- Inkontinenz Mehr als nur ein Hilfsmittel – wie gute Inkontinenzversorgung das Leben erleichtert Experteninterview mit Juliane Pohl auf pflege.de
Viele Menschen mit Inkontinenz erhalten nicht die Unterstützung, die sie brauchen – vor allem im häuslichen Bereich. Scham, Unsicherheit, bürokratische Hürden, mangelnde Aufklärung und eine standardisierte Versorgung nach „Schema F“ erschweren Betroffenen und Pflegenden den Alltag. Juliane Pohl vom Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) erklärt im Interview mit pflege.de, was eine gute Inkontinenzversorgung ausmacht – und warum der individuelle Blick dabei entscheidend ist.
ArtikelBerlin, 16.06.2025
© BVMed / Tina Eichner
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Guten Tag Frau Pohl, bevor wir ins Thema einsteigen – für alle Leserinnen und Leser, die den BVMed noch nicht kennen: Was genau ist und macht der Bundesverband Medizintechnologie e. V.?
Juliane Pohl: Der BVMed ist die Interessenvertretung der Medizintechnologie-Branche in Deutschland. Wir vertreten über 300 Hersteller, Zulieferer, Händler und Homecare-Versorger, die Patient:innen mit medizinischen Hilfsmitteln und Dienstleistungen versorgen – zum Beispiel im Bereich Inkontinenz.
Wir sehen uns als Brücke zwischen Industrie, Politik und dem Gesundheitssystem. Unser Ziel ist es, die Versorgung mit Medizinprodukten weiterzuentwickeln – und für Patient:innen sowie Anwender:innen in Klinik, Praxis und Pflege zu verbessern.
Sie leiten beim BVMed das Referat Ambulante Gesundheitsversorgung. Was sind Ihre Aufgaben in dieser Funktion – insbesondere mit Blick auf das Thema Inkontinenzversorgung?
Juliane Pohl: Innerhalb des BVMed beschäftige ich mich mit der Verbesserung der ambulanten Gesundheitsversorgung, also im häuslichen Bereich – ein Aspekt ist dabei auch die Versorgung von Menschen mit Inkontinenz.
Zwei Fachgremien innerhalb unseres Verbands beschäftigen sich speziell mit Inkontinenz – einerseits mit aufsaugenden, andererseits mit ableitenden Hilfsmitteln.
Wofür setzen sich die beiden Fachgremien konkret ein?
Juliane Pohl: Trotz unterschiedlicher Anforderungen haben beide das gemeinsame Ziel: die Versorgung der Betroffenen zu verbessern – durch individuelle, bedarfsgerechte und würdige Versorgung.
Ein zentrales Anliegen ist hier die Enttabuisierung. Viele Menschen schämen sich für ihre Inkontinenz oder sind unzureichend aufgeklärt, was oft dazu führt, dass sie keine Hilfe suchen – und das, obwohl eine passende Versorgung enorm entlasten kann.
Wir setzen uns dafür ein, dass Betroffene über ihre Rechte, Versorgungsoptionen und Handlungsspielräume informiert sind. Denn: Wer seine Möglichkeiten kennt, kann sich besser für eine qualitativ hochwertige, passende Versorgung einsetzen.
Inkontinenz betrifft in Deutschland Millionen Menschen und ist dennoch oft ein Tabuthema. Warum ist öffentliche Aufklärung aus Ihrer Sicht so wichtig?
Juliane Pohl: Es ist wirklich traurig, dass wir beim Thema Inkontinenz selbst noch im Jahr 2025 von einem Tabu sprechen müssen. Und das, obwohl fast jede zweite Frau ab 50 damit in Berührung kommt.
Nach wie vor wird darüber immer noch zu wenig in der Öffentlichkeit gesprochen. Und das hat Folgen: Rückzug, Isolation, manchmal sogar Depression oder Suizidalität. Aber auch die Auswirkungen auf die Gesetzliche Krankenversicherung und Volkswirtschaft sind erheblich. Hier muss sich also endlich etwas bewegen.
Daher begrüßen wir Projekte wie die Inkontinenz-Aktionswoche sehr. Einige unserer Mitgliedsunternehmen haben – vor mittlerweile elf Jahren – die Initiative Faktor Lebensqualität ins Leben gerufen, deren Ziel es ist, die Bedürfnisse der Menschen mit Inkontinenz und Stoma ins Bewusstsein der Öffentlichkeit und Politik zu rufen.
