Cookie-Einstellungen

Zur fortlaufenden Verbesserung unserer Angebote nutzen wir den Webanalysedienst matomo.

Dazu werden Cookies auf Ihrem Endgerät gespeichert, was uns eine Analyse der Benutzung unserer Webseite durch Sie ermöglicht. Die so erhobenen Informationen werden pseudonymisiert, ausschließlich auf unserem Server gespeichert und nicht mit anderen von uns erhobenen Daten zusammengeführt - so kann eine direkte Personenbeziehbarkeit ausgeschlossen werden. Sie können Ihre Einwilligung jederzeit über einen Klick auf "Cookies" im Seitenfuß widerrufen.

Weitere Informationen dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Medizin im Wandel mit KI

Millionen medizinischer Geräte führen täglich in Krankenhäusern robotergestützte Operationen, Strahlentherapien, CT-Scans oder Beatmungen durch und überwachen Patienten, quasi jedes davon mit eingebauter Software und per Definition digital. Auch in Puntko Vernetzung werden große Fortschritte gemacht, so ist der Röntgenfilm bis auf wenige Ausnahmen praktisch ausgestorben, die gesamte Radiologie kommt bereits ohne Papier aus und überträgt Bilder und Befunde digital. Hier setzt Künstliche Intelligenz an und wird mit der Zusammenführung und Analysen alle Arten an Gesundheitsdaten jeden Aspekt der Medizin transformieren.

Für die Medizinelektronik wird KI von der Diagnose bis zur Behandlung die Art und Weise verändern, wie medizinische Geräte konzipiert, getestet und optimiert werden. Durch die Integration fortschrittlicher Algorithmen, maschinellen Lernens und nun auch generativer Ansätze ermöglicht KI eine präzisere Analyse von Gesundheitsdaten, beschleunigt den Entwicklungsprozess und verbessert letztendlich die Effizienz und Wirksamkeit medizinischer Geräte und der gesamten Patientenversorgung. Diese Synergie zwischen Technologie und Gesundheitswesen verspricht nicht nur bahnbrechende Neuerungen für den Klinikalltag, Ärzte und Therapien, sondern auch eine auf den einzelnen Menschen zugeschnittene Medizin – sowie eine vielversprechende Zukunft für die Medizingeräte-Industrie.

Exponentielles Wachstum für KI in Medizingeräten

Der weltweite Markt für künstliche Intelligenz in der Medizintechnik soll laut der Analysten von Global Data mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von 29,1 Prozent von 336 Millionen US-Dollar im Jahr 2023 auf 1,2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2027 wachsen. Die Prognose dürfte deutlich untertrieben sein. So sagen die gleichen Marktforscher in einer weiteren Analyse voraus, dass allein der KI-Markt in der diagnostischen Bildgebung 2027 1,2 Milliarden erreichen wird; robotergestützte chirurgische Systeme sollen mit KI bis 2033 um 15,7 Prozent jährlich auf 7,2 Milliarden US-Dollar wachsen.

Auch KI-Technik-Primus Nvidia ist für die Medizintechnik fundiert optimistisch. Kimberly Powell, Vice President Healthcare bei Nvidia, sagt: »Medizin wird das nächste Milliardengeschäft für Nvidia sein, und zwar schon bald.« Der Marktführer für Grafikprozessoren, welche als Rechenbausteine die Grundlage für KI-Training und -Applikationen bilden, bezieht neben Medizingeräten auch KI-gestützte Klinikworkflows und die Arzneimittelentwicklung mit ein. Doch speziell Medizingeräte sind ein tragendes Standbein der Nvidia-Planung, so konkretisiert Powell: »Unser Fokus liegt darauf, MedTech-Hersteller dabei zu unterstützen, ihre Medizingeräte intelligent zu machen – in Echtzeit.«

Klinische KI-Anwendungen

Die KI schlüpft in die Rolle eines digitalen Behandlers und unterstützt in Echtzeit eine fundierte Erstmeinung zum Gesundheitszustand. Sie wertet dafür alle verfügbaren Daten effektiver aus, als es Menschen je möglich wäre. Beispielsweise können Blutwerte oder die Leistung einzelner Organe mittels Sensoren permanent überwacht werden. Eine große Menge an Daten verbunden mit dem Wissen der KI mündet am Ende in Behandlungsvorschläge. Mediziner ergänzen diese um ihr Wissen und individuelle Beobachtungen der Patientinnen und Patienten.

