ICD und Telekardiologie

Patientengeschichte Katharina Bauer: Stabhochspringerin auf dem Weg nach Olympia - und den Lebensretter immer dabei

Schon als Kind erfährt Katharina Bauer, dass sie unter einer Herzrhythmusstörung leidet. Sie geht dennoch unbeirrt ihren Weg als Spitzensportlerin. 2018 wird sie Deutsche Hallenmeisterin im Stabhochsprung. Sie bereitet sich gezielt auf die nächsten Olympischen Spiele in Tokio vor. Inzwischen lebt die 30-Jährige mit einem Defibrillator – als weltweit erste Stabhochspringerin.

„Als ich sieben Jahre alt war, wurde bei einer Sportuntersuchung festgestellt, dass ich zusätzliche Herzschläge habe, etwa 5.000 bis 6.000 am Tag“, erinnert sich Katharina Bauer. Sie ist damals Kunstturnerin und gerade Teil des deutschen Kaders geworden. Normalerweise schlägt ein menschliches Herz rund 100.000 Mal am Tag. Die Zahl ihrer zusätzlichen Herzschläge wird als nicht gefährlich eingeschätzt. Sie hat keine spürbaren Beschwerden.

Mit der Herzrhythmusstörung wächst sie auf, wechselt vom Kunstturnen zur Leichtathletik, feiert erste Erfolge als Juniorin beim Stabhochsprung. Mit 18 steht sie kurz vor dem Abitur, als sie ihr Herz zum ersten Mal tatsächlich spürt. Sie erzählt: „Ich saß gerade in der Mensa und hatte plötzlich ein Drücken im Herzen und spürte ein Stolpern, mehrfach hintereinander weg.“ Ihr wird kurz schwindelig. „Es hat nach wenigen Sekunden aufgehört und alles war wieder normal.“

Die Ärzte versuchen die Ursache zu finden, aber ohne Erfolg. Katharina Bauer arrangiert sich damit. „Ich brauchte halt mehr Pausen und Ruhezeiten und konnte nicht so volle Kanne trainieren wie meine Mitkonkurrenten“, sagt sie. „Nichtdestotrotz habe ich es ja bis an die Weltspitze geschafft.“

Operation bringt kurzfristige Erleichterung

2016 bewirbt sich die inzwischen 26-Jährige bei der Bundeswehr. Dafür muss sie sich einer aufwendigen medizinischen Untersuchung unterziehen. „Damals dachte ich, mein Gott, da wird man wirklich zur kompletten Durchsichtigkeit gezwungen. Aber im Nachhinein bin ich dafür total dankbar.“

Denn: Auch ein neues Langzeit-EKG über drei Tage muss Katharina Bauer machen. Dort ist zu sehen, dass die zusätzlichen Herzschläge inzwischen auf 18.000 am Tag angestiegen sind. Das letzte Langzeit-EKG liegt zu dem Zeitpunkt rund drei Jahre zurück. „Das war ein krasser Anstieg – und dann plötzlich doch lebensbedrohlich.“

Gemeinsam mit ihren Kardiologen entscheidet sich Katharina Bauer 2017 zu einer Operation, einer sogenannten elektrophysiologischen Untersuchung (EPU). Dabei werden die Stellen im Herzmuskelgewebe lokalisiert, an denen die zusätzlichen Herzschläge entstehen, und anschließend mithilfe von Wärmeimpulsen verödet.

Die Operation dauert viereinhalb Stunden. Der Arzt kann gut zwei Drittel der Stellen behandeln, die zusätzlichen Herzschläge sind nur noch bei 3.000 am Tag. Katharina Bauer schwärmt: „Danach war es für mich ein befreiendes Lebensgefühl. Ich hatte einen Energieschub und bin im Training explodiert.“ In der Hallensaison 2018 erfüllt sie sich sogar den Traum von der deutschen Hallenmeisterin. „Ich bin 4,51 Meter gesprungen, es war sensationell.“

Doch der Effekt der Operation hält nur ein halbes Jahr. Im März 2018 macht sie erneut ein 3-Tages-EKG und fliegt anschließend nach Südafrika ins Trainingslager. Dort erfährt sie, dass die extra Herzschläge wieder bei 15.000 am Tag sind und sie erneut operiert werden muss. „Ich bin dann rasch nach Hause geflogen und hatte zwei Tage später den OP-Termin“, erzählt sie. „Es standen ja auch die Europameisterschaften in Berlin an, da wollte ich es so schnell wie möglich erledigen und wieder fit werden.“

