- Bremer Wundkongress BAG-Expertin Doka beim BVMed: Patient:innen in Wundversorgungsprozess einbinden
Bei chronischen Wunden wird zu schnell amputiert, statt eine spezialisierte Wundversorgung in einem Wundzentrum zu beginnen. Das bemängelte Dr. Siiri Ann Doka von der BAG Selbsthilfe auf dem Dialogforum „Eine Stunde Wunde“ des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed) am 17. Mai 2024 auf dem Bremer Wundkongress. Doka sprach sich dafür aus, die Fachkenntnisse zur Wundversorgung im ambulanten Bereich zu verbessern und Wundzentren auf dem Land zu fördern. Außerdem sei es wichtig, Patient:innen stärker in Wundversorgungsprozesse einzubinden, beispielsweise über die Idee einer Patient:innen-Quittung.
PressemeldungBremen/Berlin, 22.05.2024, 40/24
Bild herunterladen „In jedem Zustand ist es möglich, Patient:innen gut einzubeziehen“, stellte Dr. Siiri Ann Doka die Position des Dachverbandes der Selbsthilfeorganisationen dar. Dies kennzeichne eine „gute Versorgung“, die Betroffenen auf Augenhöhe begegne, so die Referatsleiterin für Gesundheits- und Pflegepolitik bei der BAG Selbsthilfe. Das sogenannte „Shared Decision Making“ umfasse das Gespräch von Patient:innen mit den Expert:innen für die spezifische Versorgung, eine umfassende Aufklärung über den Verlauf einer Erkrankung und deren Versorgung sowie über mögliche Risiken und nächste Schritte. Den Patient:innen müsse die „Zeit gegeben werden, ihre Fragen loszuwerden“, so Doka. Dies sei oft nicht der Fall. „Wir bekommen häufig die Rückmeldung, dass Patient:innen nicht wussten, wie der Verlauf mit einer Erkrankung aussieht“, sagte Doka. Die BAG Selbsthilfe ist als gesetzlich verankerte und maßgebliche Patient:innen-Organisation die Interessenvertreterin der Patient:innen im deutschen Gesundheitswesen. Sie sitzt unter anderem im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) oder im Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG).
Falsche Wundversorgung hat dramatische Folgen
Speziell für die Wundversorgung wies Doka darauf hin, dass oft das Weiterverweisen zu anderen Versorgenden nicht funktioniere. So werde bei chronischen Wunden oft zu schnell amputiert, statt eine spezialisierte Wundversorgung in einem Wundzentrum zu beginnen. Dies könne möglicherweise daran liegen, dass Hausärzt:innen nicht in Wundzentren weiterverweisen dürften und Patient:innen so standardmäßig in der Chirurgie landeten. Bei den Krankenhäusern funktioniere oft der Übergang von der stationären in die ambulante Versorgung nicht, so die Rückmeldung aus den 120 Verbänden, die in der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen zusammengeschlossen sind. Das oft unzureichende Entlassmanagement der Kliniken führe dazu, dass Patient:innen auch ambulant teilweise schlecht versorgt würden. „Wir bekommen die Rückmeldung, dass dort etwas schiefläuft“, so Doka, „diese Klagen häufen sich.“ Doka verwies darauf, dass etwa Medikamente nicht mitgegeben oder über den Umgang mit ihnen nicht ausreichend aufgeklärt werde. „Wir hören von Pflegediensten häufig, dass Patient:innen, die am Freitag aus dem Krankenhaus entlassen werden, nicht übernommen werden, weil bei ihnen immer etwas fehlt“, erklärte Doka.
Neben der Verbesserung der Fachkenntnisse der ambulanten Versorger und Ärzt:innen zur Wundversorgung, der Förderung von Wundzentren auf dem Land und insgesamt der „Überwindung der Sektorengrenzen“ regte Doka Quittungen für Patient:innen für bestimmte wichtige Leistungen etwa in Disease-Management-Programmen (DMP) an. „Sie sollten eine Quittung ausgestellt bekommen, dass die Ärzt:innen sich die Wunde angesehen haben“, so Doka.
Diskussion über Patient:innenquittung
In der Diskussion mit den rund 50 Teilnehmenden des Diskussionsforums „Eine Stunde Wunde“ des BVMed wurde zunächst auf Erfahrungen mit Patient:innen verwiesen. So komme es beispielsweise vor, dass Patient:innen Hinweise zum Umgang mit Medikamenten schlicht ignorierten, so ein Krankenpfleger. Darauf hätten Versorger und die Krankenpflege keinen Einfluss, da dies von den Patient:innen auch wider besseres Wissen geschehe. Eine Hausärztin betonte, dass in DMP eine Dokumentation zwingend stattfinden müsse, nur dann könne die Leistung überhaupt abgerechnet werden. Beim diabetischen Fußsyndrom sei genau vorgeschrieben, in welchen Abständen der Fuß untersucht worden sei. Dies werde dokumentiert und diese Information den Patient:innen auch ausgehändigt. Eine weitere Dokumentation mit einer zusätzlichen Quittung für Patient:innen bringe daher nichts, wenn die bestehende Verpflichtung von Ärzt:innen womöglich umgangen oder die Dokumentation von Patient:innen nicht wahrgenommen werde.