Basierend auf der Bild- und Umgebungserkennung mit klassischen Machine Learning- und Deep Learning-Methoden gelten die Bildgebung in der Radiologie und Robotik in der Chirurgie als Pionierdisziplinen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Medizintechnik.

KI in der Radiologie

KI-Algorithmen sind in der Lage, Auffälligkeiten wie Lungenherde, Tumore oder Knochenbrüche in CT-, MRT- oder Röntgenbildern zuverlässig zu erkennen. Zudem ermöglicht KI die Erstellung von 3D-Volumenbildern, welche mit 360° Ansichten die Diagnostik und die Erklärbarkeit gegenüber Patienten vereinfachen.

Doch die Schlussfolgerungen aus den Radiologiebildern anhand KI gehen noch weiter: Künstliche Intelligenz kann etwa auf Basis von MRT-Bildern individuelle Aussagen über Diagnosen, kognitive Leistungsfähigkeit und sogar Persönlichkeitsmerkmale treffen, wie Wissenschaftlerteams zeigen. Auch die individuelle Abschätzung von Prognose und Verlauf einer neurologischen Erkrankung scheint durch den Einsatz von KI bei der Analyse der Bildgebung möglich zu werden. »Das Potenzial der neuen Verfahren für die frühe Diagnose und Therapie ist enorm«, sagt Prof. Dr. Simon Eickhoff, Direktor des Instituts für Neurowissenschaften und Medizin am Forschungszentrum Jülich.

Für den radiologischen Worklflow sind KI-Tools eine echte Hilfe oder auch Rettung: Die Anzahl der Untersuchungen steigt stark, dem höheren Workload stehen fehlende radiologische Fachkräfte gegenüber, die klinischen Prozesse müssen schneller und effektiver werden. Bei weniger Zeit pro Befund steigt jedoch auch die Fehlerquote. KI kann helfen, exaktere und schnellere Ergebnisse zu erzielen und sowohl Patienten als auch Ärzte im Diagnoseprozess Sicherheit vermitteln. Mit Künstlicher Intelligenz (KI) ist es möglich, einen Tumor innerhalb weniger Minuten automatisch zu segmentieren, seine Lage zu bewerten und andere Parameter zu messen. Diese Automatisierung ermöglicht eine schnellere Entscheidungsfindung und führt zu einer signifikanten Steigerung des Patientendurchlaufs.

In Nordrhein-Westfalen setzt eine Klinikgruppe bereits auf den AI-Rad Companion von Siemens Healthineers als Wochenend- und Abendunterstützung in der Radiologie. Der diensthabende Arzt, beispielsweise ein Internist oder Pneumologe, erhält Unterstützung außerhalb seines Fachgebiets durch die KI-Befunde. Ein menschlicher Radiologe stellt den endgültigen Befund im nächsten Dienst fest, aber die Algorithmen können dem Patienten direkt helfen. In der Radiologie wird KI immer mehr zum Kollegen oder zumindest zum Assistenten. Das Gute daran ist, dass die KI-Tools nachgerüstet und nahtlos in bestehende Radiologiesysteme integriert werden können, angefangen beim Scan über das PACS (Picture Archiving and Communication System) bis hin zum Befund.

Medizinische Robotik

Ohne künstliche Intelligenz ist die medizinische Robotik nicht denkbar. Die Roboter-Chirurgen wie »Da Vinci« von Intuitive Surgical oder »Hugo« von Medtronic, der auf Basis des DLR-Systems Miro Surge entwickelt wurde, müssen ihre Umgebung visuell wahrnehmen und exakt einordnen, um sofortige Entscheidungen zu treffen. Nur dann können die chirurgischen Assistenzsysteme auf Basis von KI-Algorithmen minimal-invasive Operationen mit höchster Präzision durchführen. Sowohl in der Radiologie wie auch in der Chirurgie gibt es bereits viele KI-unterstütze Medizinprodukte, die mit FDA-Zulassung und CE-Kennzeichen bereits in der klinischen Praxis angekommen sind.

Moon Surgical ist eines der jüngeren, sehr bemerkenswerten Beispiele im Markt für medizinische kollaborative Robotik. Die Firma wurde erst 2019 gegründet und konnte sein »Maestro«-System, welches Chirurgen bei minimalinvasiven Operationen an den menschlichen Weichteilen unterstützt, sowohl mit einer FDA-Zertifizierung wie einem CE-Kennzeichen für Europa zulassen. Innerhalb des Maestro-System helfen Nvidia-Chips, das Telerobotik-Laparoskop mit der nötigen Echtzeit-Rechenleistung auszustatten und dabei so klein und flexibel zu halten, dass es nahtlos in die klinischen Abläufe passt. Das Connext-System von RTI bündelt und orchestriert die Echtzeit-Datenströme in dem digitalen Ökosystem auf Basis des Data Distribution Service (DDS) Standard.

