BVMed-Hygieneforum 2025: „Infektionsschutz rettet Leben“
Investitionen in Hygiene und Infektionsschutz zahlen sich aus und spiegeln sich in sinkenden Fallzahlen nosokomialer Infektionen (NI) wider. Der Fallzahlen-Trend ist in Deutschland aber nach wie vor ein anderer. Darauf wies Prof. Dr. Nils-Olaf Hübner, Direktor des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin am Universitätsklinikum Greifswald, auf dem 14. Hygieneforum des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed) am 11. Dezember 2025 hin. Hübner ist seit diesem Jahr wissenschaftlicher Leiter des Hygieneforums. Ein wichtiger Aspekt für ihn ist Desinfektion als Teil der notwendigen Hygienemaßnahmen. Hier müsste Ethanol als wichtiges Mittel auch in Zukunft im Gesundheitswesen uneingeschränkt zur Verfügung stehen.
PressemeldungBerlin, 15.12.2025, 107/25
© BVMed / Manfred Beeres
Bild herunterladen
„Infektionsschutz und konsequente Präventionsansätze sind extrem wichtig. Wir retten damit Leben“, so die Botschaft von BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll. BVMed-Hygieneexpertin Miriam Rohloff wies als Moderatorin des Hygieneforums darauf hin, dass bis zu einem Drittel der behandlungsassoziierten Infektionen (NI) als vermeidbar gilt. Um dies zu erreichen, sind neben einem Bündel an Hygienemaßnahmen die Anstrengungen aller Beteiligten erforderlich: „Wir müssen die Todeszahlen durch gemeinsame Bemühungen senken, die Strukturen punktuell genauer betrachten.“ An dem BVMed-Hygieneforum nahmen vor Ort und virtuell über 600 Gäste vor allem aus dem Bereich der Pflege und Behörden teil.
Prof. Dr. Nils-Olaf Hübner, Direktor des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin am Universitätsklinikum Greifswald und Wissenschaftlicher Leiter des BVMed-Hygieneforums, erinnert an die Aussage von Dr. Ute Teichert vom Bundesgesundheitsministerium aus dem Vorjahr: „Die Stärkung des Infektionsschutzes ist eine wichtige Aufgabe. Die Prävention muss dabei an erster Stelle stehen.“ An diesem Ziel müsse sich die Branche orientieren. Investitionen in Hygiene und Infektionsschutz würden sich auszahlen und in sinkenden Fallzahlen nosokomialer Infektionen (NI) wiederfinden. Die Trends laufen dem Ziel aber immer noch zuwider. Die Zahl der Infektionen und der antimikrobiellen Resistenzen nehmen weiter zu. Immerhin 8 Prozent der Patient:innen in der EU entwickeln eine NI. Das sind 4,8 Millionen NI-Fälle jedes Jahr. So ist beispielsweise jede vierte Sepsis nosokomial bedingt, beruht also auf einer behandlungsassoziierten Infektion. Eine weitere alarmierende Zahl: In der EU bedingen die sechs häufigsten NI-Bereiche mehr Krankheitslast als 32 andere Infektionskrankheiten, inklusive Tuberkulose. Wichtig sind für Hübner zudem geeignete Strukturen im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Das sei auch eine Lehre aus der COVID-19-Pandemie. In den letzten Jahren seien dafür in Deutschland 4 Milliarden Euro investiert worden. Eine wichtige Aufgabe sei hier das Impfen als „ein Eckpfeiler der Gesundheit“. So könne beispielsweise die RSV-Impfung Ausbrüche gut verhindern und die Krankenhauseinweisungen deutlich reduzieren. „RSV ist eine impfpräventable Krankheit mit einer hohen Wirksamkeit gerade auch bei Personen über 60 Jahren“, so Hübners Appell.
Prof. Dr. Christine Geffers, Leiterin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Charité Berlin, stellte die Ergebnisse der „HALT 4“-Studie zu Infektionen in Langzeit-Pflegeeinrichtungen vor. In Deutschland gibt es über 11.000 solcher Einrichtungen. HALT 4 war eine internationale Punkt-Prävalenz-Studie, die auf EU-Ebene vom „European Center for Disease Control“ (ECDC) organisiert und für Deutschland vom Robert Koch-Institut (RKI) begleitet wurde. Die Daten wurden in den Jahren 2023 und 2024 erhoben. Ziel war, die Prävalenz von nosokomialen Infektionen und den Antibiotikaeinsatz in Langzeit-Pflegeeinrichtungen zu messen. Erhoben wurden die Daten mit einem standardisierten Fragebogen. Für Deutschland haben von 1.100 Einrichtungen 56 teilgenommen. Die Erhebungen liefern belastbare Daten zu Infektionsprävention und -kontrolle (IPC) und der NI-Häufigkeit. Der Vergleich mit internationalen Daten zeigt, dass in Deutschland IPC-Strukturen überdurchschnittlich vorhanden sind, aber es bei Impfprogrammen „noch Potenzial in Deutschland gibt“, so Geffers. Eine weitere Erkenntnis: „Wir sind Europameister bei der Händehygiene.“ Auch die Prävalenz von nosokomialen Infektionen sei mit unter 1 Prozent in Deutschland im EU-Vergleich am niedrigsten in diesem Bereich. Zum Vergleich: In Akut-Krankenhäusern liegt die Prävalenz bei 2 bis 3 Prozent.
