Chronische Wunden

Wundversorgung: Expertenrat empfiehlt neue Strukturen und umfassende Zusammenarbeit der Disziplinen

5. Wunddialog des BVMed

Das Abschlusspapier des Expertenrats "Strukturentwicklung Wundmanagement" ist bei den Teilnehmern des 5. Wunddialogs des Bundesverbandes Medizintechnologie, BVMed, auf breite Zustimmung gestoßen. Das Gremium war vor zwei Jahren aus der Veranstaltungsreihe des BVMed hervorgegangen, um einheitliche Empfehlungen für die Behandlung chronischer Wunden zu formulieren. Die nun vorliegenden Ergebnisse enthalten sektorübergreifende, interdisziplinäre und interprofessionelle Vorschläge zu Diagnostik und Therapie. Experten aus Politik, Medizin, Pflege und Versorgung diskutierten am 5. Dezember 2019 in Berlin die Chancen und Grenzen der Empfehlungen. Sie sprachen sich für eine rasche Umsetzung aus. Die "Empfehlungen zur Verbesserung der Versorgungsstruktur für Menschen mit chronischen Wunden in Deutschland" des Expertenrats können unter www.bvmed.de/expertenrat-wundmanagement abgerufen werden.

Mit rund 50 Teilnehmern war der 5. Wunddialog des BVMed noch stärker besucht als in den Vorjahren. Dieses wachsende Interesse der Fachwelt unterstreicht, wie dringend im Bereich der Versorgung chronischer Wunden Verbesserungen nötig sind: Im Schnitt dauert es rund dreieinhalb Jahre, bis betroffene Patienten von einem spezialisierten Arzt behandelt werden. Defizite in Diagnostik und Therapie verlängern unnötig die Behandlungsdauer, verursachen Komplikationen – und beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen erheblich. In Deutschland leiden etwa 900.000 Menschen an chronischen Wunden. Als chronisch gilt eine Wunde, die nach acht Wochen nicht abgeheilt ist.

Vor diesem Hintergrund bringt der BVMed Wunddialog seit fünf Jahren regelmäßig Vertreter aller beteiligten Disziplinen an einen Tisch: von der Pflege über Krankenkassen, Politik und Hersteller bis zur Ärzteschaft. In diesem Jahr richtete sich der Fokus der Veranstaltung auf die Empfehlungen des Expertenrats "Strukturentwicklung Wundmanagement".

Der Deutsche Wundrat hatte die Runde aus 13 Spezialisten im Nachgang zum BVMed-Wunddialog 2017 berufen. Dem Expertenrat gehörten Ärzte verschiedener Fachrichtungen sowie Vertreter von Fachgesellschaften, Betroffenen-Initiativen, Unternehmen, Krankenkassen, Kliniken und Wundzentren an.

Diagnostik und Therapie nach einheitlichen Standards

Was soll wann gemacht werden? So lässt sich die Leitfrage der gemeinsamen Arbeit im Expertenrat zusammenfassen. In ihrem Abschlusspapier sprechen sich die Autoren vor allem für eine möglichst frühe fachgerechte Behandlung chronischer Wunden aus. Sie geben konkrete Empfehlungen zu Abläufen und Struktur der Zusammenarbeit, um eine adäquate diagnostische Abstufung zu ermöglichen. Das Abschlusspapier definiert Zuständigkeiten und Zeitpunkte prozessual in Form von Schemata.

Grundsätzlich sollen Diagnostik und Therapie transparent nach denselben Standards und Prinzipien erfolgen – unabhängig von der Fachrichtung der Versorgenden. Entsprechende Strukturen könnten im bestehenden System und sofort geschaffen werden. Für die professionelle Versorgung seien Mindestqualifikationsstandards nötig.

"Zusammenarbeit auf Augenhöhe"

Nach einer kurzen Präsentation der Ergebnisse fassten vier Mitglieder des Expertenrats sowie Vertreter der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und des BVMed auf dem Podium ihre Erkenntnisse aus dem Prozess zusammen. Sie lobten insbesondere die "Zusammenarbeit auf Augenhöhe" im Expertengremium. Die Perspektiven aller beteiligten Professionen seien gleichermaßen berücksichtigt worden. Diese Haltung sollte für die weitere Arbeit in der Wundversorgung beispielgebend sein.

Christiane Lehmacher-Dubberke, ehemals AOK-Bundesverband und heute Leiterin der Pro Seniore Residenz Oberau, zeigte sich erfreut über den nun vorliegenden "Strukturfahrplan". Denn in der Praxis verfügten die ersten Ansprechpartner von Wundpatienten häufig über zu wenig Erfahrung, um die richtigen Therapieschritte einzuleiten. Leider seien viele Betroffene auch schwer zu motivieren, überhaupt eine fachärztliche Versorgung in Anspruch zu nehmen. Ein strukturiertes Vorgehen könne solche Defizite ausgleichen. Lehmacher-Dubberke nannte nordeuropäische Länder als Vorbild, was interprofessionelle Kooperationen angeht. Ihr Ziel für 2020 sei es, in ihrer Region ein Netzwerk Chronische Wunden mit aufzubauen.

