Körperstolz
Patientengeschichte Torsten Kraft
17.05.2018|

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Motiv Inkontinenz
Motiv und Interview als Broschüre (pdf-Download)
Herr Kraft, Sie leben mit Inkontinenz. Wie kam es dazu?
Bei mir ist es seit der Geburt so. Meine Eltern haben sich von Anfang an Gedanken darüber gemacht, aber ich habe eigentlich erst mit dem Schulbeginn gemerkt, dass da etwas anders ist. In der Pubertät bin ich dann von Arzt zu Arzt gerannt und habe alles Mögliche an Medikamenten ausprobiert. Die Nebenwirkungen der Medikamente waren bei mir aber sehr stark. Irgendwann habe ich dann akzeptiert, dass die Inkontinenz einfach zu mir gehört.
Und Sie haben sich dazu entschieden, Windeln zu tragen. Warum?
In meinen Augen sind die Medikamente, die es für Inkontinenz gibt, bescheiden. Auf mich hatten sie sehr viele Nebenwirkungen, da sie die Muskulatur verkrampfen, damit der Schließmuskel der Blase zu bleibt. Weil die Medikamente nicht gezielt nur dort wirkten, wo sie sollten, hatte ich immer wieder Muskelschmerzen. Außerdem hatte ich Nebenwirkungen auf der Haut. Andere Möglichkeiten wie Beinbeutel und Urinalkondome haben mich nicht wirklich überzeugt. Beckenbodengymnastik habe ich auch versucht, aber das wirkte bei mir nicht. In Absprache mit dem Hausarzt habe ich mich dann für Windeln entschieden: Gerade weil ich beruflich viel in Bewegung bin, auf dem Dach herumklettere, ¬¬sind Windeln eigentlich das beste Produkt. Botox möchte ich demnächst aber auch ausprobieren.

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Woher beziehen Sie die Windeln und was ist Ihnen bei der Auswahl wichtig?
Ich hole sie in der nächstgrößeren Stadt im Sanitätshaus. Geliefert werden sollen sie lieber den Menschen, die es wirklich nötig haben. Zum Beispiel älteren Leuten, die nicht mehr mobil sind. Mir ist – gerade bei meinem Job – der Auslaufschutz sehr wichtig. Und natürlich auch die Saugstärke und der Geruchsschutz. Bei Windeln hängt es echt vom Preis ab, ob sie was taugen oder nicht... Die hochpreisigen sind gut, werden aber nur gegen Aufzahlung verkauft.
Was bedeutet die Inkontinenz für Sie konkret im Alltag? Fühlen Sie sich in manchen Aktivitäten eingeschränkt?
Ich muss es ganz ehrlich sagen, die Inkontinenz behindert mich nicht. Ich muss natürlich immer darauf achten, dass ich genug Ersatzprodukte dabeihabe. Und na ja, beim Schwimmen ist man dann eingeschränkt, aber sonst eigentlich nicht.
Wie oft müssen Sie denn das Produkt wechseln?
Das kommt ganz darauf an. Wenn ich auf dem Oktoberfest bin und Bier trinke, dann natürlich ziemlich oft. Aber normalerweise ungefähr sechsmal am Tag.
Inkontinenz und Inkontinenzhilfen sind oft Tabuthemen. Wie gehen Sie im täglichen Leben damit um?
Ich binde es niemandem auf die Nase, aber wenn jemand es mitbekommt, dann sage ich: „Ja, es ist so, das ist meine Krankheit.“ Es ist mir nicht unangenehm, darüber zu sprechen, weil es ja zu mir gehört. Aber ich würde auch nicht auf Menschen zugehen und sagen: „Nur damit du es weißt, ich bin inkontinent.“ Total schlimm war es in der Pubertät. Klar, da hat man die erste Freundin und man fragt sich schon, wie sie reagieren wird. Heute sehe ich es lockerer – und mit meiner Freundin bin ich schon seit 12 Jahren zusammen. Mein Glück war auch, dass meine Schule an eine Montessori-Schule angegliedert war und wir viele Mitschüler mit Behinderung hatten. Das hat dazu beigetragen, dass wir ziemlich aufgeschlossen und rücksichtsvoll waren.
Was würden Sie anderen Menschen raten, die an Inkontinenz leiden?
Es nicht zu verstecken oder zu verheimlichen, sondern offen damit umzugehen und zu lernen, damit zu leben. Es ist natürlich schwer, aber es ist der erste Schritt, um die Inkontinenz zu akzeptieren. Früher oder später trifft sie ja womöglich jeden...
Wie würden Sie Ihre Lebensqualität beschreiben?
Die Inkontinenz schränkt mein Leben kaum ein. Ich sage immer: Es gibt viel Schlimmeres. Wenn ich beispielsweise einen Arm oder ein Bein verlieren würde, könnte ich meinen Beruf nicht mehr ausüben. Das ist mein Traumberuf und ihn zu verlieren, würde mich viel härter treffen.

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Was macht Ihnen außer dem Beruf Freude?
Wandern ist für mich und meine Freundin pure Entspannung. Wir sind Mitglieder in einem Wanderverein und gehen eigentlich jedes Wochenende wandern. Einfach durch die Natur laufen und vom Arbeitsalltag abschalten. Wir nehmen uns ein Ziel vor, können uns aber so viel Zeit lassen, wie wir wollen. Das ist richtige Entspannung! Außerdem lese ich gerne und viel. Dabei habe ich keine festen Präferenzen, das Buch muss einfach ansprechen.
Haben Sie ein Lebensmotto?
„Lebe dein Leben und verändere dich für niemanden. Bleibe immer du selbst.“ Das ist schon immer mein Motto.
Ihre Teilnahme an der Kampagne „Körperstolz“ ist ein mutiger Schritt in die Öffentlichkeit: Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Weil ich anderen Menschen zeigen möchte, dass man auch mit einer Beeinträchtigung ein ganz normales Leben führen kann – ohne sich verstecken oder erklären zu müssen. Denn jeder Mensch ist anders.
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Wie würden Sie denn den Satz beenden: „Ich bin stolz auf meinen Körper, weil ...“
„ ... ich bin, wie ich bin!“
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