Medizinprodukteverordnung

Whitepaper zur MDR/IVDR-Weiterentwicklung: MedTech-Verbände BVMed und VDGH fordern Abschaffung der Re-Zertifizierung und Fast-Track-Verfahren für Innovationen

Die beiden MedTech-Branchenverbände BVMed und VDGH schlagen in einem gemeinsamen Whitepaper zur Weiterentwicklung der europäischen Medizinprodukte-Verordnung (MDR) und In-vitro-Diagnostika-Verordnung (IVDR) unter anderem die Abschaffung der fünfjährigen Re-Zertifizierungsfrist sowie Fast-Track-Verfahren für Innovationen und Orphan Devices sowie Diagnostics vor. „Wir brauchen mehr Transparenz und Effizienz, mehr Berechenbarkeit und Schnelligkeit, mehr internationale Anschluss- und Wettbewerbsfähigkeit sowie eine gute Verwaltungspraxis“, forderten die beiden Vorstandsvorsitzender Dr. Meinrad Lugan (BVMed) und Ulrich Schmid (VDGH) auf einer gemeinsamen Pressekonferenz. Das ausführliche MDR/IVDR-Whitepaper mit detaillierten Vorschlägen kann unter www.bvmed.de/whitepaper und www.vdgh.de/whitepaper abgerufen werden.

Die EU-Verordnungen MDR und IVDR, die das Inverkehrbringen von Medizinprodukten und Labortests europaweit regeln, seien handwerklich schlecht gemacht, zu kompliziert und bürokratisch – und bremsen damit Innovationen aus, so BVMed und VDGH. Es bestehe breiter Konsens, dass MDR und IVDR eine ungewünschte Verknappung von Produkten in der medizinischen Versorgung verursachen. Ein Drittel der Produkte drohe vom Markt genommen zu werden, bereits jetzt seien viele Produkte nicht mehr auf dem Markt verfügbar. Studien zeigen: MedTech-Unternehmen sind in 65 Prozent der Fälle gezwungen, Entwicklungsressourcen in die Regulatorik zu verlagern – auf Kosten der Innovationstätigkeit. Und 89 Prozent der MedTech-Unternehmen priorisieren mittlerweile die US-amerikanische Zulassung ihrer Produkte, so eine Studie der Boston Consulting Group. „Wir wollen eine zukunftsweisende Reform, die Patientinnen und Patienten sowie dem Innovationsstandort Europa hilft – keine fortwährenden Klein-Klein-Korrekturen“, so Lugan und Schmid: „Die zwei führenden deutschen MedTech-Verbände BVMed und VDGH haben deshalb ein Whitepaper mit Lösungsvorschlägen erarbeitet.“

Neben der Ergänzung des derzeitigen Regulierungssystems setzen sich BVMed und VDGH für mehr Berechenbarkeit und Transparenz der Prozesse, wirksame Rechtsmittel gegen Marktzugangsentscheidungen, eine Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit sowie eine Zentralisierung der Verantwortung ein.

„Wir müssen handeln und MDR und IVDR strukturell weiterentwickeln. Unsere Vorschläge sind praxisorientiert und haben sich in anderen Systemen bereits bewährt. Jetzt ist die richtige Zeit, darüber zu reden, damit wir nach der Europawahl mit der neuen Kommission und dem neuen Parlament zügig konkret werden können“, so BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll und VDGH-Geschäftsführer Dr. Martin Walger.  

Das gemeinsame Whitepaper von BVMed und VDGH schlägt konkrete Lösungsoptionen in fünf Maßnahmenbereichen vor:

1. Ergänzung des derzeitigen Regulierungssystems
Fast-Track-Verfahren (beschleunigte Verfahren) analog zu anderen Rechtsbereichen für
  • innovative Produkte
  • Orphan Devices und Diagnostics for rare diseases
  • Nischenprodukte mit nachgewiesener Erfolgsbilanz

2. Steigerung der Effizienz des Systems
Konsequente Umsetzung der Grundsätze guter Verwaltungspraxis durch
  • planbare Fristen und berechenbare Kosten der Regulierungsverfahren
  • gleicher Zugang für alle zum Regulierungssystem
  • erhöhte Transparenz der Zertifizierungsprozesse auch durch Digitalisierung
  • wirksame Rechtsmittel gegen Marktzugangsentscheidungen
  • bessere Koordinierung paralleler und nationaler Gesetzgebungen

3. Reform des fünfjährigen Re-Zertifizierungszyklus
  • begrenzte Gültigkeitsdauer der Zertifikate von fünf Jahren abschaffen
  • effizienterer und stärker risikobasierter Zertifizierungszyklus, basierend auf Post-Market-Daten
  • IVDR: Selbstzertifizierung von Produkten niedriger Risikoklasse (Klasse B) zur Systementlastung und Wegfall bürokratischer Berichte ohne Patient:innennutzen

4. Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit
  • internationales Ansehen der CE-Kennzeichnung wiederherstellen
  • Internationale Angleichung von Prüfanforderungen (Einbeziehung der EU in das MDSAP-Programm) für Qualitätsmanagement-Systeme der Hersteller
  • Abkommen über die gegenseitige Anerkennung der Zulassungsbedingungen (Mutual Recognition Agreement, MRA) zwischen der EU und der Schweiz sowie UK

5. Zentralisierung der Verantwortung
  • zentrale rechenschaftspflichtige Verwaltungsstruktur einführen
  • Notifizierung und Überwachung der Benannten Stellen europaweit harmonisieren und zentralisieren
  • KMU-Büro zur Unterstützung der KMU auf EU-Ebene einrichten

„Wir wollen gemeinsam mit allen Beteiligten Europa wieder zu einem wettbewerbsfähigen MedTech-Standort machen und überzogene Strukturen aufbrechen sowie gute regulatorische Rahmenbedingungen schaffen – mit Mut und Zuversicht. Dafür fordern wir die europäischen Institutionen auf, mit uns und allen relevanten Akteuren in Deutschland und Europa in einen strukturierten Dialog zu treten, um so schnell wie möglich die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“, so der Schlussappell von Möll und Walger.

Das 64 Seiten starke Whitepaper zur MDR- und IVDR-Weiterentwicklung kann unter www.bvmed.de/whitepaper sowie www.vdgh.de/whitepaper heruntergeladen werden.

Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) repräsentiert über 300 Hersteller, Händler und Zulieferer der Medizintechnik-Branche sowie Hilfsmittel-Leistungserbringer und Homecare-Versorger. Die Medizinprodukteindustrie beschäftigt in Deutschland über 250.000 Menschen und investiert rund 9 Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Der Gesamtumsatz der Branche liegt bei über 38 Milliarden Euro, die Exportquote bei 67 Prozent. Dabei sind 93 Prozent der MedTech-Unternehmen KMU. Der BVMed ist die Stimme der deutschen MedTech-Branche und vor allem des MedTech-Mittelstandes.

Der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) vertritt als Wirtschaftsverband die Interessen von mehr als 120 in Deutschland tätigen Unternehmen mit einem Gesamtumsatz von 6,8 Milliarden Euro im Jahr 2022. Sie stellen Untersuchungssysteme und Reagenzien zur Diagnose menschlicher Krankheiten her, mit denen ein Umsatz von mehr als 3,5 Milliarden Euro erzielt wird, sowie Instrumente, Reagenzien, Testsysteme und Verbrauchsmaterialien für die Forschung in den Lebenswissenschaften, mit denen ein Umsatz von 3,3 Milliarden Euro erwirtschaftet wird.
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