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 - Zulassung und Nutzenbewertung Wie sicher und nützlich sind Medizinprodukte?

Artikel29.09.2016

Wie sicher und nützlich sind Medizinprodukte? Wir geben Antworten auf häufig gestellte Fragen von Medienvertretern (FAQs). Alle Inhalte finden Sie auch hier kompakt in einem pdf-Dokument.

Warum werden Medizinprodukte nicht wie Arzneimittel staatlich zugelassen?

Weil es wesentliche Unterschiede zwischen Medizinprodukten und Arzneimitteln gibt. Medizinprodukte sind heterogener, haben kurze Innovationszyklen und eine grundsätzlich andere Wirkweise als Arzneimittel.

  • Medizinprodukte umfassen eine große Bandbreite: Pflaster, Inkontinenzprodukte, Einmalspritzen oder Infusionspumpen, aber auch Gelenkimplantate, Herzschrittmacher oder Computertomographen.
  • Aus dieser Vielfalt leiten sich auch verschiedene Risiken der Produkte ab: von sehr geringem bis hohem Risiko.
  • Die Hauptwirkung von Medizinprodukten ist physikalisch, sie müssen also technisch oder mechanisch "funktionieren", um den medizinischen Zweck zu erfüllen. Im Unterschied zu Arzneimitteln spielen Nebenwirkungen kaum eine Rolle.
  • Bei den meisten Medizinprodukten ist der Nutzen direkt ersichtlich: Beispiel Hilfsmittel wie Rollstühle, Gehhilfen, Inkontinenzhilfen oder Stomaprodukte.
  • Produkte mit höherem Risiko werden von speziell geschultem Personal angewendet. Im Falle von Implantaten handelt es sich um einen operativen Eingriff durch einen Arzt. Der Erfolg eines solchen Eingriffs hängt neben einem sicheren und leistungsfähigen Medizinprodukt in erster Linie von den Fähigkeiten des Operateurs und später von einem korrekten Verhalten des Patienten ab.
  • Die Produkte werden kontinuierlich weiterentwickelt. Daher sind die Produktzyklen mit 2 bis 3 Jahren relativ kurz und werden "Schrittinnovationen" genannt. Beispiel Herzschrittmacher: Seit der ersten Implantation 1958 wurde er in zahlreichen Schritten weiterentwickelt und optimiert. Moderne Schrittmacher oder ICD-/CRT-Geräte sind heute kleiner, leistungsstärker, können vor plötzlichem Herztod schützen, chronische Herzschwäche therapieren und telemedizinische Überwachung ermöglichen. Batterien und Elektroden werden immer leistungsfähiger.

Aufgrund dieser Besonderheiten der Branche und ihrer Produkte hat sich der Gesetzgeber 1993 für andere gesetzliche Rahmenbedingungen und gegen einen zentralen Zulassungsansatz wie bei Arzneimitteln entschieden. Der Stand der Technik wird dabei über europaweit harmonisierte Normen beschrieben. Diese Normen werden fortlaufend überarbeitet und an den medizintechnischen Fortschritt angepasst.

Der Marktzugang für Medizinprodukte über die CE-Kennzeichnung ist dabei zeitlich befristet – im Gegensatz zu Arzneimitteln.

  • Spätestens alle fünf Jahre werden das Qualitätsmanagementsystem und die Produkte "re-zertifiziert".
  • Nach der Erstzertifizierung finden zudem jährliche Wiederholungsaudits der Medizinprodukte-"Zulassungsstellen", der sogenannten "Benannten Stellen", statt.
  • Außerdem finden spätestens alle drei Jahre – bei Hochrisikoprodukten sogar häufiger – unangekündigte Audits der Benannten Stellen beim Hersteller und dessen wichtigsten Lieferanten statt, bei denen Stichproben aus der Produktion gezogen und überprüft werden

.

Warum übernehmen wir nicht das Zulassungssystem aus den USA?

