Gesundheitspolitik

5-Punkte-Katalog zur Stärkung der Leitmarktfunktion Deutschlands in der Medizintechnik

Rede des BVMed-Vorstandsvorsitzenden Dr. Meinrad Lugan auf der BVMed-Mitgliederversammlung am 11. April 2008 in Berlin

Die Welt der Medizintechnologien ist faszinierend.

  • Implantierbare Medizinprodukte bringen das Herz wieder in Rhythmus.
  • Sie bringen Gelenke zum schmerzfreien Bewegen, Augen zum Sehen, Ohren zum Hören.
  • Neurostimulation gibt bei den verschiedensten Krankheitsbildern chronischen Patienten neue Hoffnung.
  • Neue Verfahren, Implantate, Einmalprodukte oder Hilfsmittel verbessern die Lebensqualität, ja sie retten und erhalten oftmals Leben.


Moderne Medizintechnologien sind aus der Behandlung vieler Krankheiten kaum noch wegzudenken.

Der Umgang mit dem medizintechnischen Fortschritt ist eines der wichtigsten Gestaltungsthemen im Gesundheitsmarkt. Es betrifft die Unternehmen der Medizintechnologie als Teil einer dynamischen und hoch innovativen Branche in besonderem Maße. Denn rund ein Drittel ihres Umsatzes erzielen die deutschen Medizintechnikhersteller mit Produkten, die weniger als drei Jahre alt sind.

Durchschnittlich investieren die forschenden MedTech-Unternehmen rund neun Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung.

Eine große Herausforderung für den BVMed und die Unternehmen der Medizintechnologie ist es, mit Studien und klaren Argumentationslinien die Entscheidungsträger davon zu überzeugen, dass Innovationen im Gesundheitsmarkt nicht nur unter dem Kostenaspekt diskutiert werden dürfen. Wir wollen darauf hinwirken, dass nicht die meist höheren Initialkosten eines neuen Verfahrens isoliert betrachtet werden, sondern die Gesamtkosten eines Behandlungsfalls erhoben und beurteilt werden. Dafür brauchen wir eine verbesserte Datenlage über den Einsatz von Medizintechnologien unter „Alltagsbedingungen“, also in der klinischen und ärztlichen Praxis.

Wir werben für neue Allianzen für Qualität und medizinischen Fortschritt im Gesundheitsmarkt. Wir brauchen mehr Miteinander von Politik, Krankenkassen, Kliniken, Ärzten und Industrie, um eine qualitativ hochwertige Versorgung der Menschen mit Medizintechnologien zu sichern und den medizinischen Fortschritt schnell zum Patienten zu bringen.

Aktuell beobachten wir leider eine Entwicklung in einer völlig anderen Richtung: Bevorzugt wird eine Gleichheit der Unterversorgung gegenüber einem Wettbewerb um Qualität in der Versorgung! Gesundheitsfonds, Bundesverband, monopolistisch getriebene Ausschreibungen sind nur drei Stichworte.

Der BVMed setzt sich für gemeinsame Projekte der MedTech-Unternehmen mit den Krankenkassen und den Ärzten ein, um Kriterien für einen echten Qualitätswettbewerb zu entwickeln und festzuschreiben. Gemeinsames Ziel muss es im Sinne des Patienten sein, damit dem Trend zur Billigmedizin entgegenzuwirken.

Ein positives Beispiel sind die Qualitätsstandards und Leitlinien in der Hilfsmittelversorgung. Auch in der klinischen Versorgung benötigen wir mehr Projekte, um Qualität messbar zu machen.

Der BVMed und die Unternehmen der Medizintechnologie stehen für diesen wichtigen Prozess als konstruktiver Partner und Mitgestalter zur Verfügung.

Meine Damen und Herren,

Medizinprodukte leisten nicht nur einen wichtigen Beitrag für eine effiziente Gesundheitsversorgung, sie sind auch ein bedeutender Wirtschafts- und Arbeitsmarktfaktor. Die Unternehmen der Medizintechnologie leisten einen wichtigen Beitrag für die positive Entwicklung der Gesundheitswirtschaft in Deutschland.