Als Vorzeige-Projekt in der allgemeinen Chirurgie darf das intelligente Endoskopie-Modul GI Genius gelten, welches durch eine intensive Zusammenarbeit des Herstellers Medtronic mit Nvidia und Cosmo Pharmaceuticals in nur neun Monaten zur FDA-Zulassung gebracht wurde. Das erste KI-unterstützte Koloskopie-Gerät hilft Ärzten, Polypen besser zu erkennen, die zu Darmkrebs führen. In klinischen Tests erkannten Ärzten über das KI-integrierte Medizingerät 50 Prozent mehr Läsionen.

3D-Bildgebung im OP

Mit immer leistungsstärkeren KI-Chips und Embedded Medical-Bausteinen wächst die 3D-Bildverarbeitung in der Medizin. Bereits 2022 hat die FDA die Algorithmen von Philips AI zugelassen, um MRT-Bilder in CT-Bilder umzuwandeln. Mit der erweiterten medizinische Bildgebungsmodalität können für Patienten sowohl die Strahlenbelastung als auch die Anzahl an Untersuchungen reduziert werden. Die mehrdimensionalen Bilder helfen in allen Diagnose- und Therapiestadien Patienten ihre Krankheit verständlicher zu erklären und im wahrsten Sinne des Wortes »vor Augen zu halten«.

Im Operationsaal schickt sich AR und VR an, die Arbeitsabläufe von Chirurgen neu zu denken. Insbesondere die neue Apple Vision Pro soll eine Revolution im OP auslösen: Schon vor Einführung prognostizierte der amerikanische Arzt Dr. Rafael Grossmann, dass die Brille aus Cupertino Ärzten Superkräfte verleihe und »ein Segen für die Produktivität« sei. Mit XR-Brillen müssen Ärzte ihren Kopf nicht zu den Displays drehen, das »Spatial Computing« bringt alle relevanten Daten direkt ins Blickfeld; während einer OP bestenfalls in Echtzeit auf Augenlinie der Doktoren. Dass die erweiterte Realität auch den Erfolg von Eingriffen beeinflusst, wird am Helios-Klinikum Berlin-Buch bereits bewiesen. Dort hilft AR bei OPs an der Wirbelsäule, Stäbe und Schrauben passgenau einzusetzen – weit präziser als es selbst versierten Chirurgen ohne AR gelänge.

Herausforderung der KI-Entwicklung für Medizingeräte

Pragmatisch gesehen sind KI-Tools Software. Mit dem Unterschied, dass die intelligente Software-Form großen Hunger nach Daten und Rechenleistung hat und in der Medizin die Sicherheit der Patienten und Ärzte in höchstem Maße gewährleistet werden muss. Zudem müssen medizinische KI-Entscheidungen für Ärzte und erweitert auch für Patienten nachvollziehbar und erklärbar sein.

KI-Software medizinkonform entwickeln

Fehlprogrammierungen in KI-Appikationen sind für Laien oder auch Mediziner oft nur schwer bis gar nicht festzustellen. Der MDR folgend müssen medizinische Software-Produkte und somit auch KI-Tools entwickelt, geprüft und in klinischen Studien getestet werden. Laut der EU-Medizinprodukteverordnung kann auch die Software selbst als Medizinprodukt gelten kann, insbesondere wenn sie der Erkennung oder Behandlung von Krankheiten dient.

Die CE-Kennzeichnung ist ein wichtiger Schritt für das Inverkehrbringen von medizinischer Software in Europa. Die EU-Verordnungen 2017/745 und 2017/746 liefern ein umfassendes Verständnis des CE-Kennzeichnungsprozesses und des Konformitätsbewertungsverfahrens, etwa in welche Risikoklasse ein Medizinprodukt fällt (Klassen I, IIa, IIb oder III) und welche regulatorischen Anforderungen dafür jeweils gelten. Ein wichtiges Dokument ist zudem das MDCG-Dokument 2019-11, das die Qualifikation und Klassifizierung von Stand Alone Software gemäß MDR regelt. Normen wie ISO 14971 für das Risikomanagement von Medizinprodukten und ISO 9001 für Qualitätskontrollprozesse spielen eine entscheidende Rolle bei der sicheren Entwicklung von medizinischer Software. Benannte Stellen wie der TÜV Süd unterstützen Firmen zudem mit Testing-Services für Medizinprodukte und In-Vitro-Diagnostika bis zur MDR-Zulassung.