Weil das europäische System die Besonderheiten der Medizinprodukte – Stichworte: Heterogenität, kurze Innovationszyklen, andere Wirkweise – besser berücksichtigt. Das europäische System bietet den Patienten einen sicheren und schnelleren Zugang zu modernen Medizintechnologien.

Beispiel minimalinvasiver Herzklappenersatz per Katheter (TAVI): Die Methode ist sicher und ermöglicht älteren Patienten, die eine OP am offenen Herzen nicht überleben würden, einen Klappenersatz.

  • In Europa erhielt das Produkt im September 2007 die CE-Kennzeichnung und damit den Marktzugang. Seitdem gibt es durch Weiterentwicklungen (Stichwort: "Schrittinnovationen") bereits die dritte Klappengeneration, die noch sicherer und wirksamer ist.
  • In den USA wurde die Methode von der FDA erst im Oktober 2011 zugelassen. Europäische Patienten konnten die lebensrettende Innovation also vier Jahre früher nutzen.
  • Stand der Technik ist nach der US-Zulassungsstudie dabei die zweite Klappengeneration, während europäische Patienten von neueren Klappengenerationen profitieren.

Für das US-System gibt es keinen Nachweis, dass es Vorteile für die Patientensicherheit bietet.
Das zeigte eine Vergleichsstudie der Boston Consulting Group aus dem Jahr 2011, die unter anderem alle Rückrufe analysierte.

In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zum geplanten Handelsabkommen TTIP vom Sommer 2015 teilt das Bundeswirtschaftsministerium mit, dass das Zulassungssystem der USA für Medizinprodukte nicht zu einem erhöhten Patientenschutz gegenüber dem europäischen System führt. Zitat: "Europa hat vor mehr als 20 Jahren einen anderen regulatorischen Weg beschritten, der sich bewährt hat. Die Einschätzung, dass das US-amerikanische staatliche Zulassungssystem generell zu einem erhöhten Verbraucher- und Patientenschutz führt, ist durch vorliegende Daten nicht belegbar."

Ein Report des niederländischen Gesundheitsministeriums vom Februar 2015 („Comparison of market authorization systems of medical devices in USA and EuropeExterner Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab.“) kommt zu der Schlussfolgerung:
„Ein Vergleich der Marktzulassungsverfahren in den USA und Europa zeigt, dass die Grundidee der Gesetzgebung ähnlich ist. In beiden Systemen steigen die Anforderungen an den Marktzugang mit dem wahrgenommenen Risiko eines Medizinprodukts. Darüber hinaus kann der Marktzugang einfacher erlangt werden, wenn eine Gleichwertigkeit zu einem bereits im Markt vorhandenen Produkt nachgewiesen wird, und in beiden Systemen obliegt die Verantwortung für den Marktzugang von Produkten der niedrigsten Risikoklasse allein dem Hersteller. (..)
Aufgrund der jeweiligen Anforderungen kann nicht festgestellt werden, dass eines der beiden Systeme bei richtiger Anwendung zu einem anderen Maß an Qualität und Sicherheit als das andere führt. In beiden System wird daran gearbeitet, Möglichkeiten zur Stärkung der Systeme zu entwickeln, insbesondere in Europa, wo eine neue Gesetzgebung geschaffen wird.“

In den USA wird übrigens nur ein kleiner Bruchteil an Medizinprodukten im Rahmen Ihrer Zulassung dem anspruchsvollen PMA-Prozess unterzogen, der für Medizinprodukte der Klasse III vorgesehen ist. Die anspruchsvollen Regeln gelten also nur für wenige Produkte, für die es kein vergleichbares Vorgängerprodukt gibt. Im Jahr 2009 haben 20 Produkte den PMA-Prozess erfolgreich durchlaufen, 2010 waren es 27 und 2011 waren es 51 Medizinprodukte. Im Gegensatz dazu wurden in den letzten Jahren etwa 3.000 Produkte jährlich in den USA über den einfacheren 510(k)-Weg zugelassen. Angaben des DIMDI zufolge werden in Europa jährlich etwa 320 Klasse-III-Medizinprodukte in den Markt gebracht, mit hohen Sicherheitsstandards.