Schockierende Diagnose

Im Krankenhaus wird sie zu einem Gespräch ins Ärztezimmer gebeten. „Ich habe mich schon gewundert und ahnte nichts Gutes.“ Die Ärzte sagen ihr, dass auf dem EKG auch ein Schlag zu sehen gewesen sei, der zum plötzlichen Herztod führen kann. „Das ist der Schlag, den ich schon mit 18 das erste Mal gespürt habe.“

Ihr wird klar: Seit gut 10 Jahren lebt sie mit einem Herzschlag, der Kammerflimmern auslösen und sie umbringen kann. „Das muss man erst mal verarbeiten.“

Im selben Gespräch erklären ihr die Ärzte, dass die geplante Operation nicht durchgeführt werden kann. Zunächst braucht Katharina Bauer einen Defibrillator, um das Risiko durch das Kammerflimmerns auszuschalten. Sie erinnert sich: „Ich hatte bis dahin noch nie von einem Defi gehört. Es klang für mich nach etwas, was nur alte Menschen mit Herzproblemen haben.“

Ein Defibrillator ist ein kleines Gerät, ähnlich einem Herzschrittmacher, das im oberen linken Brustbereich unter der Haut implantiert wird. Der „Defi“ erkennt, wenn eine Herzrhythmusstörung wie Kammerfllimmern auftritt, und gibt dann über eine Elektrode gezielt Stromstöße ab. Diese beenden das Flimmern, das Herz schlägt wieder normal. Rund 45.000 Patienten erhalten in Deutschland jedes Jahr einen Defibrillator.

Die Diagnose ist ein Schock für Katharina Bauer. „Ich hatte das Gefühl, mir wird der Boden unter den Füßen weggerissen.“ Dann lässt sie sich Informationsmaterial geben, ihre Eltern und ihr Trainer kommen zu ihr ins Krankenhaus, sprechen auch nochmal mit den Ärzten. Sie erinnert sich: „Wenn es schon keine Wahl gibt, wollte ich wenigstens wissen, was ich da bekommen sollte.“

Sie fragt sich auch, wie es mit dem Sport weitergeht. „Niemand konnte mir sagen, ob ich mit einem Defi überhaupt Stabhochsprung machen kann. Das gab es bislang noch nicht auf der Welt.“ Die Ärzte sind der Ansicht, dass sie ihre Karriere wird beenden müssen. „Ich habe durchgeatmet und mir gesagt: Das ist jetzt eine Meinung“, sie lacht ein wenig. „Aber mir kann ja niemand verbieten, es zu versuchen. Ich bin da rangegangen wie an jede andere Verletzung auch.“

Schon fünf Tage später soll ihr der Defibrillator eingesetzt werden. Jeder Tag zählt nun, denn das Kammerflimmern kann jederzeit auftreten. Sie berichtet von der Zeit: „Da fängt dann plötzlich das Gedankenkarussell an. Ich dachte, jeden Moment ist es vorbei, und habe nur gehofft, dass in diesen fünf Tagen nichts passiert.“

Die Operation findet im April 2018 statt. Sie dauert nicht mehr als eine Stunde, Routine für die Ärzte. Katharina Bauer ist ein bisschen schummerig: „Was ich im Vorhinein gruselig fand, war die Tatsache, dass während der OP mein Herz stillgehalten wird – um zu testen, ob der Defi auch funktioniert. Diese Vorstellung war krass.“

Aber alles verläuft bestens, nach drei Tagen darf Katharina Bauer schon das Krankenhaus verlassen. Sie macht drei Wochen Pause, um sich zu erholen und damit die Narben gut verheilen können.

