Körperstolz

Patientengeschichte Erik Blumhagen

Erik Blumhagen (26) wusste lange nicht, wieso ihn ein Infekt nach dem nächsten erwischte. Seine Ausbildung zum Krankenpfleger brachte ihn auf die richtige Spur: ein Immundefekt. Die regelmäßigen Infusionen, die nötig sind, um sein Immunsystem zu stärken, kann er zu Hause durchführen und so ein vollkommen normales Leben führen. Unterstützt wird er dabei durch seine Homecare-Managerin Enikoe Baum.

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Was machst du gerade und welchem Beruf möchtest du in Zukunft nachgehen?

Aktuell bin ich noch auf der Suche. In ein paar Wochen möchte ich aber wieder in die Pflegeausbildung einsteigen und dann meine Ausbildung zum Pflegefachmann machen.

Und was bereitet dir Freude im Leben?

Gutes Essen, sich mit Freunden treffen und feiern gehen!

Was hast du eigentlich für eine Erkrankung?

Das was ich habe, nennt man einen chronisch variablen Immundefekt der Freiburger Klassifikation Typ I.

Und wie äußert sich diese Krankheit? Was kann man sich darunter vorstellen?

Ohne Therapie bin ich oft krank, also vielleicht drei Lungenentzündungen und sechs Bronchitiden im Jahr. Oft hatte ich auch mit Kehlkopfentzündungen zu kämpfen, so etwas kann auch mehrere Wochen gehen. Vor einiger Zeit habe ich mit dem Infundieren ein bisschen geschlampt, danach hatte ich eineinhalb Monate Probleme mit dem Kehlkopf.

Du gehst gern feiern und bist ein sportlicher Typ. Fühlst du dich durch deine Krankheit eingeschränkt?

Nein, ganz und gar nicht. Wenn ich mich infundiere, so wie es mir mein Arzt verordnet, dann habe ich keinerlei Einschränkungen und kann ein ganz normales und selbstbestimmtes Leben führen. Natürlich kann ich kein halbes Jahr in den Urwald verreisen, weil ich für meine Medikamente immer einen Kühlschrank brauche. Aber zum Beispiel in die USA, das wäre kein Problem.

Durch deine Krankheit ist dein Immunsystem immer geschwächt, wenn du dich nicht infundierst?

Richtig. Natürlich gehört eine gewisse Selbstdisziplin dazu, sich mit dieser Erkrankung auseinanderzusetzen. Wenn man sich selbst nicht motivieren kann oder die Behandlung schwerfällt, dann ist es besser, von der Heimversorgung abzusehen und lieber alle drei bis vier Wochen in die Arztpraxis zu gehen. Dort kann man sich das Mittel auch intravenös geben lassen. Innerhalb von fünf Minuten kann man dann wieder gehen. In der Heimversorgung geht es nicht intravenös, da macht man es subkutan. Das dauert aber. Wofür man in der Klinik vielleicht eine halbe Stunde braucht, benötigt man zu Hause mindestens doppelt so lang.

Und wie lange behandelst du dich schon zuhause?

Das mache ich noch nicht so lang – erst seit zwei Jahren. Beschwerden hatte ich schon jahrelang – man wusste aber nie, was es ist. Man kannte nur die Aneinanderreihung mehrerer Infekte. Gottseidank wurde genau dieses Thema zur gleichen Zeit in der Krankenpflegeschule behandelt. Wir hatten gerade Immunologie und Immunbefunde. Da habe ich meine Hausärztin angestupst, ob man nicht eine immunologische Untersuchung durchführen könnte.

Du bist also von alleine darauf gekommen?

Ja, das kam von mir aus. Dann wurden etliche Tests von einem Onkologen beziehungsweise von einem Hämato-Immunologen durchgeführt. Der Onkologe ist der Facharzt für Krebserkrankungen, und zwei Teilgebiete der Onkologie sind Hämatologie und Immunologie.

Wie hast du dann von deiner Krankheit erfahren?

Wir haben eine Immunglobulinbestimmung gemacht und festgestellt, dass ich kein Immunglobulin A bilden kann.

Kannst du das erklären?

Immunglobulin A bzw. IgA sind Antikörper, die in der Schleimhaut, z. B. in der Nasenschleimhaut und in den oberen und unteren Atemwegen sitzen und die Immunabwehr bei Erregern auslösen. Das funktioniert bei mir gar nicht. Erreger können ganz leicht eindringen – und ich werde krank. IgG sind die Langzeitantikörper. Bei einer Impfung werden gezielt Gedächtniszellen angesteuert, die sich den Erreger merken und viel IgG ausschütten. Ohne Infusion funktioniert das bei mir nicht richtig. Wenn ich mir ein bisschen mehr Immunglobulin G zuführe, dann übernimmt das sozusagen die Aufgaben vom IgA.

Was hat die Diagnose für dich bedeutet?

Meine Ärztin sagte mir, ohne Immunglobulintheraphie hätte ich eine Lebenserwartung von etwa 55 Jahren. Wenn sich durch die ständigen Pneumonien und Bronchitiden das Lungengewebe verändert und es zu einer Überblähung, einem Lungenemphysem, kommt, dann kann es eine Verhärtung geben, eine Lungenfibrose, die dann wiederum zu einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung führt. Im schlimmsten Fall kann sich auch Krebs entwickeln.

