Nachhaltigkeit

WifOR-Studie | BVMed: „Pionierarbeit gibt uns eine gute Standortbestimmung auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Gesundheitswirtschaft“

Der Geschäftsführer des WifOR-Instituts, Prof. Dr. Dennis Ostwald, hat auf der BVMed-Jahrespressekonferenz am 13. Oktober 2022 die Nachhaltigkeitsstudie „SEE-Impact-Study der deutschen MedTech-Branche“ vorgestellt, die vom BVMed-Institut in Auftrag gegeben wurde. „Mit dieser weltweit erstmaligen Studie zum sozialen, ökonomischen und ökologischen Fußabdruck einer Branche schaffen wir die Grundlagen für eine umfassende Nachhaltigkeitsmessung unserer Lieferkette anhand von wichtigen Indikatoren und im Branchenvergleich“, so der BVMed-Vorstandsvorsitzende Dr. Meinrad Lugan. „Die Studie ist eine gute erste Standortbestimmung, die deutlich macht, dass die externen Effekte im Umwelt- und Sozialbereich primär in der indirekten Lieferkette anfallen.“

Es handele sich „um eine echte Pionierarbeit gemeinsam mit dem renommierten WifOR-Institut, das seit über zehn Jahren die Gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung (GGR) im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums durchführt“, erklärt BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Dr. Marc-Pierre Möll. „WifOR und BVMed-Institut setzen mit der Nachhaltigkeitsstudie einen neuen wissenschaftlichen Standard. Wir wollen Schrittmacher auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Gesundheitswirtschaft sein.“

Die SEE-Impact-Study untersucht die gesamte Wertschöpfungs- sowie vorgelagerte Lieferkette der Medizintechnik-Branche und zeigt neben dem ökonomischen auch den ökologischen und sozialen Fußabdruck der Produktionsseite auf. Damit wird erstmalig eine Standortbestimmung einer Branche für die sozialen und ökologischen Faktoren geschaffen, die die Herausforderungen identifiziert und quantifiziert. Hiermit schafft der BVMed für die Branche und seinen Mitgliedsunternehmen einen Orientierungsrahmen für die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie.

Zur Methodik der Studie:

Die Methodik der SEE-Impact-Study beruht auf umfangreichen Vorarbeiten. Dabei stützt sich die Methodologie u. a. auf die güterbezogene Abgrenzung der Medizintechnik-Branche gemäß der Gesundheitswirtschaftlichen Gesamtrechnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Sie ist auch konsistent zu Arbeiten für die WHO und die G20 und ermöglicht darüber hinaus einen kohärenten Branchenvergleich für das Jahr 2020.

Zudem bekennt sich die Studie zum Ansatz der doppelten Materialität, also die Erfassung von sozialen und ökologischen Auswirkungen der Geschäftstätigkeit in der globalen Lieferkette. Diese Methodik wird auch von der „Value Balancing Alliance“ als Standard gesetzt und wird in der SEE-Impact-Study erstmalig für eine Branche empirisch erfasst.

Zur Datengrundlage:

Ein solches Vorhaben bedarf einer umfassenden und einer standardisierten Datengrundlage über fast alle Länder der Welt.

Die Studie fußt vor allem auf öffentlich zugängliche amtliche Statistiken der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung für 5 ökonomische Indikatoren und der öffentlich zugänglichen Umweltökonomischen Gesamtrechnung für 4 ökologische Indikatoren. Die Daten der 3 Indikatoren für soziale Dimensionen basieren auf öffentlich zugänglichen Statistiken verschiedener Organisationen. Die Daten wurden für die Studie auf staatlicher Ebene transparent verknüpft. Sie lassen keine Rückschlüsse auf individuelle Unternehmen zu.

Zu den Kernergebnissen der SEE-Impact-Studie:

