Gelenkersatz bewegt

Patientengeschichte Sascha Deiters: Mit zwei künstlichen Hüften an der Kletterwand

Mit Mitte 40 spürt Sascha Deiters (51) erstmals Schmerzen in der Hüfte. Binnen wenigen Jahren werden sie so stark, dass der Industriekletterer und Hochleistungssportler kaum noch laufen kann. Er entscheidet sich für zwei künstliche Hüftgelenke – mit denen er heute wieder ohne Einschränkungen arbeiten und seinem Sport nachgehen kann.

„2015 waren die Schmerzen so stark, dass ich keine Strecke von mehr als 200 Metern am Tag gehen konnte“, erinnert sich Sascha Deiters. Es ist gerade mal zwei Jahre her, dass er erstmals ein Stechen in der rechten Hüfte verspürt hatte. Der Weg bis zur richtigen Diagnose ist lang. Er berichtet: „Es hat sich zunächst angefühlt wie Leistenschmerzen. Es hat zwei Jahre gedauert, bis ein Arzt endlich ein Röntgenbild von der Hüfte gemacht hat.“

Dort ist zu sehen, dass Sascha Deiters eine Fehlstellung der Hüfte hat, eine sogenannte Hüftdysplasie. Diese angeborene Fehlstellung betrifft etwa 2 bis 3 Prozent aller Neugeborenen. Frühzeitig erkannt, kann sie meist behoben werden, weshalb in Deutschland Babys heute routinemäßig darauf gecheckt werden. „Ich bin Jahrgang 69“, sagt er, „damals war das mit dem Screening noch ganz am Anfang.“

Die Schmerzen werden rasch schlimmer. Der heute 51-Jährige betreibt eine Boulderhalle in Bielefeld. Bouldern ist das seilfreie Klettern in Absprunghöhe über Weichbodenmatten. Die künstlichen Kletterwände sind bis zu 4,50 Meter hoch. An den Wänden sind kleine, farbige Griffe und Tritte angebracht, mit denen die Sportler ihre Routen definieren. Sascha Deiters ist selbst passionierter Boulderer, schafft die schwersten Boulder. Er erklärt: „Der Schwierigkeitsgrad bemisst sich beispielsweise daran, ob man zwei Fingerglieder über einen Tritt bekommt oder nur die Spitze eines einzigen Fingers, den gesamten Vorderfuß oder nur die Zehen. Um von einem Griff zum nächsten zu gelangen sind teils sehr akrobatische Bewegungen und ein hohes Maß an Kraft erforderlich.“

Neben dem Bouldern betreibt er einen Industriekletterbetrieb. Industriekletterer arbeiten an Orten, die mit konventioneller Zugangstechnik wie Gerüsten oder Hubsteigern nicht mehr erreichbar sind. Die Kletterer gelangen zu diesen Orten mit Hilfe von Seilen und führen dort verschiedenste Arbeiten aus.

Langer Weg zum richtigen Operateur

„Das Erstaunliche war, dass ich bis einen Tag vor der OP noch bouldern und auch arbeiten konnte“, erinnert sich Sascha Deiters. „Aber um mich in der Halle am Boden bewegen zu können – die misst so 50 Meter in der Länge – musste ich mir ein Laufrad kaufen. Sonst hätte ich das nicht gepackt.“

Ihm ist klar, dass er in absehbarer Zeit ein künstliches Hüftgelenk braucht. „Bis ich dann einen Operateur gefunden habe, der mir passte, hat es gedauert.“ Er fährt nach Köln, Hamburg, Hannover, zu den Koryphäen ihres Fachs. „Aber erst als ich Dr. Boudriot kennenlernte, der in Bielefeld operiert, war ich überzeugt. Er war begeistert von seiner Arbeit und hat mir alles sehr gut erklärt. Er merkte, dass ich mich auskenne und es mich interessiert“, berichtet Sascha Deiters. „Vor allem menschlich war Dr. Boudriot die richtige Wahl. Er hat mich ernst genommen und detailliert über alles informiert. Das hat mir die Angst genommen und mir wieder Hoffnung gegeben, mein Leben nach der Operation wie gewohnt weiter führen zu können.“

Sascha Deiters ist eigentlich Fachkrankenpfleger für Anästhesie und operative Intensivmedizin, auch wenn er seit 20 Jahren nicht mehr in dem Beruf arbeitet. Er erinnert sich: „Dr. Boudriot hat mir Dutzende ausgebaute Gelenke gezeigt, an denen man die Entwicklung der letzten 30 Jahre nachvollziehen kann. Bis hin zu einer neuen Generation individuell angepasster Prothesen, die den heutigen Stand der Technik repräsentieren.“

Bereits in den 1930er und 1940er Jahren gab es erste Versuche, künstliche Hüften zu implantieren – vorerst ohne Erfolg. 1959 entwickelte der britische Arzt Sir John Charnley eine Endoprothese, die in ihrer Form den modernen Hüftimplantaten entspricht. Nutzte er zunächst Teflon als Material, wurde dieses bald durch Polyethylen, einen Kunststoff, ersetzt. Wesentliche Weiterentwicklungen fanden in den 1990er und 2000er Jahren statt. Etwa wurde es möglich, immer mehr Knochen des Patienten zu erhalten und die Implantate der Anatomie optimal anzupassen. Heute werden je nach Bedarf Metalle, Polymere und Keramik in unterschiedlichen Kombinationen verwendet.

Aufgrund seiner komplexen Anatomie und der Empfehlung seines Operateurs Dr. Boudriot entscheidet sich Sascha Deiters für ein individuelles Hüftimplantat, welches extra für ihn passgenau und mit höchster Präzision gefertigt wird.

