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Nachdem Studien unter anderem eine krebserregende Wirkung von Ethanol nachgewiesen haben, prüft die EU, ob der Stoff als gesundheitsschädlich einzustufen ist. Nur: Diese Einschätzung beruht auf dem Konsum von Alkohol, nicht auf der Wirkung, die Ethanol etwa in Handdesinfektionsmitteln entfaltet. Genau hier liegt das Problem. Denn eine Hochstufung hätte gravierende Folgen für die Krankenhaushygiene sowie für die Herstellung von Medizinprodukten und Arzneimitteln. Ersatzstoffe stehen kaum zur Verfügung.

Was hinter dem EU-Vorgehen steckt und was eine Hochstufung von Ethanol für die Gesundheitsbranche bedeuten würde, erläutern Martin Ahlhaus (Produktkanzlei - Kanzlei Ahlhaus Handorn Niermeier Schucht), Dr. Meike Criswell (Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, BPI) sowie Dr. Christina Ziegenberg und Miriam Rohloff (Bundesverband Medizintechnologie, BVMed).

Ethanol und sein Einsatz in der Medizin

„Ethanol ist ein unverzichtbarer Wirkstoff in der Gesundheitswirtschaft“, sagt Rohloff. Denn es komme in Desinfektionsmitteln und der Produktion zum Einsatz. Besonders in der Infektionsprävention sei es daher nicht zu ersetzen: „Es ist ein wesentlicher Bestandteil von Handdesinfektionsmitteln und steht auf der WHO-Liste der unentbehrlichen Arzneimittel.“ Die Wirksamkeit von Ethanol gegen unbehüllte Viren wie Adeno- oder Polio-Viren mache Ethanol anderen Mitteln überlegen, fügt Criswell hinzu: „Ethanol-Desinfektion war ein wesentlicher Faktor in der Corona-Pandemiebekämpfung. Ersatzstoffe wirken nicht so schnell, nicht so breit gegen verschiedene Erreger und sind toxischer, somit weniger verträglich.“ Aus Krankenhäusern, Praxen und Pflegeeinrichtungen ist Ethanol daher nicht wegzudenken, ebenso wie aus der Pharmaindustrie und Medizintechnik, die es in der Herstellung, in Laboren und zur Reinigung einsetzen.

Das Problem: Ethanol kann bei allem Nutzen auch gesundheitsschädlich sein. Aus diesem Grund rückt mit dem aktuellen EU-Prüfprozess durch die Europäische Chemikalienagentur ECHA eine mögliche Einstufung als sogenannter CMR-Stoff in den Vordergrund. CMR steht für „Carcinogenic, Mutagenic, Reprotoxic“ (also krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend). In den vergangenen Jahren hatten immer mehr Studien nachgewiesen, dass auch kleine Mengen Ethanol schädlich sind.

Daher hatte die Weltgesundheitsorganisation bereits 2023 in einer vielbeachteten Mitteilung empfohlen, im Idealfall gar keinen Alkohol zu konsumieren (1). Aber: „Die Einstufung stützt sich auf Daten zur oralen Aufnahme von Alkohol. Das bedeutet nicht, dass das Risiko auch bei Hautkontakt auftritt, was im medizinischen Alltag relevant wird“, betont Criswell.

Kritiker sehen daher keinen gesundheitlichen Gewinn in einer höheren Einstufung. Bei der Handdesinfektion etwa würden nur ein bis zwei Prozent aufgenommen, die Hälfte verdunste sofort, erläutert Ziegenberg: „Diese Mengen liegen unterhalb toxikologisch relevanter Konzentrationen.“ Auch Ersatzstoffe fehlen: Isopropanol und n-Propanol gelten als toxischer und weniger wirksam. „Beide sind keine echten Alternativen“, stellt Criswell klar. Neue Substanzen müssten zudem erst langwierig geprüft werden.

Die rechtliche Regulierung von Ethanol

Ethanol wird über die Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) (2) reguliert, im Arbeitsprogramm der Verordnung über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (Biozid-Verordnung - BPR) (3) gelistet und unterliegt der Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen (CLP-Verordnung, Classification, Labelling and Packaging) (4). Je nachdem, wie gefährlich Ethanol eingestuft wird, gelten nach den jeweiligen Regelungen andere Anforderungen.

Grundlage für die Gefahreinstufung ist die CLP-Verordnung. Jede Änderung dieser Einstufung hätte unmittelbare Folgen: Die Registrierungsdossiers nach REACH müssten angepasst werden, unter der Biozid-Verordnung kämen zusätzliche Anforderungen oder Einschränkungen hinzu, und weitere Rechtsakte wie die Medizinprodukteverordnung (MDR) oder das Arbeitsschutzrecht würden automatisch strengere Vorgaben enthalten. Wann die Neubewertung kommt, ist derzeit jedoch noch unklar. Die Einreichung eines entsprechenden Vorschlags wurde auf Dezember 2026 verschoben.

Die massiven Rechtsfolgen und Auswirkungen der CMR-Einstufung

Ahlhaus spricht von einem „greifbaren Risiko einer weitergehenden Einstufung“. Ein solcher Schritt würde nicht nur die Genehmigung und Zulassung von ethanolhaltigen Produkten betreffen, sondern auch zahlreiche nachgelagerte Regelwerke, von der Medizinprodukteverordnung (MDR) bis zum Arbeitsschutz. „Die Einstufung von Ethanol in die Kategorie 2 oder 1 hätte weitreichende Folgen für Hygienevorschriften, die Verfügbarkeit von Desinfektionsmitteln und die Herstellungsprozesse von Arzneimitteln und Medizinprodukten“, warnt der Jurist.

