Körperstolz
Patientengeschichte Ingrid Hartmannn
05.05.2020|

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Motiv Neurostimulation
Motiv und Interview als Broschüre (pdf-Download)
Frau Hartmann, Sie waren 69 Jahre alt, als Sie einen Neurostimulator, auch Hirnschrittmacher genannt, implantiert bekommen haben. Wann haben Sie von Ihrer Krankheit erfahren?
Bis 2002 wusste ich nichts über meine Krankheit – da war ich 61 Jahre alt. Angefangen hat es, als ich 17 war. Fast vierzig Jahre hatte ich keine Ahnung, was es ist. Am Anfang wurde ich nur mit Tabletten behandelt. Die habe ich aber irgendwann abgesetzt, da ich unbedingt Kinder wollte. Man weiß ja nie, ob diese schaden, daher habe ich lieber darauf verzichtet. Viele Jahre später habe ich dann zum allerersten Mal die Diagnose Dystonie erhalten. Und endlich wusste ich, was los ist.
Welche Symptome treten bei Ihnen auf?

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Was haben Sie vor der Diagnose über Ihre Krankheit, über die Symptome gedacht?
Man hat gesagt, das sei ein Tick, das hätte ich mir angewöhnt, ich sei nervös. Obwohl ich immer ich selbst war! Ich konnte mir einfach nicht erklären, woher das kommt und was das ist. Erst als ich die Diagnose bekommen und mich zum ersten Mal über Dystonie informiert habe, wusste ich, dass es wirklich eine Krankheit ist, die man behandeln, aber nicht heilen kann.
Wie wurden Sie behandelt?
Ich habe Botulinumtoxin in die Muskeln gespritzt bekommen, die sich immer bewegt haben. So wurde ich acht Jahre lang behandelt, bis die Wirkung nachgelassen hat, was normal ist nach einer gewissen Zeit. Dann wurde mir von meinem Neurologen die Tiefenhirnstimulation mit einem Hirnschrittmacher vorgeschlagen.
Wie lief diese Operation am Hirn ab?

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Was war das für eine Erfahrung, bei vollem Bewusstsein eine Operation am Kopf zu haben?
Das war sehr komisch. Man hat alles gehört, jedes Wort von den Ärzten. Am unangenehmsten war der Moment, als die Schädeldecke durchbohrt wurde. Es hört sich an, als ob eine Schlagbohrmaschine in eine Betonwand reingeht. Doch ich habe Beruhigungsmittel bekommen und hatte eine Physiotherapeutin an meiner Seite, die mit mir autogenes Training gemacht hat.
Hatten Sie Angst vor der Operation?
Ich hatte Angst, ja. Aber ich habe es nicht gezeigt. Ich habe mir gesagt: Ich will die Operation, es wird gutgehen, es bringt mir Erfolg. Und genau das war die richtige Einstellung, es hat mir wirklich sehr geholfen. Ich bin wesentlich ruhiger geworden. Ich gehe jetzt wieder gern unter Leute und fühle mich sehr wohl.
Muss der Hirnschrittmacher regelmäßig eingestellt werden?
Mindestens einmal im Jahr wird kontrolliert, ob alles richtig eingestellt ist oder ob man noch etwas verbessern kann. Ich merke es ja sofort selbst: Wenn die Symptome wieder stärker werden, dann muss man etwas verstellen.
Können Sie beschreiben wie die Tiefe Hirnstimulation funktioniert?

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Müssen Sie den Hirnschrittmacher regelmäßig aufladen?
Ja. Ich hatte allerdings zuerst einen nicht Aufladbaren, bei dem spätestens nach 1,5 Jahren die Batterie erschöpft war. Dann musste man mir in den Jahren 2012, 2014 und 2016 immer wieder ein neues Gerät einsetzen, bis ich 2017 einen aufladbaren Hirnschrittmacher bekam. Das lade ich inzwischen täglich für 15 bis 20 Minuten. Das gehört zu meinem Tagesablauf wie Zähneputzen.
Müssen Sie mit dem Hirnschrittmacher aufpassen, dass Sie Mindestabstand zu Elektrogeräten halten?
Zu Elektrogeräten im Allgemeinen nicht, nur zu allem, was mit Magneten zu tun hat. Die Kontrollgeräte am Flughafen zu Beispiel. Da darf ich nicht durchgehen und muss abgetastet werden. Ich hatte früher auch eine Magnetfeldmatte zur Entspannung. Die darf ich natürlich auch nicht mehr benutzen.
Wie wäre Ihr Leben heute ohne diesen Hirnschrittmacher?
Das kann ich mir nur ganz vage vorstellen. Aber ich glaube, ich würde nicht mehr unter die Leute gehen, sondern nur noch zu Hause sitzen, weil im Alter die Symptome zunehmen. Ich würde meinen Kopf dann sehr stark bewegen.
Was treibt Sie in Ihrem Leben an?

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Haben Sie ein Lebensmotto?
Ich bin wie ich bin und mache immer das Beste aus jeder Situation. Immer optimistisch in die Zukunft schauen!
Wie würden Sie Ihre Lebensqualität beschreiben?

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Warum nehmen Sie an der Kampagne „Körperstolz“ teil?
Weil ich anderen Leuten zeigen will, dass es viele Möglichkeiten gibt, mit denen man seine Lebensqualität sehr stark verbessern kann. Da die Krankheit nicht heilbar ist, muss man irgendetwas machen, um gut leben zu können. In dieser Hinsicht ist die Kampagne super, weil sie genau das den Leuten näherbringt.
Was würden Sie anderen Patienten mit Dystonie mit auf den Weg geben?

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Wie würden Sie den Satz beenden: „Ich bin stolz auf meinen Körper, weil…?“
Weil ich seit der erfolgreichen Operation wieder ungeniert unter Leute gehen kann und nicht das Gefühl haben muss, dass mich jeder anstarrt. Ich bin stolz darauf, dass ich meine Ängste überwunden habe, und ich bin stolz auf mich, dass ich überhaupt so weit gekommen bin.
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