OP und rasche Genesung

Die Operation der rechten Hüfte findet bei Sascha Deiters im August 2016 statt und verläuft gut. „Schon am nächsten Tag bin ich aufgestanden“, erzählt er. „Ich hatte natürlich ein großes Interesse daran, schnell wieder mobil zu werden.“ Sascha Deiters ist selbstständig, seine Existenz hängt davon ab. Zudem liebt er seinen Sport und möchte nicht darauf verzichten. Er sagt: „Tatsächlich hatte ich mir große Sorgen gemacht, dass das Bouldern nicht mehr geht.“

Er erinnert sich an seine Ausbildung und die Arbeitsjahre als Fachkrankenpfleger: „Damals wurden Hüft-TEP-Patienten ganz anders behandelt. Die mussten vier Wochen im Bett liegen mit einem Keil zwischen den Beinen. Bei der OP wurden die Muskeln einmal quer durchgeschnitten und danach wieder zusammengenäht. Heute operiert man minimalinvasiv durch Muskellücken hindurch. So bleibt die Muskulatur weitgehend intakt und ist dementsprechend schneller wieder einsetzbar.“

Geholfen hat ihm nicht nur die gute Betreuung durch den Operateur Dr. Ulrich Boudriot, sondern auch der Kontakt zu einem ehemaligen Weltklasse-Boulderer aus der Schweiz. Sascha Deiters berichtet: „Über Freunde hatte ich erfahren, dass der auch künstliche Hüften hat. Ich habe ihn angeschrieben, und er hat mir erzählt, dass er eigentlich wieder alles machen kann. Einen Tag vor meiner ersten Hüft-OP habe ich dann im Internet gelesen, dass er einen Tag zuvor eine der schwierigsten Routen weltweit klettern konnte. Das hat mir im Vorfeld der OP mächtig Schub gegeben."

Ambulante Reha mit Sonderaufgaben

Drei Wochen nach der Operation beginnt Sascha Deiters die ambulante Reha. „Stationär hätte ich es nicht ausgehalten, die ganze Zeit nur dort zu sein“, erinnert er sich. „Und ich hatte ja auch noch meinen Betrieb zu führen.“

Von der Reha ist er etwas enttäuscht, hätte sich mehr erhofft. Als Spitzensportler ist er dort unterfordert, denn die Kurse und Maßnahmen sind auf Durchschnittspatienten ausgelegt. Er berichtet: „Das meiste wusste ich einfach schon durch meinen Sport. Und ich hätte viel intensiver trainieren wollen, als in den Kursen vorgesehen war. Vieles habe ich dann eigenständig gemacht.“

Begeistert ist er von der Wassergymnastik, ein neues Feld für ihn. Er erinnert sich gerne: „Einige der engagierteren Trainer haben sich auf die unterschiedlichen Level der Leute einstellt und gesagt: ‚Deiters, du machst jetzt mal doppelt so schnell und die Beine doppelt so hoch.‘ Da war ich nach 45 Minuten total ausgepowert.“

Zeitgleich mit der Reha beginnt Sascha Deiters sachte wieder mit dem Bouldern. Er klettert nur seitwärts, maximal 30 Zentimeter über dem Boden, so dass er jederzeit gefahrlos absteigen kann. Nach zwei Monaten hat er wieder sein altes Niveau. Nur Absprünge vermeidet er, um das künstliche Gelenk nicht unnötig zu belasten. Inzwischen kann er auch die schwersten Boulder wieder klettern und auch Stürze aus bis zu drei Metern Höhe auf die Weichbodenmatte stellen kein Problem mehr dar.

2018 folgt die Operation an der linken Hüfte. Sascha Deiters berichtet, wie es dazu kam: „Im Januar war ich in einem Bouldergebiet in Frankreich. Mit der neuen Hüfte konnte ich alles machen, ohne Probleme, in der anderen Hüfte hatte ich starke Schmerzen.“

Der Verlauf ist ähnlich wie auf der rechten Seite, die Beschwerden nehmen kontinuierlich zu. Sascha Deiters zögert nicht lange und lässt im August des Jahres auch die linke Seite operieren, wieder bei Dr. Boudriot. „Ich habe es nicht bereut“, sagt er. „Heute bin ich komplett schmerzfrei. Und ich kann meine Beine und meine Hüfte beim Klettern wieder in alle wünschbaren Richtungen bewegen.“

Auch im Alltag ist es eine Entlastung, das Laufrad in der Boulderhalle braucht er nicht mehr. Und sogar Wanderungen gehen wieder problemlos. „Ich war nie so der Läufer“, lacht er, „aber meine Frau wandert gerne. Da sind wir oft bis zu 25 Kilometer am Tag unterwegs und das geht bestens.“

Worauf Patienten achten sollten

Sascha Deiters ist zufrieden mit dem Verlauf der OPs und seiner Genesung. „Dass ich so trainiert bin, hat natürlich geholfen.“ Patienten, die schon vor der Operation Sport machen, kennen ihren Körper besser und können die Maßnahmen in der Reha besser mitmachen. „Ich fand es schade zu sehen, wenn Leute die Reha nicht genutzt haben, um wieder fit zu werden.“

Er empfiehlt Betroffenen, wenn irgendwie möglich, schon vor der OP beispielsweise Muskeln aufzubauen – und nach der OP nicht zu viel Zeit verstreichen zu lassen, bevor man die Muskeln wieder bewegt. „Denn das wird wirklich rapide schnell weniger“, erklärt er. „Und es wieder aufzubauen, ist wirklich zäh.“
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