Ökonomische Faktoren

Es wurden 5 Indikatoren für den ökonomischen Fußabdruck der deutschen MedTech Branche für die Jahre 2012 bis 2021 durch das WifOR-Institut berechnet. Die wesentlichsten Kennzahlen für die ökonomische Dimension sind Bruttowertschöpfung, Erwerbstätige, Export- und Importtätigkeit sowie die Forschung und Entwicklung der Branche. Die Abgrenzung der Branche orientiert sich an der Begriffsbestimmung der nationalen Branchenkonferenz aus dem Jahr 2005 und ist daher trennscharf zu anderen Branchen.
  • Die Gesundheitsausgaben in Deutschland pro Tag betragen rund 1 Milliarde Euro. Dabei generiert die Gesundheitswirtschaft in Deutschland täglich mehr als 1 Milliarde Euro Bruttowertschöpfung.
  • Mit jedem Euro Bruttowertschöpfung in der MedTech-Branche sind mehr als 1 Euro Bruttowertschöpfung in der Gesamtwirtschaft verbunden. In der Studie konnten außerdem weitere Teilbereiche der Gesundheitswirtschaft wie zum Beispiel die industrielle Gesundheitswirtschaft näher betrachtet werden. Zum Beispiel sind mehr als 1 Million Arbeitnehmer:innen in der industriellen Gesundheitswirtschaft beschäftigt.
  • Weiterhin können wir mit der Studie Einblicke nehmen, ob und wie stark die Pandemie die ökonomischen Kennzahlen der Branche beeinflusst hat. Dabei kann beobachtet werden, dass Wachstum und Beschäftigung in der MedTech-Branche unterschiedliche Wege genommen haben. Während die Zahl der Erwerbstätigen im zurückliegenden Jahr 2021 auch bedingt durch den Fachkräftemangel um 0,3 Prozent zurückgegangen ist, hat die Wertschöpfung um 5,4 Prozent zugelegt.
  • Dabei schafft die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit der MedTech-Branche, mit einer Bruttowertschöpfung von rund 1 Milliarde Euro und 10.000 Erwerbstätigen im Jahr 2021, Wachstum und Beschäftigung.
  • Nicht zuletzt generiert die Medizintechnik-Branche einen wichtigen zusätzlichen Nutzen für die Gesunderhaltung der Bevölkerung mittels innovativer medizinischer Produkte und Lösungen.

Ökologische Faktoren

Die wirtschaftliche Aktivität der deutschen MedTech-Branche ist mit ökologischen Auswirkungen verbunden. In der SEE-Impact-Study wurde der ökologische Fußabdruck anhand der Indikatoren der Treibhausgase, der Luftverschmutzung, dem Abfall und dem Wasserverbrauch quantifiziert. Diese Kennzahlen wurden für das Jahr 2020 für den Standort Deutschland, die Lieferketten in Deutschland und globale Lieferketten gerechnet (sogenannter Upstream).
  • Insgesamt war die wirtschaftliche Aktivität der deutschen MedTech-Branche mit dem Ausstoß von 8,9 Millionen Tonnen Treibhausgasen verbunden. Über 60 Prozent aller Treibhausgasemissionen der MedTech-Branche (5,5 Millionen Tonnen) entstehen dabei indirekt in der globalen Lieferkette der MedTech-Branche. Von diesen 5,5 Millionen Tonnen werden mit 1,2 Millionen Tonnen mit deutlichem Abstand die meisten Treibhausgase in China ausgestoßen.
  • Die wirtschaftliche Aktivität der MedTech-Branche geht global mit einer Luftverschmutzung durch sogenannten Feinstaub i.H.v. 2.953 Tonnen einher. Fast 90 Prozent der Luftverschmutzung wird auch hier in der globalen Lieferkette emittiert. Die wirtschaftliche Aktivität der Medizintechnik-Branche ist weniger stark mit der Verursachung von Feinstaub verbunden als andere Branchen wie zum Beispiel Fahrzeug- oder Maschinenbau
  • Die wirtschaftliche Tätigkeit der MedTech-Branche in Deutschland verursacht insgesamt rund 1,8 Millionen Tonnen Abfall – mehr als 80 Prozent in der globalen Lieferkette. Im Branchenvergleich weist die MedTech-Branche „gate to gate“ mit 56 Tonnen ein geringes Abfallaufkommen je 1 Million Euro Output im Jahr 2020 auf.
  • Bei der Kennzahl des Wasserverbrauchs zeigt sich insbesondere die Anschlussfähigkeit an die SDGs. Die wirtschaftlichen Aktivitäten der MedTech-Branche in Deutschland sind insgesamt mit einem Wasserverbrauch von 61,2 Millionen m³ verbunden. Davon werden 53,4 Millionen m³ indirekt in der globalen Lieferkette verbraucht (ca. 87 Prozent). Auch hier ist durch die Hotspot-Analyse möglich, das Land in der globalen Lieferkette mit dem höchsten Wasserverbrauch zu ermitteln – dieser lag 2020 in China mit 15,7 Millionen m³ am höchsten.

