Gesundheitspolitik
2011-11: Innovationstransfer, Innovationsfinanzierung, Innovationshemmnisse - Wie kann der medizinische Fortschritt schneller beim Patienten ankommen?
24.04.2012|
Gastbeitrag für die Sonderbeilage Medizintechnik 2011 von Going PublicNovember 2011, von Joachim M. Schmitt, Geschäftsführer & Vorstandsmitglied BVMed – Bundesverband Medizintechnologie
Die Medizintechnik-Branche steht mehr und mehr im Fokus von Politik und Investoren. Es ist eine Wachstumsbranche mit Zuwachsraten im Inland von derzeit rund fünf Prozent und einer Exportquote von über 60 Prozent. Der Gesamtumsatz der produzierenden Medizintechnikunternehmen lag in Deutschland nach Angaben der offiziellen Wirtschaftsstatistik im Jahr 2010 bei 20 Milliarden Euro.
Die Branche beschäftigt über 170.000 Menschen in Deutschland und bleibt ein kontinuierlicher Jobmotor. Jeder Arbeitsplatz sichert 0,75 Arbeitsplätze in anderen Bereichen.
Und die Branche ist sehr innovativ: Im Durchschnitt investieren die forschenden MedTech-Unternehmen rund neun Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Rund ein Drittel ihres Umsatzes erzielen die deutschen Medizintechnikhersteller mit Produkten, die nicht älter als drei Jahre sind.
Zwei unterschiedliche Reaktionen
Diese Zahlen und Fakten rufen in der Politik und der Gesundheitswirtschaft zwei unterschiedliche Reaktionen hervor. Auf der einen Seite stehen die Wirtschafts- und Forschungspolitiker. Hier gilt die Medizintechnologie als Zukunftsbranche, auf der viele Hoffnungen ruhen. Die Unterstützung aus diesem Bereich ist entsprechend groß.
• So ist der Ausbau der Medizintechnik als eine der innovativsten Branchen in Deutschland ein Ziel der Hightech-Strategie der Bundesregierung. Eine zentrale Fördermaßnahme ist der Innovationswettbewerb Medizintechnik.
• Mit dem Gesundheitsforschungsprogramm 2011 fördert das Forschungsministerium die Gesundheitsforschung im Zeitraum von 2011 bis 2014 mit rund 5,5 Milliarden Euro. In einem „Aktionsplan Medizintechnik“ bündelt das Forschungsministerium alle Förderaktivitäten des Bundes in der Medizintechnik.
• Die neuen Fördermaßnahme "KMU innovativ: Medizintechnik" stellt zudem jährlich 10 Millionen Euro für Spitzenforschung für kleinere und mittlere Unternehmen der Medizintechnikbranche zur Verfügung.
• Das Wirtschaftsministerium startete vor kurzem gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium die „Exportinitiative Gesundheitswirtschaft“. Die Medizintechnik ist hier Schwerpunktthema.
• Hinzu kommen zahlreiche Konferenzen und Studien der Ministerien zur Bedeutung der Medizintechnik für Innovationskraft und Arbeitsplätze. Beispiele sind das Innovationsforum Medizintechnik des Bundesforschungsministeriums vom Oktober 2010 oder die neue Studie „Innovationsimpulse der Gesundheitswirtschaft“ des Wirtschaftsministeriums vom Frühjahr 2011.
Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite stehen die Gesundheitspolitiker und die Krankenkassenverbände. Hier führen Wachstumszahlen und Potenziale reflexartig zu Ängsten. Die Stichworte lauten Ausgabensteigerung, Kostenexplosion, Beitragssatzerhöhung.
Ressortübergreifender Ansatz
Umso wichtiger ist es, dass mit der Zukunftskonferenz Medizintechnik vom Juni 2011 der Startschuss für einen ressortübergreifenden Strategieprozess Medizintechnik gegeben wurde. Dazu gehören Treffen zwischen den Ministerien sowie mit Verbänden und Unternehmen im Rahmen so genannter Werktstattgespräche. Diese übergreifende und koordinierte Zusammenarbeit der Ministerien muss weiter vorangetrieben werden. Denn das bietet die Chance, zu einer stärkeren gesamtwirtschaftlichen Betrachtung der Leistungen der Medizintechnologiebranche zu kommen.
Vom Bundesforschungsministerium gibt es beispielsweise die Kernbotschaft: „Innovative Medizintechnologien können neben den Vorteilen für die Patienten auch für Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen im Gesundheitssystem sorgen.“ Diese Botschaft muss auch bei den Gesundheits- und Krankenkassenpolitikern etabliert werden.
Aktuelle Gesundheitsreform
Aktuell wird das Versorgungsstrukturgesetz diskutiert, das Auswirkungen auf die Innovationskraft der Branche haben wird. Positiv ist, dass am innovationsfreundlichen Prinzip „Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt“ im Krankenhausbereich festgehalten wird. Die Bundesregierung hat hier klar Position gegen den GKV-Spitzenverband bezogen. Der Bundesverband Medizintechnologie sieht aber zwei Punkte im Gesetz besonders kritisch:
• Das Versorgungsstrukturgesetz soll eigentlich den Zugang zu Innovationen verbessern. Der Gesetzentwurf konterkariert dies aber mit der vorgesehenen Erprobungsregelung für MedTech-Innovationen. Wir sehen die Gefahr, dass Erprobungsregelung die Einführung von medizintechnischen Innovationen verlangsamen und verringern wird. Wir setzen uns für eine sachgerechte Nutzenbewertung ein, die nach Risikoklasse und Modifikationsgrad differenziert.
• Ein zweiter Punkt: Wir sehen die Gefahr, dass die Expertise der Industrie bei der Verfahrensordnung des G-BA trotz der neuen Regelung weiter außen vor bleibt. Wir setzen uns deshalb für eine Soll- statt Kann-Bestimmung im Gesetz ein. Unsere klare Botschaft: Die Beteiligung der Medizintechnologie an den G-BA-Prozessen ist ein „Muss“. Nur so erreichen wir die notwendige Fachkompetenz, Transparenz und Akzeptanz.
Unser Ziel bleibt, dass der Zugang der Patienten zu medizintechnischen Innovationen weiter schnell und flexibel ermöglicht wird.
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Zum Autor: Joachim M. Schmitt ist Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed) sowie Geschäftsführer von MedInform – Seminar- und Informations-Service Medizintechnologie mit Sitz in Berlin.