Nach der MDR beispielsweise dürften Produkte mit Körperkontakt dann nur noch mehr als 0,1 Prozent Ethanol enthalten, wenn Hersteller dies umfassend rechtfertigen, etwa mit Expositionsanalysen und dem Nachweis fehlender Alternativen. Auch im Arbeitsschutz drohen Verschärfungen: „Arbeitgeber müssten Vorkehrungen zum Schutz ihrer Angestellten treffen. Das kann sogar zum Umbau von Produktionsanlagen führen“, erläutert Criswell.

Das Minimierungs- und Substitutionsgebot der Gefahrstoffverordnung könnte auch zu weiteren Einschränkungen führen, zum Beispiel dass schwangere und stillende Beschäftigte nach dem Mutterschutzgesetz gar keinen Kontakt mit Ethanol haben dürften. „Aber im Grunde betrifft das alle Frauen im gebärfähigen Alter“, ergänzt Criswell. „Da diese manchmal nicht wissen, dass sie schwanger sind, müssen das Arbeitgeber mitbedenken.“

Forderungen und politische Positionen

Entsprechend stoßen die Überlegungen auf erheblichen Widerstand. In einer gemeinsamen Stellungnahme fordern die Bundesärztekammer (BÄK), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Bundeszahnärztekammer (BZÄK), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) sowie die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) die Bundesregierung auf, auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, die Einstufung von Ethanol als Gefahrenstoff zu verhindern. (5)

Auch 14 Verbände der Gesundheitswirtschaft, darunter der BVMed und der BPI, warnen vor einer CMR-Einstufung von Ethanol, weil sie den Infektionsschutz, die Arzneimittelproduktion und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Hersteller gefährdet sehen. (6) Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) warnt vor unverhältnismäßigen Folgen einer CMR-Einstufung und fordert, die Verhältnismäßigkeit der Studiendaten zu prüfen und regulatorische Ausnahmen in Betracht zu ziehen. (7) Die Wirtschaftsministerkonferenz warnt vor den wirtschaftlichen Folgen der Hochstufung. (8) Die Bundesregierung sprach gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk MDR vom Ziel einer „sinnvollen und praxisgerechten Lösung“, die sicherstellen solle, dass das Gesundheitswesen arbeitsfähig bleibe. (9)

Wie es weitergehen kann

Während die Diskussion über die Einstufung von Ethanol weiter an Fahrt aufnimmt, rät Ahlhaus den betroffenen Unternehmen, sich frühzeitig und aktiv einzubringen. „Warten ist die schlechteste Option“, betont er. Firmen sollten die laufenden Verfahren bei der Europäischen Chemikalienagentur aufmerksam begleiten, eigene Daten einbringen und sich an den Konsultationen beteiligen. Für den Fall einer Hochstufung stünden Unternehmen laut Ahlhaus ebenfalls nicht schutzlos dar: Gegen Entscheidungen der Kommission seien Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof möglich. Ob die nötig sein werden, bleibt angesichts des bereits erheblichen Widerstands offen. Kommt die Hochstufung jedoch, drängt die Zeit. „Wer seine Rechte sichern will, muss sich rechtzeitig vorbereiten, denn die Klagefristen betragen nur zwei Monate“, so der Jurist.

Quellen:

  1. World Health Organization (2023:) No level of alcohol consumption is safe for our health. https://www.who.int/europe/news/item/04-01-2023-no-level-ofalcohol-consumption-is-safe-for-our-healthExterner Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab.
  2. European Union, EUR-Lex Document 02006R1907-20250901. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:02006R1907-20250901Externer Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab. (zuletzt besucht am 03.11.25)
  3. European Union, EUR-Lex Document 32012R0528. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/de/ALL/?uri=CELEX%3A32012R0528Externer Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab. (zuletzt besucht am 03.11.25)
  4. European Union, EUR-Lex Document 32008R1272. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex:32008R1272Externer Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab. (zuletzt besucht am 03.11.25)
  5. Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) (09.01.2025): Gemeinsame Stellungnahme von KBV, BÄK, KZBV, BZÄK, ABDA und DKG. https://www.kzbv.de/politik/positionen/bewertung-von-ethanol/Externer Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab.
  6. BPI Pressemeldung (2024): Infektionsschutz in Gefahr - Die harmonisierte Einstufung von Ethanol als CMR-Substanz muss gestoppt werden.https://www.bvmed.de/download/ethanol-positionspapier-14-verbaende-im-gesundheitswesenExterner Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab.
  7. Verband der Chemischen Industrie e.V. (2024:) Folgen der Ethanol-Einstufung. https://www.vci.de/themen/chemikaliensicherheit/einstufungkennzeichnung/ethanol-einstufung-vci-position.jspExterner Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab.
  8. Beschluss der Wirtschaftsministerkonferenz (2025): https://www.wirtschaftsministerkonferenz.de/WMK/DE/termine/Sitzungen/25-06-04-05-WMK/25-06-04-05-beschluesse.pdf?__blob=publicationFile&v=2Externer Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab.
  9. Mitteldeutscher Rundfunk MDR (03.04.2025:) Alkohol zum Trinken, aber nicht als Desinfektionsmittel?. https://www.mdr.de/nachrichten/welt/politik/euverbot-ethanol-desinfektion-folgen-chemie-pharma-industrie-bundesregierung-100.htmlExterner Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab.

Fachbeitrag vom 06.11.2025 / Dr. Anja Segschneider
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH

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