Gesundheitspolitik

2011-03: Wachstums- und Jobmotor Medizintechnik: Wie müssen die Rahmenbedingungen weiterentwickelt werden?

Gastbeitrag für die Sonderbeilage Healthcare von Going Public, März 2011; von Joachim M. Schmitt, Geschäftsführer & Vorstandsmitglied BVMed – Bundesverband Medizintechnologie

Die Medizintechnik-Branche ist besonders innovativ, wachstumsstark und zukunftsträchtig. Medizinprodukte umfassen eine große Bandbreite von medizintechnischen Produkten und Verfahren, die Leben retten, heilen helfen und die Lebensqualität der Menschen verbessern. Beispiele sind Geräte für Diagnostik, Chirurgie und Intensivmedizin, Implantate, Verbandmittel, Hilfsmittel oder OP-Materialien.

Medizinprodukte leisten nicht nur einen wichtigen Beitrag für eine effiziente Gesundheitsversorgung, sie sind auch ein bedeutender Wirtschafts- und Arbeitsmarktfaktor. Die Branche beschäftigt alleine in Deutschland mehr als 170.000 Menschen.

Menschen vertrauen Medizintechnik

Das Meinungsforschungsinstitut Forsa befragte im Sommer 2010 tausend Bundesbürger über ihre Einstellung zu gesundheitlichen Themen. Ein Ergebnis der Umfrage ist, dass die Bürger der modernen Medizintechnik vertrauen. Dreiviertel der Deutschen glauben, dass die Medizintechnik eine entscheidende Rolle dabei hat, ihnen ein längeres Leben zu ermöglichen. In keinem anderen Lebensbereich wird der Einzug von Technik stärker begrüßt als in der Medizin: Mehr als 90 Prozent der Deutschen schätzen die Entwicklungen bei Vorsorge, Diagnose und Behandlung als positiv ein (Forsa-Umfrage im Auftrag von Philips, August 2010).

MedTech bleibt ein Wachstumsmarkt

Die Medizintechnik-Branche wird ein Wachstumsmarkt bleiben. Dazu tragen unter anderem folgende Faktoren bei:

• Der medizinisch-technische Fortschritt: Der MedTech-Fortschritt ermöglicht die Behandlung von Krankheitsbildern, die vor 10 oder 20 Jahren nicht behandelt werden konnten. Und durch innovative schonendere Verfahren können immer mehr Operationen an immer älteren Patienten durchgeführt werden.
• Die demographische Entwicklung: Es gibt in Deutschland zunehmend mehr ältere und oftmals multimorbide Menschen.
• Der erweiterte Gesundheitsbegriff in Richtung mehr Lebensqualität: Patienten fragen Leistungen rund um ihre Gesundheit immer stärker selbst nach und sind bereit, für bessere Qualität und zusätzliche Dienstleistungen selbst mehr zu bezahlen.

Die Folge all dieser Faktoren: Der Bedarf an Gesundheitsleistungen wird weiter steigen. Die gesetzliche Krankenversicherung wird in ihrer jetzigen Form an ihre Grenzen stoßen. Ohne Veränderung des bestehenden Finanzierungssystems wird es in Zukunft nicht mehr möglich sein, allen Patienten alle Leistungen zur Verfügung zu stellen.

Perspektiven für MedTech-Innovationen geben

Die Rahmenbedingungen am Innovationsstandort Deutschland für die Entwicklung und Vermarktung moderner Medizintechnologien sollten angesichts dieser Herausforderungen und des sich verschärfenden Wettbewerbs in einer globalisierten Welt kontinuierlich analysiert und – wenn erforderlich – weiter angepasst werden. Für das Jahr 2011 erwarten wir von Politik und Selbstverwaltung klare Perspektiven für medizintechnische Innovationen:

• Eine Verbesserungsmöglichkeit ist die Einführung eines Innovationspools, der eine unabhängige Nutzenbewertung ermöglicht. Auch die Krankenkassen fordern einen solchen Pool. Denkbar wären beispielsweise drei Prozent der GKV-Ausgaben. Dies ließe sich mit den angestrebten Forschungsausgaben Deutschlands von drei Prozent begründen. Die Einbeziehung weiterer Mittel, beispielsweise der Forschungsförderung, ist ebenfalls in Erwägung zu ziehen.

• Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sollte im 2011 geplanten „Versorgungsgesetz“ in seiner Organisation weiterentwickelt werden: in Richtung mehr Transparenz und verbesserter Mitwirkungsrechte der Betroffenen. Als wesentlicher Beteiligter im Gesundheitssystem muss die MedTech-Branche in die Prozesse aktiv eingebunden werden. Höhere Akzeptanz für die G-BA-Entscheidungen ist auch durch klarere Rahmenbedingungen wie Antragsverfahren, Fristen, nachvollziehbare Entscheidungsprozesse, Rechtswege und Strukturen zu erzielen.

• Beim Thema Nutzenbewertung bewertet das IQWiG als Dienstleister des G-BA derzeit nur den Patientennutzen. Darüber hinaus muss geklärt werden, welche Institutionen neben dem Patientennutzen auch den Nutzen für den Anwender und den Systemnutzen bewerten. Nur bei Berücksichtigung all dieser verschiedenen Nutzenarten kann eine korrekte Entscheidung des G-BA erfolgen, welche MedTech-Innovationen medizinischer und ökonomischer Fortschritt sind. Wichtig ist, dass die Anforderungen an die Nutzenbewertung von Medizintechnologien gemeinsam erarbeitet und festgelegt werden. Dabei sind Fragen zu klären, welche Daten wann erhoben, veröffentlicht und berücksichtigt werden sollen.

• Eine wichtige Kernforderung der Unternehmen der Medizintechnologie bleibt die Beibehaltung des Prinzips „Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt“ im Krankenhausbereich und bei strukturell gleichen Voraussetzungen die Ausdehnung dieses innovationsfreundlichen Prinzips auf den ambulanten Bereich.

• Außerdem müssen die Verfahren für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) entbürokratisiert und beschleunigt und die Vereinbarung von Entgelten verbindlich gemacht werden.

Mit diesen Punkten würden wir klare Perspektiven geben: für Ideen für Innovationen, für medizintechnischen und ökonomischen Fortschritt und für die Einführung von neuen Produkten und Verfahren.

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Zum Autor: Joachim M. Schmitt ist Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed) sowie Geschäftsführer von MedInform – Seminar- und Informations-Service Medizintechnologie mit Sitz in Berlin.
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