Prof. Dr. Jörg Janne Vehreschild, Direktor des Instituts für Digitale Medizin und Klinische Datenwissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt, stellte den Forschungsverbund „Fachnetzwerk Infektionen im Netzwerk Universitätsmedizin“ vor. Der Verbund wird vom Bundesforschungsministerium unterstützt und entstand aufgrund der Erfahrungen durch die Corona-Pandemie. Das Fachnetzwerk Infektionen unterstützt klinische und klinisch-epidemiologische Studien im Bereich der Infektionsmedizin und soll dazu beitragen, die Forschungslandschaft in Deutschland nachhaltig zu stärken. „Durch die enge Zusammenarbeit mit universitären Einrichtungen, Forschungsverbünden und Wissenschaftler:innen werden studienrelevante Prozesse in der Infektionsforschung weiter vereinheitlicht und automatisiert“, so Vehreschild. Zentralisierte Plattformen für automatisierte Machbarkeitsanalysen und Patient:innenscreening werden mit einem erweiterten Portfolio typischer Abfragen im Bereich der Infektionen ausgebaut. „Ziel ist es, Studien schneller und effektiver umzusetzen und qualitativ hochwertige Daten und Bioproben für Forschungsprojekte bereitzustellen. Dadurch sollen wissenschaftlich fundierte Entscheidungsgrundlagen für die medizinische Versorgung geschaffen und neue Therapieansätze ermöglicht werden“, so der Wissenschaftler.
Dr. Sebastian Haller vom Robert Koch-Institut (RKI) ging auf das Projekt zur intensivierten und integrierten genomischen Surveillance mit Blick auf antibiotikaresistente Erreger ein. In dem System werden die Datenbanken zu Meldefällen mit Genom-Sequenzdaten und Labor-Metadaten über gemeinsame Identifikatoren verknüpft. Die festgestellten Cluster werden regelmäßig bewertet und priorisiert, um geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Aus den Datenbank-Analysen lassen sich beispielsweise neue Erkenntnisse zu Erregergruppen, Ausbrüchen oder der Verbreitung von Antibiotika-Resistenzen ableiten. Die Eingaben des NI-Geschehens über das Meldesystem sind dafür unabdingbar, so Haller.
Gibt es genug Zeit für Hygiene? Dr. Anne Marcic, Abteilungsleiterin Infektionsschutz des Gesundheitsamtes Kiel, stellte dazu die Ergebnisse einer Analyse der Freistellung von Hygienebeauftragten in Kieler Krankenhäusern vor. Hygienebeauftragte sind Ansprechpartner und Multiplikatoren für Fragen der Hygiene. Sie vermitteln Entscheidungen aus der Hygienekommission in ihre spezifischen Arbeitsbereiche, wirken auf die Einhaltung der Regeln der Hygiene hin und sind Bindeglied zwischen Behandlungs- und Hygieneteam. Zudem unterstützen sie das Hygienefachpersonal. Hygienebeauftragte Ärzt:innen sind entweder Fachärzt:innen oder haben eine mindestens zweijährige Weiterbildung absolviert. Hygienebeauftragte Pflegekräfte müssen über mehrjährige Berufserfahrung verfügen und spezifische Fortbildungen absolviert haben. Die Analyse der Freistellung von Hygienebeauftragten zeigten, dass die Freistellungszeiten nicht mit den jeweiligen Infektionsrisiken korrelieren. Optimierungspotenzial sieht Marcic beispielsweise bei den strukturellen Voraussetzungen für ein funktionierendes Hygienemanagement. Die Funktion der Hygienebeauftragten müsse erkannt und in aktives Handeln überführt werden. Sie müssten nicht allein anlassbezogen, sondern routinemäßig einbezogen werden. „Nur wenn die Rahmenbedingungen tatsächlich stimmen, werden die Aufgaben auch effektiv wahrgenommen“, so das Fazit von Marcic.