Vorteile spezialisierter Versorgung
Christian Westermann vom ambulanten Pflegedienst „Engel vonne Ruhr“ schilderte die Vorteile einer spezialisierten Versorgung, die sein Unternehmen erbringe. „Spezialisierte Leistungserbringer sind der Schlüssel bei chronischen Wunden. Wir haben Abheilungsquoten, die sind der Wahnsinn“, sagte Westermann. Allerdings werde diese Leistung nicht annähernd adäquat vergütet, aus unternehmerischer Sicht sei das Angebot daher defizitär. Die sichtbaren Erfolge spornten jedoch an und zeigen, das Spezialisierung zielführend ist. Deshalb habe er auch „keine Fachkraftprobleme“, es gebe einen Motivationsschub, der wiederum die Qualität anhebe.
Westermann erklärte auch, dass Wundzentren aus seiner Sicht ein wichtiger Baustein im System aber nicht für alle Patient:innen geeignet seien, da nicht alle dort hinkommen könnten. Es könne vorteilhaft sein, wenn die Betroffenen in der Häuslichkeit bleiben könnten. Insgesamt sorge die spezialisierte Versorgung dafür, dass Drehtür Effekte vermieden werden und Patient:innen seltener ins Krankenhaus müssten. Dies spare ebenso Ressourcen, darunter die Entlastung des Entlassungsmanagements im Krankenhaus oder aber in ärztlichen Praxen, etwa durch ausführliche Wunddokumentationen. Westermann betonte, wie wichtig das sektorenübergreifende Arbeiten sei und forderte, dass die ambulanten Pflegedienste in der Politik und bei den Kostenträgern „mit an den Tisch müssten“, um die Versorgung zu verbessern und diese auch ausreichend und angemessen vergütet werde.
Dauerthema Nutzennachweise
Zu den anstehenden Nutzennachweisen für die „sonstigen Produkte zur Wundbehandlung“ sagte Doka, dass man aus Sicht der Patient:innen „einen vernünftigen Nutzennachweis“ benötige. Dies sei angesichts des möglichen „Schadenspotenzials“ in der Wundversorgung erforderlich. Es müsse aber sichere Wundprodukte ohne Aufzahlung für Patient:innen geben, betonte Doka.
Für die Erstattung der „sonstigen Produkte zur Wundbehandlung“ endet Anfang Dezember 2024 eine Übergangsfrist. Um danach noch in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstattungsfähig zu sein, müssen sie gesonderte Nutzennachweise (Evidenz) erbringen. Betroffen sind davon unter anderem antimikrobielle Wundauflagen für chronische Wunden.
„Evidenz ist sehr wichtig“, betonte Juliane Pohl, Leiterin des Referats Ambulante Gesundheitsversorgung beim BVMed. Allerdings funktioniere der für den Nutzennachweis notwendige Prozess beim G-BA bisher nicht. Den betroffenen Verbandmittel-Herstellern wurde zwar ein Beratungsrecht zu den Methoden der für die Nutzenbewertung erforderlichen Studien eingeräumt. Bislang sind aber in der G-BA-Praxis keine auf die Wundversorgung angepassten Evidenzkriterien definiert. Generelles Problem sei, dass als sogenannter Endpunkt der Behandlung der vollständige Wundverschluss vorgesehen sei, erläuterte Pohl. Die betroffenen Produkte hätten aber eine andere Zweckbestimmung und seien oft nur für temporäre Anwendung vorgesehen. Sie könnten daher den Nutzennachweis des Wundverschlusses gar nicht erbringen, weil sie dafür weder vorgesehen seien noch verwendet würden, so Pohl.
Offenbar habe der G-BA aber verstanden, dass für diese Produkte die „richtigen Endpunkte“ gefunden werden müssten. Pohl verwies auf ein Interview des G-BA-Vorsitzenden Prof. Josef Hecken mit der „ÄrzteZeitung“, wonach bei der Verbandmittel-Erstattung politischer Handlungsbedarf bestehe. „Damit hat Prof. Hecken auf politischer Ebene eine Diskussion in Gang gebracht“, sagte Pohl. Das vom G-BA beauftragte IQWIG solle nun die genauen Kriterien in den kommenden zehn Monaten klären. Dieser Zeitraum stieß bei einigen Diskussionsteilnehmenden auf Unverständnis, da dann ab Dezember eine Versorgungslücke drohe. Eine weitere Übergangsfrist sei somit unvermeidlich.
Das Dialogforum „Eine Stunde Wunde“ auf dem 18. Deutschen Wundkongress (DEWU) und Bremer Pflegekongress wurde moderiert von Christof Fischoeder von Fischoeder Kommunikationsberater, Berlin.
Weitere Informationen zur Wundversorgung gibt es im BVMed-Themenportal unter www.bvmed.de/wundversorgung.
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