Zulassung und Nutzenbewertung

Wie sicher und nützlich sind Medizinprodukte?

Warum übernehmen wir nicht das Zulassungssystem aus den USA?


Weil das europäische System die Besonderheiten der Medizinprodukte – Stichworte: Heterogenität, kurze Innovationszyklen, andere Wirkweise – besser berücksichtigt. Das europäische System bietet den Patienten einen sicheren und schnelleren Zugang zu modernen Medizintechnologien.

Beispiel minimalinvasiver Herzklappenersatz per Katheter (TAVI): Die Methode ist sicher und ermöglicht älteren Patienten, die eine OP am offenen Herzen nicht überleben würden, einen Klappenersatz.
  • In Europa erhielt das Produkt im September 2007 die CE-Kennzeichnung und damit den Marktzugang. Seitdem gibt es durch Weiterentwicklungen (Stichwort: "Schrittinnovationen") bereits die dritte Klappengeneration, die noch sicherer und wirksamer ist.
  • In den USA wurde die Methode von der FDA erst im Oktober 2011 zugelassen. Europäische Patienten konnten die lebensrettende Innovation also vier Jahre früher nutzen.
  • Stand der Technik ist nach der US-Zulassungsstudie dabei die zweite Klappengeneration, während europäische Patienten von neueren Klappengenerationen profitieren.

Für das US-System gibt es keinen Nachweis, dass es Vorteile für die Patientensicherheit bietet.
Das zeigte eine Vergleichsstudie der Boston Consulting Group aus dem Jahr 2011, die unter anderem alle Rückrufe analysierte.

In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zum geplanten Handelsabkommen TTIP vom Sommer 2015 teilt das Bundeswirtschaftsministerium mit, dass das Zulassungssystem der USA für Medizinprodukte nicht zu einem erhöhten Patientenschutz gegenüber dem europäischen System führt. Zitat: "Europa hat vor mehr als 20 Jahren einen anderen regulatorischen Weg beschritten, der sich bewährt hat. Die Einschätzung, dass das US-amerikanische staatliche Zulassungssystem generell zu einem erhöhten Verbraucher- und Patientenschutz führt, ist durch vorliegende Daten nicht belegbar."

Ein Report des niederländischen Gesundheitsministeriums vom Februar 2015 („Comparison of market authorization systems of medical devices in USA and Europe“) kommt zu der Schlussfolgerung:
„Ein Vergleich der Marktzulassungsverfahren in den USA und Europa zeigt, dass die Grundidee der Gesetzgebung ähnlich ist. In beiden Systemen steigen die Anforderungen an den Marktzugang mit dem wahrgenommenen Risiko eines Medizinprodukts. Darüber hinaus kann der Marktzugang einfacher erlangt werden, wenn eine Gleichwertigkeit zu einem bereits im Markt vorhandenen Produkt nachgewiesen wird, und in beiden Systemen obliegt die Verantwortung für den Marktzugang von Produkten der niedrigsten Risikoklasse allein dem Hersteller. (..)
Aufgrund der jeweiligen Anforderungen kann nicht festgestellt werden, dass eines der beiden Systeme bei richtiger Anwendung zu einem anderen Maß an Qualität und Sicherheit als das andere führt. In beiden System wird daran gearbeitet, Möglichkeiten zur Stärkung der Systeme zu entwickeln, insbesondere in Europa, wo eine neue Gesetzgebung geschaffen wird.“

In den USA wird übrigens nur ein kleiner Bruchteil an Medizinprodukten im Rahmen Ihrer Zulassung dem anspruchsvollen PMA-Prozess unterzogen, der für Medizinprodukte der Klasse III vorgesehen ist. Die anspruchsvollen Regeln gelten also nur für wenige Produkte, für die es kein vergleichbares Vorgängerprodukt gibt. Im Jahr 2009 haben 20 Produkte den PMA-Prozess erfolgreich durchlaufen, 2010 waren es 27 und 2011 waren es 51 Medizinprodukte. Im Gegensatz dazu wurden in den letzten Jahren etwa 3.000 Produkte jährlich in den USA über den einfacheren 510(k)-Weg zugelassen. Angaben des DIMDI zufolge werden in Europa jährlich etwa 320 Klasse-III-Medizinprodukte in den Markt gebracht, mit hohen Sicherheitsstandards.

Viele Produkte, die in Europa in der höchsten Klasse eingestuft werden, sind in den USA in einer niedrigeren Risikoklasse eingestuft und können ohne umfangreiche klinische Studien den Weg in den Markt finden. So sind einfache passive Instrumente aus der Neurochirurgie in Europa als Klasse III-Produkt eingestuft, in den USA gehören sie zur niedrigsten Risikoklasse I.
  • Weitere Artikel zum Thema
  • MDR-Konferenz der BVMed-Akademie: „MDR inhaltlich weiterentwickeln“ | Erstmals Zulieferer-Panel mit dem VDMA

    Die Verschiebung der Übergangsfrist der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) vom März 2023 war sinnvoll und notwendig, hinterlässt in der Praxis aber weiter ungeklärte Fragen. Auch bleiben die inhaltlichen Probleme mit der MDR. Das meinten die Regulatory-Expert:innen Barbara Lengert von Johnson & Johnson und Frank Matzek von Biotronik auf der dritten MDR-Konferenz der BVMed-Akademie. Dr. Katrin Westphal vom Bundesgesundheitsministerium sprach von „Signalen“, dass die Debatte über die inhaltliche Weiterentwicklung der MDR nach den Europawahlen im Frühjahr 2024 erfolge. Erleichterungen in der Praxis verspricht sich Matzek durch die anstehenden Änderungen bei der Auslegung von „significant changes“: Schrittinnovationen dürften nicht behindert werden und Änderungen eines Materials oder von Verpackungen sollten künftig ohne Neuzertifizierungen möglich sein. Erstmals fand im Rahmen der MDR-Konferenz ein eigenständiges Zulieferer-Panel statt. Mehr

  • BR-Film | Neue EU-Regelung: Ein Risiko für die Gesundheitsversorgung?

    Die EU fordert eine aufwändige und teure Neuzulassung bereits etablierter Medizinprodukte. Darum könnten bald rund 30 Prozent der Produkte auf dem Markt fehlen, schätzt der Branchenverband BVMed. Die EU bessert zwar nach – doch das Problem bleibt, zeigt das Bayrische Fernsehen in einem neuen Film auf. Neben Orthopäden und Kinderkardiologen kommen auch MdEP Peter Liese und ein EU-Kommissionssprecher zu Wort. Mehr

  • Europäischer Rat beschließt Änderungen der EU-Medizinprodukteverordnung

    Nach dem Europäischen Parlament hat am 7. März 2023 auch der Rat Änderungen der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) durch die Annahme eines Vorschlags der EU-Kommission beschlossen. Die Benannten Stellen und Hersteller erhalten damit mehr Zeit für die Zertifizierung von Medizinprodukten, das Risiko von Versorgungsengpässen wird gemindert. Der Legislativvorschlag sieht neben längeren Übergangsfristen für die Anpassung an die MDR auch die Abschaffung der Abverkaufsfrist vor. Der BVMed fordert, die MDR pragmatischer umzusetzen und strategisch weiterzuentwickeln. Mehr


©1999 - 2023 BVMed e.V., Berlin – Portal für Medizintechnik