Und dann wurde bei dir mit der Immunglobulinbehandlung begonnen?

Richtig.

Zuerst hast du das beim Arzt machen lassen?

Eigentlich hat man mich am Anfang gar nicht behandelt. Erst als ich dann nach Leipzig gezogen bin und wieder beim Onkologen gewesen bin, hat man mich zur Immundefektambulanz überwiesen.

Vor zwei Jahren wurde bei dir mit der Behandlung begonnen – und du bist schnell in die Homecare-Betreuung gewechselt.

Das ist richtig. Erst mussten wir die Spritzenpumpe bei der Krankenkasse beantragen. Die wollten sie anfangs nicht übernehmen. So eine Pumpe kostet ja mehrere Tausend Euro. Als ich dann Widerspruch eingelegt habe, wurde die Spritzenpumpe bewilligt und ich konnte mich mit meiner Homecare-Managerin in der Arztpraxis einweisen lassen. Das war in Leipzig. Anfangs musste es natürlich unter ärztlicher Überwachung angewendet werden, um zu sehen, dass ich auch keine allergische Reaktion habe. Das zweite Mal konnte ich es schon zuhause machen – unter Aufsicht. Später konnte ich mich dann auch allein behandeln. Jetzt sehe ich meine Homecare-Managerin etwa einmal im Quartal.

Welche Rolle spielt deine Homecare-Managerin jetzt bei deiner Versorgung?

Sie organisiert im Grunde genommen alles für mich. Das ist schon ein großer Aufwand. Die Hilfsmittel, die Spritzen, das Medikament an sich – für all diese Dinge muss das Rezept im Krankenhaus abgeholt werden, alles muss in der Apotheke besorgt werden. All das regelt meine Homecare-Managerin für mich. Ich muss eigentlich nur einmal im Quartal meine Überweisung vom Hausarzt zum Klinikum bringen. Alles andere erledigt Enikoe für mich.

Würdest du deine Beziehung zu deiner Homecare-Managerin Enikoe als eine besondere bezeichnen? Ihr kennt euch jetzt ja auch schon sehr lange.

Es ist definitiv ein Vertrauensverhältnis, ja.

Weißt du denn, wie die subkutane Immunglobulintherapie funktioniert? Was passiert dabei mit dir, kannst du das beschreiben?

Bei der Behandlung geht die Infusion direkt ins subkutane Fettgewebe. Das wird auch durchblutet – und die Immunglobuline können in die Kapillare diffundieren. Das Blut wird also mit Immunglobulin angereichert. Im Körper angekommen, hilft das Immunglobulin dann bei der Bekämpfung von Erregern. Wenn ich jetzt mal erkältet bin, dann habe ich ganz leichte Krankheitsverläufe. Ein bisschen Husten, mehr nicht. Die Therapie ist schon sehr effektiv. Wobei ich auch sagen muss, dass ich Glück im Unglück habe. Ich habe einen so genannten einfachen chronisch variablen Immundefekt. Es gibt auch Menschen, die zusätzlich noch Autoimmunerkrankungen haben. CVID ist nicht gleich CVID. Ich muss mir einfach nur Immunglobuline spritzen – dann geht es mir gut.

Durch die Behandlung hat sich deine Lebensqualität sicher extrem verbessert?

Ja, sogar enorm gesteigert. Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn ich Freunden davon erzähle, dann hört sich das für sie immer sehr schlimm an. „Oh der arme Junge, der muss sich jetzt ein Leben lang spritzen.“ Wenn sie sehen, wie ich am Bauch mit meiner Spritzenpumpe verkabelt herumlaufe – das finden meine Freunde immer sehr schockierend. Ich empfinde das gar nicht mehr so. Vielleicht bin ich völlig desensibilisiert was das angeht. Am Anfang war es auch ziemlich schlimm – aber jetzt ist es mir in Fleisch und Blut übergegangen.


Und da ist die Homecare-Betreuung, die dir so viel Arbeit abnimmt, wahrscheinlich sehr wichtig für dich?

Auf jeden Fall. Es würde so viel meiner Zeit in Anspruch nehmen, das alles selbst zu organisieren. Ich bin sehr dankbar, dass ich Enikoe an meiner Seite habe, die mich mit Rat und Tat unterstützt.

Was hat dich dazu bewogen, bei der Kampagne „Körperstolz“ mitzumachen?

Ich habe mir den Flyer durchgelesen, da habe ich gedacht: Klar, wenn ich damit anderen Leuten helfen kann, nach so einer Diagnose trotzdem mit einer gewissen positiven Grundstimmung durchs Leben gehen zu können. Dafür bin ich bereit Gesicht zu zeigen.

Was würdest du jemandem sagen, der gerade seine Diagnose erhalten hat?

Nie in Selbstmitleid versinken. Der Schock muss natürlich erstmal verarbeitet werden. Es kann auch helfen, mit Freunden oder mit einem Arzt darüber zu sprechen. Im schlimmsten Fall kann man natürlich auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Lasst den Kopf nicht hängen, denn gerade mit einer Therapie kann sich die Lebensqualität wirklich wieder sehr stark steigern.

Wie würdest du diesen Satz beenden „Ich bin stolz auf meinen Körper, weil…“

Ich bin stolz auf meinen Körper, weil ich trotz meiner Erkrankung positiv und motiviert, mit Stolz, durchs Leben gehe.

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