DIGITAL HEALTH

BVMed-Positionspapier "Digitale Gesundheitsversorgung in der nächsten Legislaturperiode: Schwung aufnehmen und mit Digitalisierungsstrategie zielgerichtet vorangehen"

Der BVMed hat zur neuen Legislaturperiode ein Positionspapier mit dem Titel „Digitale Gesundheitsversorgung in der nächsten Legislaturperiode“ veröffentlicht. Der BVMed spricht sich unter anderem für einen besseren Zugang der Unternehmen zu Gesundheitsforschungsdaten und für ein Fast-Track-Verfahren für Medizinprodukte auch der höheren Klassen aus. Damit die Digitalisierung künftig die Gesundheitsversorgung der Menschen revolutionieren und verbessern kann.

Download des Positionspapiers (pdf-Datei, 4 Seiten, 12 kb)

BVMed-Positionspapier | Digitale Gesundheitsversorgung in der nächsten Legislaturperiode: Schwung aufnehmen und mit Digitalisierungsstrategie zielgerichtet vorangehen


Zahlreiche Gesetzesinitiativen haben in den vergangenen vier Jahren wichtige Grundsteine für eine umfassend digitale Gesundheitsversorgung gelegt. Durch viele Regelungen und Maßnahmen hat Deutschland sich aktiv auf den Weg zu einem vernetzten Gesundheitswesen gemacht und Innovationsspielräume geschaffen. In der kommenden Legislaturperiode muss der eingeschlagene Weg strategisch, konsequent und nachhaltig weitergeführt werden. In diesem Positionspapier formuliert der BVMed die wichtigsten Punkte für eine leistungsfähige und nutzenstiftende digitale Gesundheitsversorgung in der Zukunft – mit besonderem Fokus auf die Medizintechnik-Branche.

MedTech-Innovationsstandort Deutschland

Das deutsche Gesundheitssystem gehört mit seinem umfassenden Versicherungsschutz und hohem Niveau der Gesundheitsversorgung zu den besten weltweit. Eine erfolgreiche Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung in Deutschland ist maßgeblich von einer digitalen Transformation abhängig, die es deshalb verdient, konsequent gefördert zu werden.

Deutschlands Gesundheitswirtschaft ist eine wichtige Wirtschaftsbranche für das Land und ein ausgewiesener Innovationtreiber. Insbesondere der deutsche MedTech-Sektor, dessen Unternehmen innovative Produkte und Gesundheitslösungen entwickeln, produzieren und international erfolgreich vermarkten, ist besonders forschungsstark und leistungsfähig. MedTech-Unternehmen sind daher ein entscheidender Partner, um die schlummernden Potenziale eines „digitalen Gesundheitssystems“ in Deutschland zu realisieren. Dafür benötigen sie ein innovations- und investitionsfreundliches Klima – um die Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung voranzutreiben und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit des Gesundheitswirtschaftsstandorts Deutschland zu stärken.

Anreize sind zum einen gute Standortbedingungen, wie beispielsweise die Ermöglichung einer sinnvollen Datennutzung zu Zwecken der Forschung und Entwicklung. Zum anderen ist es entscheidend, dass technische und regulatorische Standards unter Einbeziehung der MedTech-Unternehmen entwickelt werden. Dabei muss auf internationale Anschlussfähigkeit geachtet werden. Nationale Alleingänge sind nicht zielführend.

SVR-Gutachten als positives Zielbild

Trotz der Fortschritte hat der Sachverständigenrat (SVR) im Gesundheitswesen in seinem jüngsten Gutachten einen hohen Nachholbedarf bezüglich der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens attestiert. Um diesen Nachholbedarf wirkungsvoll zu adressieren, fordert der SVR eine Strategie zur Digitalisierung des Gesundheitswesens.

Der BVMed unterstützt das beschriebene Zielbild eines „Digitalen Gesundheitswesens“. Der SVR greift auf „best practice examples“ zurück, die in den EU-Staaten schon erprobt sind und einen klaren Nutzen für Patient:innen erkennen lassen. Darüber hinaus verweist der SVR auf entscheidende aktuelle Schwachstellen: Datenschutzregeln werden in Deutschland weiterhin sehr unterschiedlich interpretiert, die Daten im Gesundheitswesen (daher) kaum genutzt und die digitale Infrastruktur bleibt wenig leistungsfähig.