Wir informieren über die Rechte der Menschen, machen auf Versorgungsprobleme aufmerksam und unterstützen so die Teilhabe Betroffener.
Wie bewerten Sie die aktuelle häusliche Versorgungssituation mit aufsaugenden Hilfsmitteln bei Inkontinenz?
Juliane Pohl: Aus unserer Perspektive ist die häusliche Versorgung im Bereich der aufsaugenden Inkontinenz-Hilfsmittel grundsätzlich gut aufgestellt.
Nichtdestotrotz decken die aktuellen Erstattungsbeträge nur die medizinisch notwendige Versorgung ab. Dabei bleiben individuelle Versorgungsmöglichkeiten anhand der Bedarfsprofile von Betroffenen oftmals auf der Stecke.
Gerade bei den aufsaugenden Inkontinenz-Hilfsmitteln wird oft nach dem Prinzip „eine Lösung für alle“ versorgt – also mit Standardprodukten, ohne individuelle Anpassung. Der Grund dafür sind die sehr niedrigen Erstattungsbeträge der Krankenkassen.
Aus unserer Sicht müssten daher die unterschiedlichen Bedarfe der Betroffenen – wie ambulanter Selbstversorger, chronisch Kranke, mehrfach behinderte Betroffene oder Betroffene in stationären Pflegeeinrichtungen – deutlich besser berücksichtigt und auch erstattet werden.
Und wie steht es um die häusliche Versorgung mit ableitenden Hilfsmitteln bei Inkontinenz?
Juliane Pohl: Auch im Bereich der ableitenden Inkontinenz-Hilfsmittel sehen wir aktuell grundsätzlich eine gute Versorgung. Patient:innen erhalten passende Produkte wie Katheter oder Kondomurinale, die eine selbstbestimmte Versorgung zu Hause ermöglichen.
Aber es gibt auch Herausforderungen: Zum Beispiel sollen Ballonkatheter im Hilfsmittelverzeichnis gestrichen werden und künftig nur noch ärztlich eingesetzt werden dürfen. Das birgt aus unserer Sicht Risiken: Die häusliche Versorgung wäre dadurch eingeschränkt – für viele Menschen ist ein Praxisbesuch zum Katheterwechsel schlicht nicht machbar.
Zudem käme es zu einer unnötigen Belastung der ohnehin überlasteten Arztpraxen, möglicherweise auch zu mehr Krankenhausaufnahmen. Nicht zuletzt wäre dies ein Einschnitt in die Selbstbestimmung der Betroffenen. Moderne Versorgung soll eigentlich genau das Gegenteil erreichen: mehr Eigenständigkeit.
Insgesamt begleiten wir diese aktuelle Entwicklung daher mit großer Skepsis. An diesem Bespiel wird deutlich: Es braucht dringend einen realistischen, praxisnahen Dialog mit den Kostenträgern und politischen Entscheidern, um praxistaugliche Lösungen zu finden, die sowohl medizinisch sinnvoll als auch im Sinne der Betroffenen tragfähig sind.
Was ist aus Ihrer Sicht ein wichtiger Knackpunkt in der Hilfsmittelversorgung bei Inkontinenz?
Juliane Pohl: Ein großes Problem ist, dass die Hilfsmittelversorgung oft rein kostengetrieben betrachtet wird. Dabei werden wir nicht müde zu betonen: Es ist wichtig, den Nutzen einer guten Versorgung im Ganzen zu sehen – was bringt sie für die Patient:innen, für die ambulante Versorgung und für die Gesellschaft und Wirtschaft insgesamt?
Ein gutes Beispiel ist eben die Hilfsmittelversorgung. Sie hilft jeden Tag Millionen Menschen dabei, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen – wenn die Hilfsmittel gut passen und von guter Qualität sind.
Eine gute Inkontinenzversorgung verbessert die Lebensqualität, ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe, fördert die Selbstständigkeit und verhindert Folgekosten durch Komplikationen. Dafür braucht es individuelle Lösungen statt pauschaler Standardprodukte.
Welche Rolle spielen Homecare-Unternehmen und andere Leistungserbringer in der täglichen Versorgung von Menschen mit Inkontinenz?