Dr. Wolfgang Tigges, Ehrenvorsitzender und langjähriger 1. Vorsitzender des Wundzentrums Hamburg, betonte aus fachärztlicher Sicht die Bedeutung von Netzwerken und Teamarbeit in der Wundversorgung. "Wenn jeder singulär arbeitet, kommt es zu zeitlichen Verzögerungen", so Tigges. "Alle Beteiligten sollten die eigene Expertise als begrenzt erkennen und sich immer fragen: Wie kann ich die Ansprechpartner an der Grenze zur nächsten Disziplin in die Behandlung einbinden?" Mit Netzwerken habe er in Hamburg gute Erfahrungen gemacht. Auch Zertifizierungen, beispielsweise nach den Standards der Initiative Chronische Wunden (ICW), beurteilte er positiv. Allerdings räumte er ein, dass in Flächenländern die Herausforderung ungleich größer sei. Insgesamt zeigte er sich optimistisch, auf der Basis von Freiwilligkeit, Motivation und persönlichem Engagement zu Fortschritten zu kommen. Sein Fazit: "Alles andere dauert zu lange."

Auch Anke Richter-Scheer, niedergelassene Internistin mit hausärztlicher Versorgung, appellierte an den Teamgedanken: "Hausärzte und Fachärzte gegeneinander auszuspielen, bringt niemanden weiter. Wir müssen alle lernen, zügig Wissen abzugeben." Die Stärke des Abschlusspapiers liege darin, dass es auf Strukturen ausgerichtet sei und nicht auf Fachrichtungen. Allerdings werde der Hausarzt auch künftig in der Regel die erste Anlaufstelle für Wundpatienten bleiben, "schon weil eine chronische Wunde immer mit anderen Krankheiten einhergeht", so Richter-Scheer. Sie plädierte dafür, das Papier möglichst bald in die Fachgesellschaften einzubringen.

Bernd Gruber, Mitglied des Deutschen Pflegerates, wies auf den schon heute bestehenden Notstand in der ambulanten Versorgung hin: "Es gibt längst Pflegedienste, die Patienten mit chronischen Wunden ablehnen." Auch er sieht die Lösung vor allem in der Bildung von Netzwerken. Dies müsse jetzt oberste Priorität haben. Zur Frage der Qualifikation sagte er: "Wir brauchen ein Duales Studium für mehr Kompetenz." Gruber lobte die ausgewogene Zusammenarbeit im Expertenrat und bedauerte zugleich, dass die Stimme der Pflege in vielen anderen Entscheidungsgremien des Gesundheitswesens noch zu wenig gehört werde.

Marcus Schneider vom GKV-Spitzenverband begrüßte die Arbeit des Expertenrats. Einige Inhalte des Abschlusspapiers seien bereits in die Diskussion auf Bundesebene eingeflossen. So hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) mit Beschluss vom 15. August 2019 die Wundversorgung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege neu geregelt. Dabei wurde ausdrücklich aufgenommen, dass die Versorgung von chronischen Wunden vorrangig durch spezialisierte Pflegedienste mit auf die Wundversorgung qualifizierten Pflegefachkräften erfolgen sollte und dass ein enger Austausch zwischen den verordnenden Ärzten sowie den Pflegediensten zu erfolgen hat. Fraglich sei, so Schneider, ob die Versorgung durch gänzlich neue Strukturen wie spezialisierte Einrichtungen außerhalb der Häuslichkeit zielführend sei. Es müsse in erster Linie darum gehen, die derzeitigen Strukturen in die Lage zu versetzen, die Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden entsprechend des medizinisch-pflegerischen Stands des Wissens und industrieunabhängig durchzuführen.

Zusammengefasst konzentrierte sich die Diskussion beim 5. Wunddialog vor allem auf vier Themen: Die Mindestqualifikation der Versorgenden, mögliche Effizienzgewinne durch die Delegation ärztlicher Leistungen, die Chancen der Telemedizin sowie das richtige Maß an Verbindlichkeit. Experten aus dem Plenum sahen an diesen Punkten noch Klärungsbedarf. Einige forderten mehr gesetzliche Regelungen, etwa um die Tätigkeitsfelder von Krankenpflegern und Podologen erweitern zu können.

Kontrovers diskutiert wurde auch die Frage, ob weitere finanzielle Anreize für Verbesserungen in der Versorgung nötig sind. Einig waren sich die Experten in ihrer Entschlossenheit, schnell Verbesserungen in der Wundversorgung voranzubringen.

Aufruf zu Verbesserungen und Erweiterungen

Im Nachgang zum BVMed-Wunddialog sind Wundexperten aller Professionen und Disziplinen aufgerufen, weitere konkrete Vorschläge zur inhaltlichen Weiterentwicklung des Papiers einzubringen. Vor allem müsse es schnell eine möglichst große Verbreitung finden. Als Adressaten gelten im nächsten Schritt vor allem die Politik sowie die Fachgesellschaften.

Der nächste Wunddialog des BVMed findet am 1. Dezember 2020 statt.

Die vollständige Textfassung des Abschlusspapiers ist online unter www.bvmed.de/expertenrat-wundmanagement abrufbar.
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