Viele Produkte, die in Europa in der höchsten Klasse eingestuft werden, sind in den USA in einer niedrigeren Risikoklasse eingestuft und können ohne umfangreiche klinische Studien den Weg in den Markt finden. So sind einfache passive Instrumente aus der Neurochirurgie in Europa als Klasse III-Produkt eingestuft, in den USA gehören sie zur niedrigsten Risikoklasse I.

Warum ist die Industrie gegen eine zentrale staatliche Zulassung?

Das dezentrale europäische System bietet Patienten einen schnelleren Zugang zu Innovationen. Es ist unbürokratischer und ebenso sicher. Das zeigen vergleichende Untersuchungen des europäischen und US-amerikanischen Systems zu Produktrückrufen.

Der Marktzugang für Medizinprodukte wird in Europa durch so genannte "Benannte Stellen" durchgeführt, die in Deutschland staatlich akkreditiert und überwacht werden. In Deutschland gibt es rund 15 dieser Zulassungsstellen für Medizinprodukte.

Die Unternehmen der Medizintechnologie setzen sich zur Verbesserung der Patientensicherheit für eine Verbesserung der Benennung und Überwachung der Benannten Stellen sowie für eine verbesserte Kontrolle bei Herstellern und im Markt ein.

Stimmt es, dass Medizinprodukte weniger getestet werden als ein Föhn (Behauptung ARD-Magazin) oder ein "Fahrradträger für Kleinwagen" (Behauptung AOK-Bundesverband)?

Natürlich nicht.

Medizinprodukte durchlaufen umfangreiche technische und klinische Tests, bevor sie in klinischen Studien erprobt und beim Patienten angewendet werden.

  • Beispiel Kardiologie: Herzschrittmacher werden mehr als 40.000 Stunden geprüft, bis alle erforderlichen Tests durchgeführt sind. Insgesamt sind über 100 zulassungsrelevante Normen und zusätzlich mehr als 100 unternehmenseigene Normen für Herzschrittmacher zu beachten. Diese Testdokumentationen stehen dann den Zulassungsstellen zur Verfügung.
  • Beispiel Gelenkersatz: Eine der zahlreichen speziellen Normen, die Prüfnorm zur Belastung und zum Verschleiß des Hüftgelenkersatzes, umfasst 5 Millionen Zyklen zur Beanspruchung des Prothesenkopfes und 10 Millionen Testzyklen zum Übergang des Prothesenhalses zum Hüftprothesenschaft. Diese Verschleißprüfungen bei Hüftgelenkprothesen werden von speziell dafür entwickelten Geräten durchgeführt. Beim Kniegelenkersatz simulieren spezielle Prüfverfahren das Versagen eines Implantats bei Dauerbelastung. Je nach Test werden rund 10 Millionen Zyklen durchgeführt. Einzelne Simulationsgeräte für Knieimplantate erreichen 1,2 Milliarden Gangzyklen.

Hinzu kommt ein speziell für Medizinprodukte eingeführtes Qualitäts-Management-System, das Kontrollen im technischen Labor oder Chargen- und Stichprobenprüfungen während der Produktion umfasst.

Die hohen Anforderungen an die Sicherheit und Leistungsfähigkeit von Medizinprodukten umfassen zusammengefasst:

  • eine Risikoanalyse und Risikobewertung zum Nachweis der Sicherheit,
  • den Nachweis der Einhaltung aller relevanten Gesetze und Normen,
  • die Durchführung einer klinischen Bewertung zum Nachweis der Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit sowie
  • ein umfassendes Qualitätsmanagementsystem.