Juliane Pohl: Eine ganz zentrale. Spezialisierte Homecare-Unternehmen und andere Leistungserbringer liefern nicht nur die Produkte – sie beraten auch individuell, kümmern sich um die Versorgung mit Mustermaterial zum Testen, passen die Hilfsmittel an und schulen in der Anwendung. Durch ihre Expertise und Erfahrung tragen sie also maßgeblich zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung bei.
Gerade bei ableitenden Hilfsmitteln wie Kathetern ist das essenziell. Fachkräfte helfen Betroffenen, Angehörigen und Pflegenden, eine sichere Routine zu entwickeln – und greifen ein, wenn es zu Problemen wie Infektionen oder Unverträglichkeiten kommt.
Diese individuelle Anleitung erfolgt meist im häuslichen Umfeld und trägt maßgeblich zur Einhaltung des Therapieplans, zur Vermeidung von Komplikationen und zur Förderung der Selbstständigkeit bei.
Auch andere Hilfsmittelleistungserbringer, wie spezialisierte Sanitätshäuser oder Apotheken mit Homecare-Kompetenz, leisten in der Beratung, Schulung und Produktanpassung einen wichtigen Beitrag.
In der Gesamtschau tragen diese Leistungserbringer somit wesentlich dazu bei, eine qualitativ hochwertige, wohnortnahe und patientenzentrierte Versorgung sicherzustellen – gerade bei chronisch kranken oder pflegebedürftigen Menschen.
Viele Patienten und Angehörige sind unsicher, wie die Versorgung mit Inkontinenz-Hilfsmitteln abläuft. Können Sie den typischen Weg kurz erklären?
Juliane Pohl: Gerne. Die Versorgung mit Inkontinenz-Hilfsmitteln gliedert sich in fünf Schritte:
Ärztliche Verordnung: Der erste Schritt ist in der Regel ein Arztbesuch, bei dem die Diagnose gestellt und die Notwendigkeit eines Hilfsmittels festgestellt wird. Der Arzt erstellt eine entsprechende Verordnung. Diese kann ein konkretes Produkt vorsehen, gekennzeichnet durch eine 10-stellige Hilfsmittelpositionsnummer, oder aber eine übergeordnete Hilfsmittel-Kategorie, mittels einer 7-stelligen Hilfsmittelpositionsnummer auf der Verordnung.
Kontakt zum Versorger: Mit der Verordnung wenden sich Patient:innen an einen Hilfsmittelleistungserbringer – beispielsweise an ein Homecare-Unternehmen oder Sanitätshaus. Häufig übernimmt das auch das medizinische Fachpersonal in Kliniken oder Pflegeeinrichtungen bereits im Vorfeld, etwa bei der Entlassung. Wichtig: Die Versicherten haben ein freies Wahlrecht und dürfen aus allen Vertragspartnern ihrer Krankenkasse einen geeigneten wählen. Die Krankenkasse ist zudem verpflichtet, über die Gesamtheit der Vertragspartner sowie über die Versorgungsansprüche zu informieren.
Bedarfserhebung: Im Rahmen einer Fachberatung durch den ausgewählten Hilfsmittelleistungserbringer wird der individuelle Versorgungsbedarf ermittelt – idealerweise in Absprache mit Angehörigen oder der Pflegefachperson. Dabei werden Faktoren wie Mobilität, manuelle Fähigkeiten, Hautzustand, Lebensumfeld und persönliche Präferenzen berücksichtigt.
Produktauswahl und Anleitung: Gemeinsam wird ein passendes Produkt ausgewählt und der betroffenen Person bereitgestellt. Der Hilfsmittelleistungserbringer übernimmt hier auch die Anleitung zur korrekten Anwendung, klärt über Wechselintervalle sowie Hygienemaßnahmen auf und gibt Tipps für den Alltag.
Kontinuierliche Versorgung und Betreuung: Nach der Erstversorgung sorgt der Hilfsmittelleistungserbringer für die regelmäßige Nachlieferung der Hilfsmittel und bleibt bei Rückfragen, Problemen oder Änderungsbedarf erreichbar. Die Versorgung wird bei Bedarf angepasst, beispielsweise bei Unverträglichkeiten oder bei sich ändernden Bedürfnissen.