Der AI-Act

Zusätzlich zur MDR hat die Europäische Union gerade den AI Act als übergreifendes KI-Gesetz verabschiedet. »Die Medizintechnikhersteller müssen also neben die bisherige Risikoprüfung und Dokumentation nach MDR jetzt noch den AI Act legen und prüfen, ob ihre Produkte unter die dortige KI-Definition fallen; und wenn ja, in welche Risikoklasse. Sie müssen bisher unbekannte Risiken überprüfen und wieder dokumentieren, wie sie sicherstellen, dass nichts passiert, « fasst Hans-Peter-Bursig die Auswirkungen für die Medizinprodukte-Hersteller zusammen.

Trotz des doppelten Aufwandes mahnt Bursig die MedTech-Firmen, die Hände nicht in den Schoss zu legen und den AI Act sorgfältig zu prüfen. Nachdem es aktuell noch viele Unklarheiten zur genauen Auslegung des Gesetzestextes gibt, wird eine EU-Arbeitsgruppe Klärungen erarbeiten. Für diesen Stakeholder-Prozess sammelt Verbände wie der ZVEI die offenen Fragen der Hersteller. »Wir brauchen für die Interpretation des AI Acts die Rückmeldung der Hersteller. [...] Da reicht zunächst eine grobe Orientierung: Bin ich als Unternehmen vom AI Act betroffen? Wenn ja, wo und welche Fragen habe ich dazu?«

KI-Support für die Software-Entwicklung

KI kann nicht nur für neue Funktionen in Medizingeräten sorgen, sie kann auch während der Entwicklung und Zertifizierung äußerst hilfreich sein.

Für die Software-Entwicklung in Medizinprodukten ist die Norm ISO/IEC/EN 62304 maßgeblich und definiert Anforderungen für verschiedene Prozesse des Software-Lebenszyklus, einschließlich Sicherheitsklassen und Dokumentationsaufwand. Innerhalb der dort obligatorischen statischen Code-Analyse für die Identifizierung und Priorisierung von Code-Verletzungen in medizintechnischer Software kann eine Kombination aus KI und Machine Learning die Analyse vereinfachen, ebenso wie für UI-Tests (User Interface), API-Tests (Application Program Interface) und Unit-Tests. Künstliche Intelligenz erleichtert das Entwickeln und Verwalten von automatisierten Tests über die gesamte Entwicklungspipeline.

Auch bei der Zulassung und dem Inverkehrbringen von Medizinprodukten kann Künstliche Intelligenz den langwierigen, stark regulierter Prozess, vor allem mit Blick auf die technische Dokumentation, beschleunigen. Um die Zeitspanne von der Entwicklung bis zur Zertifizierung zu verkürzen, entwickelt die Technischen Universität Dresden innerhalb des KIMEDS-Projektes eine KI-gestützte Sicherheitslösung über den gesamten Lebenszyklus medizinischer Software an. »Wir streben einen integrierten, KI-basierten Ansatz zur Überwachung von Produktsicherheitsrisiken an, der den gesamten Lebenszyklus medizinischer Software abdeckt, von der Entwicklung über die Zertifizierung bis hin zur Produktüberwachung«, erklärt Stephen Gilbert, Professor für Medical Device Regulatory Science am EKFZ für Digitale Gesundheit der TU Dresden. Mit den entsprechenden KI-Software-Werkzeugen sollen komplexe und für den Menschen schwer überschaubare Spezifikationen auf Vollständigkeit und Konsistenz sowie auf ihre logischen Konsequenzen hin überprüft werden – für mehr Sicherheit, Transparenz und eine einfachere Zertifizierung medizinischer Software und KI-Tools.

Trainingsdaten & Erklärbarkeit

Das Bootleneck für die KI-Entwicklung ist – zumindest in Deutschland – die Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten, mit genügend Tiefe und einer ausreichenden Fallzahl für ein verlässliches Training der Algorithmen. Um beispielsweise KI-Tools für seltene Indikationen und Spezialfälle zu entwickeln, reichen die anonymisierten Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus. Für das Training einer KI-gestützte Überwachung von Intensivbetten werden vollständige Krankengeschichten benötigt, »einschließlich der Daten darüber, welches Signal zu welcher Minute von welchem Monitor im Krankenhaus ausgegeben wurde. Nur so kann die KI das Wissen einer erfahrenen Pflegekraft mit 10 Jahren Berufserfahrung replizieren,« erklärt Hans-Peter Bursig, Bereichsleiter Gesundheit beim ZVEI. Der Regulatorik-Experte fügt hinzu: »In Deutschland gestaltet sich der Zugang zu diesen Daten äußerst aufwendig.«

