Leitlinien-Diskrepanz

TAVI erst ab 75 Jahren? Diskussionen über Altersgrenze

In den ESC-Leitlinien wird eine TAVI erst ab einem Alter von 75 Jahren empfohlen. Das widerspricht anderen Leitlinien und Konsensusempfehlungen, wie Professor Holger Thiele bei der DGK-Jahrestagung ausführte. Was heißt das nun für die Praxis? darüber berichtet ÄrzteZeitung Online.

Die von den ESC-Leitlinien propagierte Altersgrenze für eine Transkatheter-Aortenklappen-Implantation (TAVI) bei Patienten mit Aortenstenose hat unter Spezialisten für intensive Diskussionen gesorgt.

In den aktuellen ESC-Leitlinien wird eine TAVI nämlich erst ab einem Alter von 75 Jahren empfohlen (Klasse I A). Für jüngere Patienten ist demnach weiterhin der chirurgische Aortenklappenersatz die empfohlene Standardtherapie. Wie Professor Holger Thiele, DGK-President elect, bei einer Pressekonferenz anlässlich der DGK-Jahrestagung erklärte, gibt es hier aber eine Diskrepanz innerhalb der Empfehlungen der Fachgesellschaften.

So wird die Altersgrenze in den US-amerikanischen Leitlinien der AHA/ACC deutlich niedriger gesetzt: Ab einem Alter von 65 Jahren bis 80 Jahren sollte die Wahl zwischen TAVI und Op im Heart Team getroffen werden, unter Berücksichtigung der Lebenserwartung, falls keine anatomischen Kontraindikationen gegen eine transfemorale TAVI vorliegen (Klasse I A).

Die ESC-Leitlinien stehen auch im Widerspruch zu einem 2020 publizierten TAVI-Konsensuspapier der DGK und der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG). Demnach kann in der Altersgruppe der 70- bis 75-Jährigen zwischen einer TAVI und einer Op entschieden werden, darunter wird der chirurgische Aortenklappenersatz favorisiert, darüber die TAVI.

Altersgrenze widerspricht Studienlage

Wie Thiele weiter ausführte, ist der von der ESC gesetzte Alters-Cutoff von 75 Jahren auch durch die Studienlage nicht wirklich plausibel zu begründen. „Über alle Studien hinweg hat sich gezeigt, dass die TAVI in jeglichen Risikostadien mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar besser ist als der chirurgische Klappenersatz“, erinnerte der Leipziger Kardiologe.

Dass die TAVI auch in einem Niedrigrisikokollektiv mit der Operation mithalten kann, dafür haben Studien wie PARTNER-3 und NOTION Evidenz geschaffen, zum Teil schnitt die katheterbasierte Methode sogar besser ab. Und: „Fast zwei Drittel der Patienten in der PARTNER-3-Studie waren unter 75 Jahre alt“, betonte Thiele.

Was also spricht dann noch gegen eine TAVI im jüngeren Alter? Die Haltbarkeit der TAVI-Klappen kann Thiele zufolge inzwischen nicht mehr wirklich als Argument angebracht werden, „jedenfalls nicht für alle Klappen“, so der Kardiologe.

Befürchtungen, dass die per TAVI eingesetzte Aortenklappen mit der Zeit schneller verschleißen können als chirurgisch implantierte Klappen, haben sich nämlich in einer kürzlich beim ACC-Kongress vorgestellten gepoolten Analyse nicht bewahrheitet. Das Gegenteil war sogar der Fall: Klappendegenerationen ließen sich bei den TAVI-Klappen nach fünf Jahren signifikant seltener nachweisen als bei chirurgisch eingesetzten Klappenprothesen. Auch in der NOTION-Studie schnitten TAVI-Klappen hinsichtlich ihrer Halterbarkeit über sechs Jahre hinweg eher besser ab als ihr chirurgisches Pendant.

Individuelle Entscheidungsfindung mit dem Patienten

Statt allein auf das Alter zu schauen, plädierte Thiele deshalb dafür, den jeweiligen Patienten in den Entscheidungsprozess einzubeziehen. „Wir müssen den Patienten die Vor- und Nachteile der jeweiligen Verfahren darlegen“, so der Kardiologe.

Seiner Ansicht nach gibt es dabei zwar immer weniger Argumente, den Patienten zur Operation zu schicken. Das heißt aber nicht, dass jeder Patient ab sofort eine TAVI erhalten sollte. Denn trotz des wachsenden Stellenwertes der TAVI gibt es weiterhin Argumente, die gegen eine TAVI und für einen chirurgischen Aortenklappenersatz sprechen. Thiele nannte hier anatomische Kriterien wie starke Verkalkungen, Verkalkungen im linksventrikulären Ausflusstrakt oder zusätzliche Koronararterienverkalkungen.

Darüber hinaus ist es dem Experten zufolge im Entscheidungsprozess wichtig, das Lebenszeitmanagement der Patientinnen und Patienten im Blick zu haben. So sollte man sich bei einem Ende 60-jährigen Patienten, der eine TAVI präferiert, die Frage stellen, welche Möglichkeiten nach zehn Jahren bestehen, wenn die Klappe vermutlich degeneriert ist.

Eine Valve-in-Valve-Therapie ist Thiele zufolge für manche Klappen zwar möglich, für andere aber nicht. Manchmal sei es deshalb besser, erstmal zu operieren und, wenn die chirurgische Klappe degeneriert ist, eine TAVI als Klappe-in-Klappe anzuschließen, so Thiele. All diese Diskussionen sollten im Heart Team geführt und mit den Patienten besprochen werden.

Quelle: ÄrzteZeitung Online vom 25. April 2022
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