Dieser strukturierte Ablauf trägt dazu bei, Unsicherheiten abzubauen, Komplikationen zu vermeiden und den Betroffenen eine sichere, würdige und selbstbestimmte Versorgung zu ermöglichen.
Wie läuft die Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen ab? Worauf sollten Betroffene achten?
Juliane Pohl: Die Abrechnung mit der Krankenkasse erfolgt direkt durch den Hilfsmittelleistungserbringer.
Die gesetzliche Krankenversicherung trägt die Kosten „für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung“. Das heißt: Die Versorgung muss zur individuellen Lebenssituation und zum Bedarf passen – darf aber nicht „über das Maß des Notwendigen“ hinausgehen.
Demnach sind Versorgungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen – beispielsweise Aspekte wie verbesserter Komfort, andere Passform, erhöhte Menge – nicht Aufgabe der Krankenkasse. Patient:innen können diese zusätzlichen Anforderungen durchaus wählen, müssen die entstehenden Mehrkosten allerdings selbst tragen.
Wichtig: Diese „wirtschaftlichen Aufzahlungen“ sind nicht mit der gesetzlichen Zuzahlung zu verwechseln – die bei fünf bis zehn Euro liegt. Unter bestimmten Voraussetzungen können sich Patient:innen von der gesetzlichen Zuzahlungspflicht befreien lassen – Stichwort: Zuzahlungsbefreiung.
Gibt es Qualitätsunterschiede bei Inkontinenzprodukten – und woran erkennen Betroffene ein gutes Produkt?
Juliane Pohl: Obwohl alle Produkte im Hilfsmittelverzeichnis gewisse Mindeststandards erfüllen und die Qualitätsanforderungen im Inkontinenzbereich in den vergangenen Jahren angehoben wurden, gibt es durchaus Unterschiede.
Grundsätzlich haben wir keine schlechten Produkte mehr im Hilfsmittelverzeichnis. Die Produktgruppe 15 „Inkontinenzhilfen“ ist auf dem aktuellen Stand der medizinischen Möglichkeiten.
Dennoch gibt es Qualitätsunterschiede bei Inkontinenzprodukten – sowohl im Bereich der aufsaugenden als auch der ableitenden Hilfsmittel. Diese Unterschiede betreffen unter anderem:
- Materialbeschaffenheit
- Handhabung
- Hautverträglichkeit
- Saugvolumen
- Tragekomfort
- Passform
- Geräuschentwicklung
- Diskretion
- Handhabung
- Verfügbarkeit in unterschiedlichen Größen und Varianten
Hier entscheidet die medizinische Notwendigkeit über den individuellen Versorgungsanspruch.
Alle zugelassenen Inkontinenzprodukte müssen bereits bestimmte gesetzliche Anforderungen erfüllen. Darüber hinaus lohnt sich ein Blick auf Zusatzkriterien wie dermatologische Tests, Nachhaltigkeit oder besondere Materialeigenschaften.
Gerade bei dauerhaftem Gebrauch sind hochwertige Produkte entscheidend für die Lebensqualität der Betroffenen. Sie tragen zur Vermeidung von Hautirritationen, Verletzungen, Infektionen und anderen Komplikationen bei und fördern gleichzeitig Mobilität, Selbstständigkeit und soziale Teilhabe.
Welche Faktoren sind entscheidend, damit Betroffene ein geeignetes Produkt erhalten?
Juliane Pohl: Damit Patient:innen ein passendes und qualitativ hochwertiges Produkt erhalten, sind folgende Punkte wichtig:
- Eine individuelle Bedarfserhebung durch geschulte Fachkräfte
- Die Möglichkeit, verschiedene Muster zu testen
- Eine regelmäßige Überprüfung durch Fachberater:innen mit Blick auf die aktuelle Bedarfssituation und eventuelle Anpassung der Versorgung
- Ehrliche Kommunikation mit dem Leistungserbringer, sofern ein ausgewähltes Produkt nicht dem Bedarf entspricht, damit alternative Lösungen gefunden werden können
Qualität und Passgenauigkeit sind kein „Luxus“, sondern Voraussetzung für eine würdevolle und sichere Versorgung. Die Kombination aus fachlicher Begleitung, ehrlichem Feedback der Patient:innen und einer bedarfsgerechten Produktauswahl ist der Schlüssel zur erfolgreichen Hilfsmittelversorgung.