Klinische Partnerschaften sind ein Weg für Forschende und Hersteller von KI-basierten Medizingeräten und medizinischen Software-Tools an entsprechende Datensätze für das Training der Algorithmen zu gelangen. Die ETH Zürich beispielsweise kooperierte mit der Kuno Klinik St. Hedwig in Regensburg, um einen Algorithmus zu entwickeln, der spezifische Herzfehler bei Neugeborenen automatisch und zuverlässig erkennt. Die ETH-​Forschenden haben die KI anhand hunderter Videoaufnahmen von Herz-​Ultraschalluntersuchungen von 192 Neugeborenen trainiert, um die von erfahrenen Kinderkardiologen gestellte Diagnose »Pulmonale Hypertonie« und ihren Schweregrad per Software stellen zu lassen. Wie gut der Algorithmus die Bilder interpretieren kann, wurde danach anhand des ursprünglichen Datensatzes und einem zweiten, dem Modell noch gänzlich unbekannten Datensatz mit Ultraschall-​Bildern von 78 Neugeborenen überprüft. Dem Modell gelang es in rund 80-​90 Prozent der Fälle, die richtige Diagnose vorzuschlagen und in bis zu 85 Prozent den korrekten Schweregrad der Erkrankung zu bestimmen.

Die ETH-Professorin Julia Vogt hat mit ihrem Team einen weiteren wichtigen Aspekt von Künstlicher Intelligenz im klinischen Alltag aufgriffen: die Erklärbarkeit. Es ist für Ärzte als auch Patienten von großer Bedeutung zu wissen, aufgrund welcher Parameter und Indikationen Entscheidungen getroffen werden. Im Falle der KI-gestützten Diagnose pulmonaler Hypertonie markiert das Modell in den Ultraschallbildern diejenigen Bereiche, aufgrund derer es seine Einteilung getroffen hat. Die Mediziner können sich also genau anschauen, welche Stellen oder Eigenschaften des Herzens und seiner Gefäße dem Modell auffällig erschienen. Das Wissen, welche Daten für die Entscheidungen der KI herangezogen werden, macht die »Blackbox KI« transparent. Das mindert die bei Patienten noch verbreitete Angst gegenüber der Technologie und erhöht zudem das Vertrauen der Ärzte in di neuen Assistenz-Tools.

Technische und klinische KI-Integration

Auf Hardwareseite erweist sich Embedded-KI als echter Innovationstreiber in der Medizin: Mit mehr Rechenpower auf immer kleineren Bauteilen wandert die KI in die Geräte. Viacheslav Gromov vom deutschen Embedded-KI-Anbieter Aitad sagt: »Die direkte Einbettung der KI-Funktionen in die Medizingeräte ermöglicht, was die Medizintechnik seit Jahren als Herausforderung sah, aber aufgrund technischer Beschränkungen nicht realisieren konnte. Die künstliche Intelligenz ist nun im Device selbst praktizierbar, ohne den Einsatz von sicherheitskritischen Cloud-Anbindungen oder größeren, teureren Zentralelementen wie PCs oder großen GPU-gestützten Steuerungen.«

Im Gegensatz zu Edge-KI, wo die Datenverarbeitung an der Netzwerkkante oder auch der Cloud passiert, fungiert Embedded-KI fungiert als autarke Lösung. Ein Großteil der Verarbeitungsschritte wird sicher und in Echtzeit direkt im Device realisiert. Das Gesamtergebnis liegt lokal vor. Als wesentliche Trendtreiber dieser Technologie sieht der Embedded-Experte die Kerneigenschaften von Embedded-KI – Sicherheit, Ressourcenreduzierung und Kostenreduktion im Sinne der nicht benötigten Netzwerkanbindung. Gleichzeitig fungiere sie in Echtzeit, liefert also Ergebnisse und Entscheidungen innerhalb von Millisekunden.