Holistischer Ansatz der digitalen Transformation des Gesundheitswesens

Neben den genannten Kritikpunkten müssen die positiven Entwicklungen der letzten Jahre hervorgehoben werden. So nimmt Deutschland mit der Einführung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) eine Vorreiterrolle im internationalen Vergleich ein. Die deutschen Krankenhäuser sollen durch die Mittel aus dem Krankenhauszukunftsfonds (KHZF) in Höhe von bis zu 4,3 Milliarden Euro fit für die digitale Zukunft gemacht werden.

Beide Beispiele definieren dabei Digitalisierung vornehmlich über prozessbezogene Anwendungen, u. a. im Rahmen der Telematikinfrastruktur (TI). Doch dies ist nur ein Aspekt der notwendigen „Digitalisierungsstrategie“.

Erst das Zusammenspiel aus Hardware und Software, sogenannte Hardware-Software-Lösungen, ermöglicht eine umfassende Digitalisierung. So können beispielsweise robotische Assistenzsysteme im OP in Verbindung mit Entscheidungsunterstützungs-Software die Behandlung von Patient:innen sinnvoll ergänzen. Angeschlossene Datenanalyse-Services, wie die Auswertung von OP-Daten zur Optimierung von Abläufen und Behandlungen, vervollständigen das Bild. Gerade die Auswertung qualitativer Hardware-Daten kann langfristig zu Produkt-, Behandlungs- und somit Qualitätsverbesserungen führen.

Der BVMed spricht sich deshalb für einen holistischen Ansatz der Digitalisierung aus, welche Hardware, Software und Datenanalyse umfasst. Diese Kombination ermöglicht es, das ganze Versorgungsspektrum abzudecken.

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, schlagen wir folgende Lösungsansätze vor.

1. Konsequente Umsetzung eines eHealth-Zielbildes

Um Deutschlands Nachholbedarf bei der digitalen Gesundheitsversorgung wett zu machen, muss die neue Bundesregierung kurzfristig ein eHealth-Zielbild entwickeln und mit Hilfe eines „Fahrplans“ sowie definierten Meilensteinen umsetzen. Klare Vorgaben sind für die Motivation aller Beteiligten wichtig, weil sie darauf basierend ihre internen Abläufe, die finanziellen Belastungen sowie personelle Ressourcen planen können.

Die Unternehmen der MedTech-Branche bieten ihre aktive Mithilfe bei der Entwicklung eines eHealth-Zielbildes und eines Umsetzungsplans an.

Folgende Punkte sollten neben der Beschreibung, wie die künftige digitale Gesundheitsversorgung aussehen soll, Bestandteil eines eHealth-Zielbildes sein:

  • Die technischen Voraussetzungen für die Digitalisierung des Gesundheitswesens, z.B. flächendeckend hohe Leitungskapazitäten, müssen kurzfristig geschaffen werden, um den Gesundheitseinrichtungen die Möglichkeit zu geben, einen entsprechend hohen digitalen Reifegrad erreichen zu können und Telehealth-Lösungen etablieren zu können.
  • Der Anspruch bei der Etablierung der Telematikinfrastruktur darf nicht nur ein hohes Sicherheitsniveau sein, sondern muss gleichermaßen eine hohe Funktionalität im Blick haben. Alle Versicherten müssen über die digitalen Datenübertragungs- und -speichermöglichkeiten umfassend informiert sein, um die Telematikanwendungen, wie die ePA und eRezept, vollumfänglich und nutzenstiftend verwenden zu können.
  • Mit der Etablierung der elektronischen Patientenakte (ePA) müssen digitale Medizinprodukte im Rahmen der Vernetzung aller Komponenten eingebunden werden. Es ist deshalb unerlässlich, dass die Festlegung der Standards für Schnittstellen und indikationsspezifische Medizinische Informationsobjekte (MIO) im Rahmen von Interoperabilitätsinitiativen gemeinsam mit der MedTech-Branche erfolgt.
  • Ein schneller Zugang von digitalen Medizinprodukten aller Risikoklassen in die Gesundheitsversorgung muss etabliert werden. Zulassungs- und Bewertungsverfahren sollten an die Innovationszyklen und Eigenschaften von digitalen Medizinprodukte angepasst werden. Nationale Gesetzgebungen sollten stets im Einklang mit den regulatorischen Anforderungen der EU an digitale Medizinprodukte sein.
  • Investitionsprogramme wie das KHZG müssen erweitert und fortgeführt werden, um die Gesundheitseinrichtungen in absehbarer Zeit auf einen technisch-aktuellen und international-wettbewerbsfähigen Stand zu bringen.
  • Um die Etablierung digitaler Gesundheitslösungen schnellstmöglich voranzubringen, ist es notwendig, spezifische und damit an die digitalen Besonderheiten angepasste Erstattungsprozesse einzuführen.
  • Datensicherheit und IT-Sicherheit müssen angesichts der zunehmenden Bedrohungslage zum Schutz der Anwender:innen und Patient:innen und für die fortlaufende Funktionsfähigkeit der Gesundheitseinrichtungen stets gewährleistet sein. Dazu müssen personelle Ressourcen und Investitionen für Sicherheitsmaßnahmen nach Stand der Technik zur Verfügung gestellt werden.
  • Mit der Digitalisierung des Gesundheitssystems geht die Notwendigkeit für den konsequenten Aufbau digitaler Kompetenzen bei Beschäftigten im Gesundheitswesen und bei Patient:innen einher. Öffentliche Informationssysteme bzw. -portale sowie Ausbildungs-, Trainings- und Weiterbildungspläne müssen mit dieser Entwicklung Schritt halten. Es muss ein Verständnis für die Grundlagen eines digitalen Gesundheitswesens geschaffen werden, damit sich Fähigkeiten für den sicheren und nutzenstiftenden Einsatz digitaler Gesundheitslösungen entwickeln können. Die Ausbildung dieser Fähigkeiten stärkt zudem das Vertrauen der Bürger:innen und Anwender:innen in die digitale Erbringung von Gesundheitsleistungen und sorgt für die deren Akzeptanz.


2. Erarbeitung einer Gesundheitsdatenstrategie

Strukturen und Produkte, die in den Versorgungsbereichen zur Anwendung kommen bzw. deren infrastrukturelle Basis darstellen, basieren auf Daten. Gesundheitsdaten werden dazu genutzt, Krankheiten vorzubeugen, frühzeitig zu erkennen und passgenau zu behandeln. Sie ermöglichen schnelle und effektive Produktentwicklungen und -verbesserungen – und sichern damit die bedarfsgerechte Patientenversorgung auf einem qualitativ und technisch hohen Niveau.

Die Bundesregierung hat im Frühjahr 2021 ihre Datenstrategie veröffentlicht. Mit dieser soll eine innovative und verantwortungsvolle Datenbereitstellung und -nutzung in Deutschland ermöglicht werden. Die Datenstrategie soll sicherstellen, dass Daten als Grundlage der digitalen Gesellschaft „innovativ, verantwortungsvoll und gemeinwohlorientiert“ genutzt werden können. Die Datennutzung durch die Gesundheitswirtschaft in Deutschland wird jedoch nach wie vor stark eingeschränkt.

Die MedTech-Branche sieht fünf Voraussetzungen für eine erfolgreiche datenbasierte Gesundheitsversorgung:

  • 70 Prozent der Forschung zu Medizininnovationen findet in Deutschland in den Unternehmen der Gesundheitswirtschaft statt. Die forschenden Gesundheitsunternehmen müssen deshalb ausdrücklich zu den nutzungsberechtigten Institutionen nach § 303e SGB V gehören, die das Antragsrecht auf die Nutzung von Daten aus dem Forschungsdatenzentrum haben.
  • Alle Patienten:innen müssen vollumfänglich über die Nutzung ihrer personenbezogenen Daten bestimmen können. Sie haben das Recht, diese Daten selbst und zur eigenen Behandlung zu nutzen, können sie aber auch zu Forschungszwecken und zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung teilen.
  • Die MedTech-Branche ist wie andere Institutionen des Gesundheitswesens bereit, bei ihr entstehende Gesundheitsdaten in aggregierter Form zur Verbesserung der Versorgung zur Verfügung zu stellen. Dies muss ohne Zusatzaufwand in personeller, finanzieller oder organisatorischer Hinsicht erfolgen.
  • Gesundheitsdaten sind am wertvollsten, wenn sie standardisiert und strukturiert vorliegen. Standards dürfen nicht einseitig für den deutschen Gesundheitsmarkt gesetzt werden, sondern anhand internationaler Standards gemeinsam mit der MedTech-Branche. Nicht nur Datenlieferung und -struktur, sondern auch die Regulierung muss bundeseinheitlich erfolgen, beispielsweise durch ein „Gesundheitsdatennutzungsgesetz“.
  • Wichtig ist, dass alle Beteiligten den gleichen, geregelten Zugang zu Gesundheitsdaten erhalten, damit ein fairer Wettbewerb, um beste Lösungen erzielen zu können, stattfinden kann. Der BVMed legt sich nicht darauf fest, ob die Dateninfrastruktur dezentral oder durch eine zentrale Clearingstelle („Treuhändermodell“) organisiert werden soll. Damit scheidet eine zentrale Verwaltung durch Institutionen der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen aus.