Was raten Sie Betroffenen, wenn die aktuelle Versorgung nicht ausreicht oder Probleme auftreten?
Juliane Pohl: Wir empfehlen in einem solchen Fall folgende Schritte:
Beobachtungen dokumentieren: Führen Sie ein kurzes Protokoll über die auftretenden Probleme – beispielsweise häufiges Auslaufen, Hautveränderungen, Handhabungsschwierigkeiten, Schmerzen, Infektionen oder Einschränkungen im Alltag. Diese Informationen helfen bei der späteren Beurteilung durch Fachkräfte.
Kontakt zum Hilfsmittelleistungserbringer aufnehmen: Die Fachkräfte der Hilfsmittelleistungserbringer sind oft erste Ansprechpersonen bei Versorgungsproblemen. Sie können die Situation vor Ort einschätzen, die Handhabung überprüfen, alternative Produkte vorschlagen oder bei Bedarf eine ärztliche Rücksprache anregen.
Ärztliche Rücksprache: Gerade wenn gesundheitliche Komplikationen wie Infektionen, Blutungen oder wiederkehrende Beschwerden auftreten, sollte unbedingt ärztlicher Rat eingeholt werden. Möglicherweise ist eine medizinische Neubewertung oder ein Wechsel des Versorgungskonzepts notwendig.
Versorgung überprüfen und anpassen lassen: Die Versorgung muss regelmäßig überprüft und bei Bedarf angepasst werden. Ein Hilfsmittel, das einmal gepasst hat, kann im weiteren Verlauf nicht mehr geeignet sein – sei es durch Veränderungen im Krankheitsbild, im Pflegebedarf oder in der körperlichen Verfassung.
Rechte kennen und wahrnehmen: Patient:innen haben Anspruch auf eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, die ihren individuellen Bedürfnissen gerecht wird. Wenn Zweifel an der Angemessenheit bestehen, kann auch eine unabhängige Beratung hilfreich sein – zum Beispiel durch eine Patient:innenberatungsstelle oder die zuständige Krankenkasse.
Nicht jede Veränderung in der Versorgung ist gleichbedeutend mit einem Versorgungsfehler – aber jede Verunsicherung verdient Gehör. Eine rechtzeitige Rückmeldung und die Zusammenarbeit mit erfahrenen Fachkräften können helfen, Probleme schnell zu beheben und die Versorgung wieder an den tatsächlichen Bedarf anzupassen.
Welche politischen oder strukturellen Maßnahmen wären aus Sicht des BVMed notwendig, um die Versorgungslage für Menschen mit Inkontinenz – besonders im ambulanten Bereich – weiter zu verbessern?
Juliane Pohl: Aus unserer Sicht braucht es ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um die Versorgungslage spürbar zu verbessern – besonders im ambulanten Bereich.
Erstens: Mehr öffentliche Aufklärung. Inkontinenz darf kein Tabuthema mehr sein. Menschen müssen wissen, dass sie Anspruch auf Versorgung haben und welche Optionen es gibt.
Zweitens: Eine flächendeckende Versorgung mit hochwertigen Hilfsmitteln. Alle Versicherten müssen gleich gut versorgt werden.
Drittens: Innovationen fördern. Hersteller und Leistungserbringer müssen bei der Entwicklung neuartiger Produkte besser unterstützt werden.
Viertens: Verbesserte Rahmenbedingungen für die ambulante Versorgung. Die Hilfsmittelversorgung ist heute mit enormem bürokratischen Aufwand verbunden – etwa durch wiederholte Dokumentationspflichten oder zahlreiche Unterschriften. Das kostet Zeit, die für persönliche Beratung fehlt.
Und schließlich – ganz zentral: Wir brauchen Versorgungskonzepte, die mehr Raum für Individualität lassen. Die Bedürfnisse von Menschen mit Inkontinenz sind sehr unterschiedlich. Die Hilfsmittelversorgung bei Inkontinenz muss sich stärker am Individuum orientieren, beispielsweise anhand von erweiterten Patient:innen- beziehungsweise Pflegeprofilen.
Herzlichen Dank für dieses Interview, Frau Pohl!
Juliane Pohl ist Leiterin des Referats Ambulante Gesundheitsversorgung beim Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed) und Mitglied im Expertenrat der Deutschen Kontinenz Gesellschaft