Software-Implementierung im Krankenhaus

Auf Softwareseite stellt die Vielzahl an Medizingeräten, Software und nun KI-Tools und die Kliniken vor jede Menge IT-seitige Herausforderungen. Schnittstellen, Sicherheitsprüfungen und regelmäßige Updates sind nur einige Punkte, die in der Krankenhaus-IT sorgfältig orchestriert werden müssen, um KI-Produkte nahtlos in die bestehende Klinik-Systemlandschaft einzufügen. Die Klinik und Poliklinik für Radiologie am LMU Klinikum setzt auf eine Partnerschaft mit dem Münchener MedTech-Unternehmen deepc, um KI in der klinischen Praxis in der Breite anzuwenden. Mit einer einmaligen Installation wird so eine Vielzahl kuratierter KI-Anwendungen DSGVO-konform in die bestehende IT-Infrastruktur der Klinik integriert. Alle KI-Lösungen sind regulatorisch geprüfte und zugelassene Medizinprodukte. Auch der notwendige Datenschutz wird großgeschrieben: Die Pseudonymisierung der Befunddaten von Patienten erfolgt dabei vor Ort (on-premise), die Prozessierung der Daten auf sicheren Cloud-Servern, die Re-Identifikation wieder on-premise.

Boj-Friedrich Hoppe, Radiologe und Ärztlicher Leiter im Team Digitale Agenda am LMU Klinikum, sagt: » Statt einzelne KI-Lösungen ressourcenintensiv und einzeln zu integrieren, haben wir mit DeepcOS über ein einzelnes Gate unkompliziert Zugriff auf eine Vielzahl von KI-Lösungen. Und das mit einem einheitlichen technischen und rechtlichen Framework.« Das LMU-Klinikum startet mit mehreren auf der Plattform verfügbaren Algorithmen, z.B. im Bereich der Frakturerkennung und Schlaganfallunterstützung. Prof. Clemens Cyran, geschäftsführender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Radiologie, plant bereits mit deepc weiter: »Wir möchten, dass unsere Kollegen künftig bei kritischen Notfallbefunden, die die KI in den Bilddaten erkennt, in Echtzeit alarmiert werden, um so eine zeitnahe Patientenversorgung zu unterstützen. Einen weiteren Schwerpunkt werden wir auf die tiefe Integration verschiedener Lösungen in die bestehenden klinischen Workflows legen, wie beispielsweise die automatische Überführung der Ergebnisse in Befundtexte oder auch eine Integration mit dem RIS/PACS im Rahmen einer Worklist Priorisierung.«

KI-Medizin ist die Zukunft

Die Kombination aus Digitalisierung, Automatisierung und Künstlicher Intelligenz verändert das gesamte Gesundheitswesen derzeit in Schallgeschwindigkeit. In Kliniken und Arztpraxen bilden vernetzte Medizingeräte, Sensorik zur 24/7 Vitaldatenüberwachung am oder im Patienten sowie die elektronische Patientenakte (ePA), übergreifende Datenmanagementsysteme, Big Data Auswertungen sowie viele weitere Technologien den perfekten Ansatzpunkt für Künstliche Intelligenz nach Mustern, Zusammenhängen, medizinischen Therapie und effizienten Workflows zu suchen, die wir uns heute noch nicht im Ansatz vorstellen können. Ein zentraler Antrieb ist der Shift weg von der Behandlung von Krankheiten hin zur proaktiven Prävention, um Menschen gar nicht erst krank werden zu lassen.

24/7-Vitaldaten per Wearable

Einen großen Beitrag zur sogenannten P4-Medizin (personalisiert, prädiktiv, präventiv und partizipativ) leistet hier die Verschmelzung von Consumer Elektronik und Medizintechnik, wie sie an Smartphones und Fitnessuhren zu beobachten ist. Die intelligenten Wearables messen Herzschlag, Schlafrhythmus, Sauerstoffsättigung im Blut und weitere Vitalparameter bereits sehr zuverlässig, die nicht-invasive Blutzucker-Messung soll in den nächsten Jahren einen Durchbruch für Diabetiker und Prä-Diabetiker bringen. KI-Algorithmen werden die smarten Medizingeräte für den Alltag mit einer höheren Relevanz durch neuartige Analysen und der für Ärzte notwendigen Präzision ausstatten. So erfasst die App »Guardio« des Fraunhofer IGD aus Rostock mit der Nutzung der Bewegungssensoren im Smartphone mehrkanaligen EKGs ganz ohne Elektroden oder Hautkontakt. Während sich der Patient im Falle einer Rhythmusstörung das Handy ans Herz legt, nimmt die App herzinduzierte Bewegungssignale auf und transformiert diese mit KI-Unterstützung in entsprechende Elektrokardiogramme. Es ist kein Arzt oder kein medizinisches Fachwissen nötig, durch die Nutzung zuhause soll der Diagnosezeitraum von bisher 10 Jahren auf wenige Monate verkürzt werden.

