aufwänden bei überlappenden Anforderungen aus unterschiedlichen Gesetzen. Bürokratieabbau hilft, um Ressourcen für Projektaktivitäten freizumachen, die tatsächlich auf die Stärkung von Umweltschutz und Sozialstandards einzahlen.
Denise Brecht ergänzt: „Aktuell beobachten wir aber auch eine enorme Volatilität der Nachhaltigkeitsgesetzgebung seitens der EU, wie zuletzt am Beispiel der EU-Entwaldungsverordnung (EUDR).“ Dies erschwere langfristige Planung und schaffe Ineffizienzen bei der Umsetzung von Anforderungen. Gerade für kleinere Unternehmen sei es extrem herausfordernd, die Regulatorik in ihrer Dynamik und Komplexität zu monitoren und branchenspezifische Implikationen abzuleiten. „Es muss noch viel getan werden, gerade bei der Synchronisierung von nationalen Gesetzgebungen, die teils noch sehr unterschiedlich sind und dringend vereinheitlicht werden müssen. Die Verbandsarbeit ist hierbei eine wichtige Stütze.“
Klimaschutz ist Gesundheitsschutz, denn Klimawandel und Gesundheit sind eng miteinander verknüpft: Krankheitsbilder, die auf Umweltverschmutzung zurückzuführen sind, nehmen zu – etwa Atemwegserkrankungen oder Herz-Kreislauf-Probleme. „Wenn wir Ressourcen und Emissionen im Gesundheitswesen einsparen, tragen wir auch dazu bei, dass die Menschen gesünder bleiben, seltener behandelt werden müssen – und das Gesundheitssystem insgesamt weniger belastet wird“, fasst Clara Mailin Allonge zusammen. „Das allein sollte uns Anreiz genug sein, das Thema voranzutreiben.“
Hier gibt es eine Übersicht zu Initiativen aus der Branche und von einzelnen Unternehmen.