Defi als neuer Wegbegleiter

Katharina Bauer erhält einen Subkutanen Defibrillator (S-ICD), der in der linken mittleren Axillarlinie, also unterhalb der Achselhöle eingesetzt wird. Sie spürt ihn dort. Er ist so groß wie eine Handfläche, wiegt rund 130 Gramm. Sie erinnert sich: „Drei Wochen nach der OP war ich zum ersten Mal wieder joggen, und der Defi hat an der Seite gewackelt, das war schon komisch.“

Doch nur mit dem Subkutanen Defibrillator war es Katharina Bauer wieder möglich, ihre Sportkarriere fortzusetzen. Anders als bei normalen Defibrillatoren wird beim S-ICD keine Elektrode im Herzen platziert. Die Elektrode verläuft unter Haut im Brustbereich. „Hätte ich einen normalen Defi bekommen, wäre es mit dem Sport definitiv vorbei gewesen. Da wäre die Elektrode mit dem Herzen verbunden gewesen und hätte nicht verrutschen dürfen.“

Sie fängt vorsichtig wieder mit dem Sport an. „Lustigerweise hat der Stabhochsprung nicht wehgetan. Beim Laufen hatte ich manchmal Schmerzen“, erinnert sie sich. „Aber ich musste neu lernen, wie ich landen kann, natürlich möglichst nicht auf der Seite.“

Sechs Wochen nach der OP nimmt sie an einem Wettkampf in ihrer Wohnortnähe teil. „Ich hatte ja kaum trainiert, aber ich dachte, mein Gott, mache ich es halt als Trainingswettkampf, es kann ja nichts passieren.“ Sie springt 4,20 Meter und qualifiziert sich damit direkt für die deutsche Meisterschaft. „Das hätte mir keiner zugetraut. Viele waren skeptisch, ob ich überhaupt jemals wieder springen kann.“

„Schutzengel“ mit Telemedizin

Ihre positive Einstellung hilft ihr. Sie sagt: „Ich habe den Defi von Anfang an als neuen Wegbegleiter gesehen.“ Für sie ist es ein gutes Gefühl, ihren Lebensretter rund um die Uhr dabei zu haben. „Er ist wie ein Schutzengel für mich. Mir kann nix passieren.“

Etwa alle vier Monate checkt sie die Funktion des Defibrillators mithilfe eines telemedizinischen Geräts. Wurde ein Schock abgegeben? Funktioniert er einwandfrei? Wie lange läuft die Batterie noch? Sie erklärt: „Ich setze mich neben das Gerät und es übermittelt die Daten an meinen Arzt. Ich kann es auch zwischendurch mal machen, wenn ich ein komisches Gefühl habe.“

Bester Tag des Lebens

Die Operation war aber auch eine Zäsur im Leben von Katharina Bauer. „Mein Leben hat sich seitdem neu entwickelt“, sagt sie. „Vor allem wurden mir beruflich neue Wege aufgezeigt.“ Sie ist aktiv in der Speakerszene, hält Vorträge über ihre Lebensgeschichte, macht Patienten mit einer ähnlichen Diagnose Mut. Sie sagt mit fester Stimme: „Ich dachte, der Tag der Diagnose wäre der schlimmste meines Lebens. Aber er hat sich zum besten Tag meines Lebens gewandelt, weil sich daraus so viel ergeben hat.“

Katharina Bauer erhält viel Post von Leuten, die durch ihre Geschichte ermutigt wurden, trotz Defi auch wieder mit Sport anzufangen. „Zu Recht, denn man kann ja eigentlich alles wieder machen.“

Für Betroffene gibt es nur wenige Einschränkungen. Wie auch Schrittmacher-Patienten müssen sie sich vor Magnetwellen schützen, dürfen etwa an den Ausgängen von Geschäften nicht in der Diebstahlsicherung stehen bleiben. „Und mit dem Handy darf ich nur am rechten Ohr telefonieren“, sagt Katharina Bauer. Für Flugreisen erhalten Betroffene einen Ausweis, damit sie nur manuell abgetastet werden.

Anderen Patienten empfiehlt Katharina Bauer, den Defibrillator positiv anzunehmen. „Wenn man selbst unglücklich ist, heilt man auch nicht, denke ich.“ Auf jeden Fall sollten Betroffene weiterhin aktiv sein. „Man muss den Herzmuskeln ja auch trainieren. Immer zuhause auf der Couch zu liegen, hilft da nicht.“

Katharina Bauer sagt heute: „Ich bin dankbar für alles, jeden Sprung, jeden Wettkampf, den ich machen kann.“ 2020 stehen noch Wettkämpfe an, auch die deutsche Meisterschaft im August. „Da freue ich mich drauf. Auch wenn es nicht das gleiche sein wird ohne Zuschauer wegen Corona.“ Und das große Ziel danach: Olympia 2021. „Ich hoffe, das wird fantastisch.“
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