© BVMed / Tina Eichner
BVMed-Vorstand Stefan Geiselbrechtinger
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„Das deutsche Gesundheitssystem ist nicht besonders gut auf schwere Krisen oder gar einen Krieg vorbereitet“, konstatiert Stefan Geiselbrechtinger. Er ist Geschäftsführer der OPED-Unternehmensgruppe, einem Medizintechnikhersteller aus Bayern, und Mitglied des Vorstands sowie der Taskforce „Zivilschutz und Krisenvorsorge“ im BVMed. „Corona hat die Lücken offenbart – seitdem hat sich allerdings wenig getan.“ So fehle es nach wie vor an Reservekapazitäten für den Ernstfall – sowohl bei medizinischem Personal als auch bei wichtigen Medikamenten und Medizinprodukten – sowie an tragfähigen Konzepten, wie der Mehrbedarf in einer Krise gehandhabt werden kann.
Den Grund sieht er unter anderem im DRG-System: Über Jahrzehnte hätten Kostenaspekte im Mittelpunkt von Reformen gestanden, das Kliniksystem sollte nach Möglichkeit eine 100-Prozent-Auslastung erreichen. „Der Blick auf die Kosten war teils berechtigt und in konfliktfreien Zeiten eine Option – hat aber eben dazu geführt, dass Reservekapazitäten kaum mehr zur Verfügung stehen“. Im Fall einer größeren Krise oder gar einer militärischen Auseinandersetzung sei das ein Problem, so Geiselbrechtinger. „Sollte es – was niemand hofft – wirklich ernst werden, dann brauchen wir von einem Tag auf den anderen Tausende Krankenhausbetten samt Personal zusätzlich, ebenso spezifische Medikamente und Medizinprodukten.“ Dabei verweist er auf die besondere Rolle Deutschlands: Mit wichtigen Militärflughäfen wie Ramstein und Geilenkirchen übernimmt das Land für die NATO eine zentrale Rolle, auch bei der Behandlung verletzter Soldatinnen und Soldaten – die in Krisenzeiten zusätzlich zu den zivilen Patientinnen und Patienten zu behandeln wären.
© B. Friemert
Prof. Dr. Benedikt Friemert
Einen weiteren Aspekt betont Prof. Dr. Benedikt Friemert, leitender ärztlicher Direktor und Kommandeur im Bundeswehrkrankenhaus in Ulm: „Kriegsszenarien erfordern eine ganz andere Medizin als in Friedenszeiten. In ukrainischen Krankenhäusern und Lazaretten werden Tausende Menschen mit schwersten Verbrennungen und Quetschungen, mit Schusswunden und abgetrennten Gliedmaßen behandelt. Das erleben wir – Gott sei Dank – in unserem normalen Klinikalltag praktisch überhaupt nicht.“ Es brauche Personal, das diese Verletzungen medizinisch versorgen kann, Medizinprodukte wie Prothesen, die in großen Mengen verfügbar und rasch anzupassen sind, sowie Reha-Fachleute, die Betroffenen einen Weg zurück in den Alltag ermöglichen. „Das alles haben wir nicht im gebotenen Umfang.“
BVMed entwickelt Konzepte – skalierbar und zivil nutzbar
Der BVMed macht auf die Brisanz des Themas aufmerksam und hat beispielsweise im Juni 2025 die Taskforce „Zivilschutz und Krisenvorsorge“ gegründet. Die Expertinnen und Experten der MedTech-Industrie entwickeln Vorschläge, wie das Gesundheitssystem sich vorbereiten kann. Im Mittelpunkt stehen Konzepte, um Reservekapazitäten für den Notfall aufzubauen und Knappheiten etwa bei Medizinprodukten zu steuern. Stefan Geiselbrechtinger: „Unser Ziel ist, es Strukturen für Notlagen zu etablieren, die zugleich helfen, das Gesundheitssystem insgesamt zu verbessern und etwa auch für den demographischen Wandel resilient zu machen.“
Skalierbarkeit und Dual-Use-Ansatz
Wie kann im Kriegs- oder Krisenfall eine große Zahl an Patientinnen und Patienten angemessen versorgt werden? Die Task Force des BVMed setzt auf skalierbare Strukturen. Drei Beispiele:
- Wundversorgung: Die Versorgung von Wunden ist auch Laien möglich, sofern sie von einer Ärztin oder einem Arzt überwacht werden. Perspektivisch kann ein Pool fachfremder Personen vorgehalten werden, die eine kurze Grundausbildung erhalten und im Akutfall per Telemedizin fachlich angeleitet werden, um Verletzten zu helfen.
- Prothetik: Technisch versierte Fachleute – etwa Schlosser oder Kfz-Mechaniker – können Orthopädietechniker nach kurzer Schulung und unter telemedizinischer Anleitung oder mithilfe von KI-Systemen entlasten und Prothesen anbringen.
- Krankenhausbetten: Um im Krisenfall kurzfristig viele Verletzte in Kliniken versorgen zu können, schlägt die Task Force zwei Ansätze vor. Erstens könnten ausgewählte Kliniken die Steuerung von Patientinnen und Patienten optimieren – erste Ansätze gibt es bereits. Zweitens bieten modulare Feldkliniken die Chance, Krankenhäuser relativ kurzfristig zu entlasten – sei es bei Naturkatastrophen oder kriegerischen Konflikten.