Digitale Zwillinge in der Medizin

Ein wesentlicher Teil der virtuellen Diagnostik und Medizin werden Digitale Zwillinge sein, insbesondere bei der Vorbereitung von Operationen, der Entwicklung von Medizinprodukten und personalisierten Therapien. Ähnlich wie in der Industrie werden digitale Zwillinge genutzt, um Szenarien zu simulieren und den effektivsten Weg für klinische Workflows oder eine Behandlung zu finden. Im Bereich der Medizingeräte ermöglichen digitale Zwillinge Ärzten eine bessere Vorbereitung komplexer Operationen. Mithilfe eines KI-gestützten Zwillings können Mediziner den Eingriff und die Verwendung von Medizingeräten bereits in einer simulierten Umgebung am Patienten durchführen, lange bevor sie den Operationssaal betreten. Digitale Zwillinge bieten dabei gleich dreifachen Nutzen: Zum einen generieren sie in der Simulation neue, synthetische Daten, die zur weiteren Schulung von KI-Modellen verwendet werden können. Zum anderen nutzen Medizingerätehersteller digitale Zwillinge bereits für ihre Entwicklungsprozesse. Und schließlich werden auch digitale Zwillinge des menschlichen Körpers erstellt, die höchste Genauigkeit und Präzision erfordern. Diese anatomischen Zwillingsmodelle werden sowohl für die Entwicklung von Medizingeräten und das Training von Operationen auf Körperebene als auch für die Entwicklung von Medikamenten auf zellulärer Ebene eingesetzt, um alle chemischen Prozesse im menschlichen Körper nachzubilden.

Generative künstliche Intelligenz (GenKI) kann unstrukturierte Daten deutlich besser analysieren als die klassischen KI-Ansätze, im Gegensatz zu Machine und Deep Learning ist es in der Lage, neue und eigene Inahlte zu erstellen. Auch in der Modellierung komplexer Beziehungen und dem Umgang mit Mehrdeutigkeit sowie der Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI übertrifft GenKI bisherige Modelle weit und bietet damit einen radikal umwälzenden Ansatz für die Komplexität und die Herausforderungen im Gesundheitswesen: Beispielsweise verkürzt GenKI in der Medikamenten-Forschung die Zeit zur Entdeckung neuer Wirkstoffe auf wenige Monate und kann in der personalisierten Medizin und Genomik helfen, zu schnelleren Diagnosen zu kommen und bei der Entdeckung und Evaluation neuer, bisher unbekannter Behandlungsmethoden helfen.

Generative KI als Boom-Faktor

Mit dem Start von ChatGPT und anderen Large Language Modellen wird generative Künstliche Intelligenz (genKI) als Schlüsseltechnologie zur Steigerung von Produktivität und Effizienz im Gesundheitswesen angesehen. Sie hat das Potenzial, klinische Prozesse zu revolutionieren, indem sie beispielsweise die Dokumentation von Operationen automatisiert. Vision-Systeme könnten eigenständig den Zeitpunkt eines chirurgischen Schnitts erkennen und diesen dokumentieren, was Zeit und Arbeitsaufwand für das medizinische Personal erheblich reduziert. Darüber hinaus werden sprachgestützte KI-Programme den klinischen Alltag verändern, indem sie Ärzten bei der Erstellung von Arztbriefen und Diagnosen assistieren, die dann nur noch überprüft und freigegeben werden müssen. Nach Ansicht von Experten wird KI und speziell genKI den Krankenhausalltag verändern, wie Microsoft Office vor über 30 Jahren die Büroarbeit. »Die Zukunft der künstlichen Intelligenz liegt für mich darin, Echtzeit-Entscheidungskompetenz an alle Ecken des Gesundheitssystems zu bringen. Keine Leuchtturmprojekte, sondern umfassende Co-Piloten,« sagt Kimberly Powell von Nvidia.

Die Verschmelzung von klassischer und generativer Künstlicher Intelligenz (KI) über individuelle Vitaldaten und einen digital-vernetzten und automatisierten Klinikalltag markiert einen Wendepunkt in der Medizin und Medizintechnik, indem sie die Tür zu einer hochgradig personalisierten Gesundheitsversorgung aufstößt. Während klassische KI Muster in großen Datenmengen erkennt und Vorhersagen trifft, erweitert generative KI die Möglichkeiten durch die Erstellung neuer, datenbasierter Inhalte, von Diagnoseunterstützung bis hin zur Behandlungsplanung. Diese Synergie ermöglicht eine präzisere, effizientere und individuell zugeschnittene Patientenversorgung, die den Weg zu einer wahrhaft personalisierten Medizin ebnet.