Soziale Faktoren

Die wirtschaftliche Aktivität der deutschen MedTech Branche ist mit sozialen Auswirkungen verbunden, zum Beispiel durch den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. In der SEE-Impact-Study wird der soziale Fußabdruck anhand der 3 Indikatoren „arbeitsbedingten Erkrankungen“, „Unfällen“ und „Kinderarbeit“ ermittelt. Diese Kennzahlen wurden für das Jahr 2020 für den Standort Deutschland, die Lieferketten in Deutschland und globale Lieferketten gerechnet (Upstream).
  • Im Kontext der Fälle an Arbeitserkrankungen ist die wirtschaftliche Aktivität der MedTech-Branche mit insgesamt mehr als 20.000 Fällen verbunden, davon 7.300 Fälle direkt an den Produktionsstandorten in Deutschland und mehr als 10.000 Fälle in der globalen Lieferkette. Im Branchenvergleich bewegt sich die MedTech Branche im Mittelfeld.
  • Im Jahr 2020 ist die wirtschaftliche Aktivität der MedTech-Branche mit 23.900 Arbeitsunfällen verbunden. 62 Prozent bzw. ca. 15.000 Fälle von Arbeitsunfällen in der MedTech-Branche kommen in der globalen Lieferkette vor – auch hier wurde China als das Land mit der höchsten Anzahl an Arbeitsunfällen ermittelt.
  • Aufgrund der globalen Lieferketten besteht bei der wirtschaftlichen Aktivität der MedTech-Branche das Risiko von Kinderarbeit. Dabei existiert kein Fall von Kinderarbeit in Deutschland, allerdings rund 3.100 Fälle in der globalen Lieferkette.

Zur ersten Bewertung der Ergebnisse:

Die MedTech-Branche gehört schon heute zu einem der bedeutendsten Teilbereiche der Gesundheitswirtschaft und nimmt insbesondere in der industriellen Gesundheitswirtschaft eine hohe Bedeutung für die Bruttowertschöpfung und Erwerbstätigkeit ein.

Die MedTech-Branche steht bei den ökologischen und sozialen Faktoren im Branchenvergleich insgesamt gut da.

Die Studie ist eine gute erste Standortbestimmung, die deutlich macht, dass die externen Effekte im Umwelt- und Sozialbereich primär in der indirekten Lieferkette anfallen.

In diesem ersten Schritt ist weder der Nutzen aus der Anwendung von Medizintechnik noch der ökologische und soziale Fußabdruck beim Einsatz und Verbrauch der Produkte bewertet (Downstream). Der BVMed und die Branche sind sich der besonderen Herausforderungen in diesem Bereich bewusst und werden gemeinsam mit den Anwender:innen weiter an Lösungen arbeiten.

Zu den Forderungen an die Politik:

Die Stärkung des Produktionsstandorts Deutschland trägt zu einer nachhaltigeren Produktion und einer besseren Resilienz des Gesundheitssystems bei.

Die MedTech-Branche hat sich auf den Weg gemacht. Sie leistet bereits jetzt einen guten Beitrag für nachhaltiges Wirtschaften. Sie will und kann die ökologische und soziale Transformation im Up- und Downstream mitgestalten, darf dies oftmals aufgrund regulatorischer Hürden jedoch nicht tun. Durch die Verwendung zum Beispiel von elektronischen Gebrauchsanweisungen (eIFU) für Medizinprodukte könnten Papier-, Wasser- und Energieverbrauch in der Herstellung und auch in der Logistik erheblich gesenkt werden. Die Branche steht für konkrete Schritte bereit und benötigt Rahmenbedingungen, die dies ermöglichen.

Die SEE-Impact-Study zeigt die sehr große Tiefe der Lieferketten, die eine große Herausforderung in der direkten Beeinflussung darstellen. Wichtig ist uns eine klare, ausgewogene und realistische Beschreibung der Unternehmensverantwortung bei der Übernahme sozialer und umweltbezogener Sorgfalt. Von Unternehmen darf nur das verlangt werden, was mit Blick auf ihren Unternehmenszuschnitt und ihre Möglichkeiten der Einflussnahme angemessen ist. Wir sprechen uns deshalb für eine Begrenzung der Sorgfaltspflichten auf die direkten Zulieferer aus.

Unser Fazit:

Moderne Medizintechnologien dienen den Menschen und ihrer Gesundheitsversorgung. Hierbei müssen die Lebensgrundlagen der Menschen im Blick behalten werden. Menschenrechte müssen umfassend geachtet und sichergestellt werden. Dies muss ein zentrales Anliegen in einer globalisierten Welt mit komplexen Liefer- und Warenströmen sein.

Wir stellen uns als MedTech-Branche dieser besonderen Verantwortung. Nur wenn wir wissen, wo wir stehen, können wir den Weg hin zu einer ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit erfolgreich bestreiten. Dafür wollen wir Transparenz herstellen und alle relevanten Interessensgruppen auf diesem Weg mitnehmen.

Hinweis:
Die vollständige SEE-Impact-Study kann unter www.bvmed.de/branchenstudien heruntergeladen werden.

Download: Bild Dr. Lugan und Prof. Ostwald
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