Fazit
Der BVMed erkennt an, dass in den letzten Jahren viele Initiativen und Aktivitäten für eine digitale Gesundheitsversorgung angestoßen worden sind. Dieses „Momentum“ muss nach der Bundestagswahl 2021 schwungvoll aufgenommen und mit voller Kraft weiter vorangetrieben werden. Im Sinne eines international-wettbewerbsfähigen und weiterhin leistungsfähigen Gesundheitswesens, welches bedarfsgerechte Versorgungslösungen für die Patient:innen zur Verfügung stellen kann, sehen wir es als notwendig an, gemeinsam an Fahrt zu gewinnen und möglichst viele Beteiligte mitzunehmen. Wir sind bereit, als MedTech-Branche unseren Teil dazu beizutragen.

Download des Positionspapiers (pdf-Datei, 4 Seiten, 12 kb)

Berlin, September 2021
  • Weitere Artikel zum Thema
  • Eine Hürde weniger für ePA und Forschung: Digitalgesetze im Bundesgesetzblatt erschienen

    Das Digitalisierungsgesetz und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz sind im Bundesgesetzblatt veröffentlich und damit am 25. März 2024 in Kraft getreten, berichtet ÄrzteZeitung Online. Der SPD-Digitalisierungspolitiker Matthias Mieves findet: Die elektronische Patientenakte funktioniert nur gut befüllt. Mehr

  • MdB Mieves beim BVMed: „Mit dem Registergesetz einen neuen Datenschatz heben“

    Mit den Digitalgesetzen sind viele wesentliche Themen auf den Weg gebracht worden. „Jetzt geht es darum, Daten besser zu nutzen und zu verknüpfen sowie mit dem anstehenden Registergesetz neue Datenschätze zu heben“. Das sagte der SPD-Digitalpolitiker Matthias Mieves auf dem Gesprächskreis Gesundheit des BVMed. Mieves ist Mitglied im Gesundheits- und im Digitalausschuss des Bundestages. Großes Potenzial für die Gesundheitsversorgung sieht er bei KI-Anwendungen, „dafür müssen wir in Deutschland aber eine bessere Datenbasis schaffen“. Mehr

  • BVMed-Whitepaper Hilfsmittelversorgung fordert Anspruch auf Therapieberatung und -management

    Der BVMed legt in einem umfangreichen „Whitepaper Hilfsmittelversorgung“ konkrete Maßnahmenvorschlägen zur Stärkung der Hilfsmittelversorgung vor. Er plädiert außerdem für die Stärkung ambulanter Strukturen durch Einbeziehung qualifizierter Fachkräfte der Hilfsmittel-Versorger vor. Der deutsche MedTech-Verband fordert unter anderem die Einführung eines Anspruchs der Versicherten auf Therapieberatung und -management, insbesondere bei Versorgungen mit beratungsintensiven Hilfsmitteln in komplexen Versorgungssituationen. Außerdem sollten auch die Fachkräfte der Hilfsmittel-Leistungserbringer in komplexe ambulante Versorgungsfälle einbezogen werden. Das BVMed-Whitepaper enthält zudem Vorschläge, um die Chancen der Digitalisierung besser zu nutzen und Bürokratie abzubauen. Mehr


©1999 - 2024 BVMed e.V., Berlin – Portal für Medizintechnik