Die Medizintechnikindustrie beschäftigt in rund 1.200 Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten pro Betrieb 90.000 Menschen. Hinzu kommen annähernd 10.000 Kleinunternehmen mit rund 75.000 Beschäftigten. Die Kernbranche beschäftigt damit insgesamt in Deutschland rund 165.000 Menschen in 11.000 Unternehmen.

Der Gesamtumsatz der produzierenden Medizintechnikunternehmen legte in Deutschland 2006 um 8,1 Prozent auf 15,9 Milliarden Euro zu. Der Inlandsumsatz stieg um 3,2 Prozent auf 5,7 Milliarden Euro, der Exportumsatz um 11,1 Prozent auf 10,2 Milliarden Euro.

Die Gesundheitsausgaben im Bereich der Medizinprodukte betrugen in insgesamt über 21 Milliarden Euro. Davon entfallen auf Hilfsmittel rund 10,5 Milliarden Euro und auf den sonstigen medizinischen Bedarf 9,5 Milliarden Euro. Hinzu kommen rund 1 Milliarde Euro für den Verbandmittelbereich, der unter Arzneimitteln erfasst ist.

Deutschland hat in den zukunftsträchtigen Innovationsfeldern der Medizintechnologie durch die große Zahl gut ausgebildeter Ärzte, Forscher und Ingenieure und durch den hohen Standard der klinischen Forschung beste Voraussetzungen, neue Produkte und Verfahren zur Marktreife zu führen.

Wir haben durch die Universitätskliniken und die zahlreichen Kompetenzzentren in der Medizintechnik ein großes Wissen und Potential.

Die Vorteile Deutschlands liegen auch in den kürzeren Zulassungszeiten und in der sehr guten und kostengünstigen klinischen Forschung. In Deutschland kostet es durchschnittlich rund 8 bis 10 Millionen Euro, eine neue Idee zur Marktreife zu bringen. In den USA sind diese Kosten mit rund 80 Millionen Dollar wesentlich höher.

Erhebliche Defizite bestehen in Deutschland allerdings bei der Einführung von Innovationen in die Vergütungssysteme.

Meine Damen und Herren,

wie kann Deutschlands Leitmarktfunktion in der Medizintechnik erhalten und langfristig ausgebaut werden? Wie können die Rahmenbedingungen für die MedTech-Branche wirksamer gestaltet werden? Ich möchte unsere Appelle an die Politik und die Institutionen der Selbstverwaltung in fünf Punkten zusammenfassen:

  1. Wir setzen uns im laufenden Gesetzgebungsverfahren zur künftigen Krankenhausfinanzierung für eine Verbesserung der Innovationsklausel des DRG-Systems ein. Um einen flexibleren und schnelleren Zugang zu medizinischem Fortschritt zu ermöglichen, schlägt der BVMed eine Vereinfachung und Entbürokratisierung bei der Vergütung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach dem Krankenhausentgeltgesetz vor. Entsprechende Formulierungsvorschläge und ein unterstützendes Argumentationspapier haben wir den Gesetzgebungsorganen zur Verfügung gestellt.
  2. Wir setzen uns für die Beibehaltung des Prinzips „Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt“ im Krankenhausbereich ein. Dieses Prinzip ist wichtig für die Innovationskraft der Kliniken und der MedTech-Branche. Viele Innovationen finden zuerst im Krankenhaus ihre Anwendung. Medizintechnologische Innovationen im Krankenhaus werden zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung vergütet, solange keine negative Entscheidung des G-BA vorliegt. An diesem Prinzip muss im stationären Sektor festgehalten werden, um innovative Medizintechnologien in Deutschland allen Patienten, die sie benötigen, ohne Zeitverzögerung zur Verfügung zu stellen.
  3. Wir setzen uns für eine Flexibilisierung der Vergütungsregelungen ein. Wir sind für flexible Zuzahlungsmodelle bzw. Eigenbeteiligung der Versicherten. Wenn wir hier das System öffnen, dann werden die Krankenkassen künftig im Wettbewerb um die schnelle Innovationseinführung stehen. Zu diesem Themenkomplex gehören auch einfache Prozessmaßnahmen, wie sie in der Industrie üblich sind. Wir müssen bei Prozessen wie der Bewertung von Verfahren oder der Überarbeitung des DRG-Katalogs eindeutige Ansprechpartner, Prozesse, Fristen und Evaluationsverfahren definieren. Bei klaren Definitionen haben wir auch die Chance, die Prozesse insgesamt zu beschleunigen.
  4. Wir setzen uns für eine stärkere Qualitätsorientierung im Hilsfmittelbereich ein. Hier gibt es durch die Gesundheitsreform eine grundlegende Änderung der Versorgungsstrukturen. Versorgungsberechtigt sind künftig nur noch Vertragspartner der Krankenkassen, die in der Regel durch Ausschreibungen oder im direkten Verhandlungsweg ermittelt werden. Hier bedarf es der dringenden rechtlichen Klärung, dass Krankenkassen öffentliche Auftraggeber und die Ausschreibung öffentliche Aufträge sind. Bei der Hilfsmittelversorgung, bei der eine individuelle Anfertigung bzw. Anpassung notwendig ist oder mit der ein hoher Dienstleistungsanteil verbunden ist, sind Ausschreibungen kein adäquates Mittel, um schwerstkranke, pflegebedürftige und chronisch kranke Patienten optimiert und qualitätsorientiert zu versorgen.
  5. Wir setzen uns für eine engere Verknüpfung zwischen den Politikbereichen Wirtschaft, Forschung, Finanzen und Gesundheit ein, um die Zusammenarbeit aller zuständigen Ministerien insbesondere bei Studien und Unterstützungsprogrammen für die Gesundheitswirtschaft stärker zu koordinieren.
Mein abschließender Appell:

Wenn wir Innovationen fördern, dabei koordinierter vorgehen und Qualitätsaspekte stärker berücksichtigen, dann werden die MedTech-Unternehmen auch in Zukunft zum Wohle der Patienten ein Motor der Gesundheitswirtschaft sein. Vielfalt im Wettbewerb um Qualität anstatt Einheitsunterversorgung!

Vielen Dank.

Digitales Bild vom BVMed-Vorstandsvorsitzenden Dr. Meinrad Lugan:
http://www.bvmed.de/stepone/data/images/9c/76/00/lugan.jpg
  • Weitere Artikel zum Thema
  • DKG: Nur wenige Krankenhäuser können Energiehilfen abrufen

    Die deutschen Krankenhäuser fürchten das Ausbleiben der vom Bund versprochenen Milliardenhilfe für den Ausgleich der Energiekosten. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) wirft der Bundesregierung grundlegende Planungsfehler bei dem Hilfsprogramm vor: Der Härtefallfonds sei so konstruiert, dass die meisten Fälle schlicht nicht berück­sichtigt würden, sagte der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß. „Die versprochenen sechs Milliarden Euro Hilfen für die Kliniken werden zu reinen Schaufenstermilliarden.“ Mehr

  • Vorschläge des BVMed zur Entlastung und Stärkung der Pflege

    Wir sind überzeugt: Pflegende können durch moderne Medizintechnologien entlastet und gestärkt werden. Dazu haben wir ein Diskussionspapier mit 7 Vorschlägen erarbeitet – für eine bessere Prozessgestaltung, mehr Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sowie die Weiterentwicklung des Berufsbildes Pflege. Hier finden Sie alle Informationen zu #MedTech4Pflege. Mehr

  • Stellungnahme zur Pflegereform | „Vorhandene Homecare-Strukturen und Technologien zur Entlastung der Pflege nutzen“

    Der BVMed plädiert in der Diskussion um die anstehende Pflegereform dafür, die vorhandenen Strukturen der Hilfsmittel-Leistungserbringer und Homecare-Versorger stärker zu nutzen, um die Pflegenden besser zu entlasten und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Es gebe im Homecare-Bereich vorhandene Strukturen sowie qualifizierte und spezialisierte Pflegekräfte, die besser eingebunden werden müssten. Außerdem sollten Technologiepotenziale beispielsweise von digitalen Hilfsmitteln besser eingebunden und unterstützt werden, heißt es in der BVMed-Stellungnahme zum Referentenentwurf des Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes (PUEG). Mehr


©1999 - 2023 BVMed e.V., Berlin – Portal für Medizintechnik