Quelle: elektroniknet.de vom 20. März 2024 / Autorin: Ute HäußlerExterner Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab.

Ihr Kontakt zu uns

Service

News abonnieren

Sie möchten auf dem Laufenden bleiben?
Abonnieren Sie unsere kostenlosen Newsletter, E-Mail-Alerts zu unseren Themen oder Pressemeldungen.

Jetzt abonnieren

Das könnte Sie auch interessieren

  • Europapolitik
    MdEP Svenja Hahn beim BVMed: „Europa muss wieder wettbewerbsfähiger werden“

    Spezialrecht wie die EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) muss auf europäischer Ebene klar Vorrang vor Horizontalrecht wie der kürzlich verabschiedeten KI-Verordnung (AI-Act) haben, um Doppelregulierungen zu verhindern. Das sagte die Europaabgeordnete Svenja Hahn (FDP) bei einer BVMed-Gesprächsrunde.

    Pressemeldung30.04.2024

    Mehr lesen
  • Untersuchung vor einer Katarakt-Operation

    Auge
    Künstliche Intelligenz unterstützt Augenärzte bei der Glaukom-Therapie

    In der Ophthalmologie wird viel Bilddatenmaterial gesammelt – ein ideales Experimentierfeld für Machine- und Deep-Learning-Systeme. Bei Glaukom erleichtern sie Diagnostik und Therapiesteuerung, berichtet ÄrzteZeitung-Online. Regelmäßige Augeninnendruckmessungen, Gesichtsfelduntersuchungen, hochauflösende Darstellungen der Netzhaut mittels optischer Kohärenztomographie (OTC) – all das...

    Artikel22.03.2023

    Mehr lesen
  • Wundversorgung
    BVMed-Forum „Eine Stunde Wunde“ | Zukunftsforscher Solte: KI kann in der Wundversorgung unterstützen

    Unterstützung in der Diagnose „Am Anfang einer Wundversorgung steht die Blickdiagnose, die auch die mögliche Kausalität einer Wunde ermittelt“, erklärt Dr. Dirk Solte, Fachexperte für Zukunftsforschung beim Medical Data Institute und Experte für KI, auf dem BVMed-Forum. An dieser Stelle könne bereits eine gut trainierte KI unterstützen. Ausgerüstet mit einer Kamera und Tiefensensoren...

    Pressemeldung03.02.2023

    Mehr lesen

Kommende Veranstaltungen

  • Webinar
    Artificial Intelligence Act | MDR trifft KI!

    Schon heute fließen KI-Elemente (Künstliche Intelligenz) in Medizinprodukte ein. Die Entwicklung medizinischer Software unterliegt dabei den strengen Vorgaben der Medical Device Regulation (MDR). In Zukunft wird bei der Entwicklung und Zertifizierung von KI-Medizinprodukten auch der Artificial Intelligence Act (AIA) als neue horizontale Regulierung von KI in der EU eine wichtige Rolle spielen.

    SeminarDigital
    17.06.2024 14:00 - 15:30 Uhr
    Veranstalter: BVMed-Akademie
    Schwerpunkt: Digitalisierung

    Zur Veranstaltung: Artificial Intelligence Act | AIA

Ihre Vorteile als BVMed-Mitglied

  • Organisation

    In über 80 Gremien mit anderen BVMed-Mitgliedern und Expert:innen in Dialog treten und die Rahmenbedingungen für die Branche mitgestalten.

  • Information

    Vom breiten Serviceangebot unter anderem bestehend aus Veranstaltungen, Mustervorlagen, Newslettern und persönlichen Gesprächen profitieren.

  • Vertretung

    Eine stärkere Stimme für die Interessen der Branche gegenüber politischen Repräsentant:innen und weiteren gesundheitspolitischen Akteur:innen erhalten.

  • Netzwerk

    An Austauschformaten mit anderen an der Versorgung beteiligten Akteur:innen, darunter Krankenkassen, Ärzteschaft oder Pflege teilnehmen.

Die Akademie

Von Compliance über Nachhaltigkeit bis hin zu Kommunikation. Unsere Akademie bietet der MedTech-Community eine Vielfalt an Veranstaltungen zur Fort- und Weiterbildung an. Entdecken Sie unsere Seminare, Workshops und Kongresse.

Zu den Veranstaltungen