Stimmt es, dass für Medizinprodukte klinische Studien nicht vorgeschrieben sind?

Nein, das ist falsch. Fakt ist:

Für alle implantierbaren Medizinprodukte und Produkte der Klasse III sind grundsätzlich klinische Prüfungen durchzuführen, sofern nicht ausnahmsweise die Verwendung bestehender klinischer Daten ausreichend gerechtfertigt ist. Die Durchführung klinischer Prüfungen von Medizinprodukten orientiert sich an den gleichen Anforderungen wie für den Arzneimittelbereich. Dazu gehören:

  • ein dezidierter Prüfplan durch einen qualifizierten Prüfarzt,
  • der Nachweis der Sicherheit des betreffenden Produktes,
  • eine Genehmigung des BfArM,
  • die zustimmende Bewertung der zuständigen Ethik-Kommission,
  • die Aufklärung und Einwilligung des Patienten und
  • der Abschluss einer Probandenversicherung,
  • die Überwachung der klinischen Prüfung durch die zuständige Behörde.

Also soll im Medizinproduktebereich alles so bleiben, wie es ist?

Nein. Die Überarbeitung des Rechtsrahmens für Medizinprodukte war und ist erforderlich.

Die erkannten Schwachstellen im Medizinprodukte-Zulassungssystem sind durch die Beschlüsse der Europäischen Kommission vom Oktober 2013 angegangen worden. Eine "Durchführungsverordnung" (920/2013/EU) enthält strengere Kriterien für die Benennung und Überwachung der Benannten Stellen. Außerdem stellt eine Empfehlung der Kommission (2013/473/EU) klar, welche Aufgaben diese Stellen bei der Durchführung von Audits und Bewertungen im Medizinproduktebereich zu erfüllen haben. Damit liegen klare Grundlagen für unangekündigte Audits, Probenahmen oder gemeinsame Bewertungen durch Benannte Stellen vor. Dieses Regelwerk hat schon in kurzer Zeit gezeigt, wie die Kontrolle bei Unternehmen und im Markt verbessert werden kann.

Am 25. Mai 2016 hat das Europaparlament, der Rat und die EU-Kommission zudem den „informellen Trilog“ zur neuen europäischen Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation – MDR) abgeschlossen. Die Einigung ist ein guter Kompromiss, der die Patientensicherheit in Europa weiter verbessert. Mit den neuen Regelungen wird das europäische Sicherheitsniveau auf den hohen Standard der deutschen Regelungen angehoben.

  • Durch die neuen Regelungen werden wichtige Elemente aus dem deutschen Recht auch auf europäischer Ebene eingeführt. Dazu gehören unter anderem die verpflichtende Einführung eines Implantate-Passes, die Einführung der „verantwortlichen Person“ nach dem deutschen Vorbild des Medizinprodukte-Sicherheitsbeauftragten sowie die Orientierung an den deutschen Regelungen zur Durchführung von unangekündigten Audits (UAAs).
  • Auch die Harmonisierung der nationalen Marktüberwachung in den EU-Mitgliedstaaten orientiert sich an der Koordination der Marktüberwachungs-Maßnahmen in Deutschland.
  • Weitere Aspekte sind die Pflicht zum Unterhalt einer Haftpflichtversicherung bzw. die ausreichende Bildung von Rücklagen für Schadensfälle nach dem Vorbild der deutschen Betriebshaftpflichtversicherung und die Verschärfung des Schutzes der Patientendaten.
  • Zu den weiteren Maßnahmen der EU-Medizinprodukte-Verordnung gehört, dass die klinische Bewertung verschärft wird. Die Transparenz des Marktgeschehens wird durch die europaweite Datenbank Eudamed verbessert. Außerdem wird das „System der einmaligen Produktnummer“ (UDI - Unique Device Identification) verpflichtend eingeführt.

Mehr Informationen und Hintergründe unter www.bvmed.de/medizinprodukteExterner Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab..

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