Auf die Infektionsprävention in der Neonatologie ging PD Dr. Cihan Papan, Leiter Fachbereich „One Health“ am Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit des Universitätsklinikums Bonn, ein. Infektionsprävention nimmt aufgrund der besonderen Verletzlichkeit von Früh- und Neugeborenen, der häufig notwendigen invasiven Maßnahmen und der oft beengten räumlichen Verhältnisse einen zentralen Stellenwert ein. Eine gewichtige Herausforderung sei das unreife Immunsystem der Früh- und Neugeborenen. Gleichzeitig sei die Evidenzlage speziell für die Neonatologie in vielen Bereichen noch begrenzt, sodass Empfehlungen oft nicht auf hochwertigen, Neonatologie-spezifischen Studien beruhen. Als wesentliche Maßnahmen nennt Papan eine konsequente Händehygiene, die Prävention Katheter-assoziierter Infektionen nach KRINKO-Empfehlungen sowie eine Surveillance-gestützte Anpassung von Präventionsstrategien. Er hebt hervor, dass maßgeschneiderte, am lokalen Bedarf orientierte Hygienekonzepte notwendig sind, um unter realen Bedingungen mit Personalmangel und Arbeitsverdichtung wirksam zu bleiben. Papan fordert eine enge Bündelung der Expertise von Neonatologie und Krankenhaushygiene, um praxisrelevante Lösungen zu entwickeln. Ein weiterer Schwerpunkt ist der gezielte, zurückhaltende Einsatz von Antibiotika zur Vermeidung von Resistenzentwicklung.
Den Notfall Sepsis beleuchtete PD Dr. Matthias Gründling, Oberarzt der Klinik für Anästhesie, Intensiv-, Notfall- und Schmerzmedizin am Universitätsklinikum Greifswald. Mindestens 230.000 Menschen erkranken jährlich in Deutschland an Sepsis, mindestens 85.000 davon versterben. Sie ist eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland. 75 Prozent der Überlebenden leiden an Langzeitfolgen. Nach einer Studie stehen rund 57 Prozent der Sepsis-Fälle mit einer Behandlung in Verbindung. „Das führt zu einem deutlichen Fokus auf das Krankenhaus“, so Gründling. Er plädierte für ein multimodales Präventionsprogramm von zentralvenösen Gefäßkatheter-assoziierten Infektionen zur Prävention von Sepsis im Krankenhaus. So müssten 80 Prozent der Pflegenden in der Erwachsenenbehandlung mit ZVK-Kontakt einmal im Jahr geschult werden. Jede Hygienefachkraft müsse mindestens ein Audit pro Halbjahr durchführen und nachweisen, wobei ein Audit aus der Prüfung von mindestens vier Fällen bestehen müsse. Außerdem sollte es regelmäßige Schulungen zur Erkennung, Risikoeinstufung und Therapie von Sepsis sowie jährliche Schulungen des pflegerischen und ärztlichen Personals geben. „Ein Qualitätssicherungsverfahren Sepsis ist sinnvoll“, so der Experte.
Die Bedeutung von Ethanol für den Infektionsschutz und die industrielle Verwendung betonte Dr. Thomas Rauch, Geschäftsführer des Industrieverbands Hygiene und Oberflächenschutz (IHO). Die sichere Verwendung von Ethanol in Desinfektionsmitteln sei unverzichtbar. Ethanol verflüchtige sich schnell und trockne rückstandsfrei ab. Dies sei ein großer Vorteil beispielweise bei der Schnelldesinfektion von Oberflächen. Außerdem sei Ethanol Ausgangsstoff für viele Anwendungen, beispielsweise in der Synthese vieler Chemikalien oder als Lösungs- und Reinigungsmittel. Ethanol habe zudem eine hohe Sicherheit und Verträglichkeit. So liege die dermale oder inhalative Aufnahme im Rahmen einer Händedesinfektion weit unter toxikologisch relevanten Konzentrationen. Die WHO listet daher Ethanol als unverzichtbaren Wirkstoff für antiseptische Anwendungen. Dennoch gebe es derzeit auf EU-Ebene ein Verfahren zur Einstufung von Ethanol als CMR-Wirkstoff. „Das würde zu einem faktischen Ausschluss von Ethanol führen“, warnte Rauch. Er betonte, dass Ethanol-basierte Biozide „Europas erste Verteidigungslinie gegen Infektionen bleiben“.
Das jährliche BVMed-Hygieneforum richtet sich an Hygieniker:innen und Hygienefachkräfte, Ärzt:innen, Pflege- und OP-Personal, Mitarbeitende in medizinischen Einrichtungen sowie Vertreter:innen aus Politik und Selbstverwaltung.
Alle Vorträge des BVMed-Hygieneforums können unter www.bvmed.de/hygieneforum-2025 abgerufen werden.
Der BVMed stellt über seinen Fachbereich „Infektionsprävention und Infektionskontrolle“ unter www.krankenhausinfektionen.infoExterner Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab. umfangreichen Schulungsmaterialien zum Thema zur Verfügung.


