Krankhafte Fettleibigkeit

Lösungsansätze für die Versorgung von Adipositas-Patienten im ambulanten Bereich

Status Quo, Probleme in der Grundversorgung und Vergütung

Die Zahl morbid adipöser Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) ≥ 40 steigt in Deutschland rapide an. Innerhalb der letzten 10 Jahre ist die Zahl betroffener Erwachsener um knapp 75 % auf ca. 1,4 Millionen angewachsen. Fast jeder Vierte ist adipös, insbesondere junge Männer sind zunehmend betroffen. Starkes Übergewicht begünstigt die Entstehung des Diabetes Typ 2 und anderer Folgeerkrankungen, wie Hypertonie und Herzerkrankungen (Quelle: Kompetenznetz Adipositas). Die Behandlungskosten aufgrund von Adipositas und deren Co-Morbiditäten werden nach Berechnungen des WINEG (Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen) auf über 20 Mrd. € p.a. geschätzt und sind weitaus höher als die geschätzten Kosten für Alkohol (ca. 10 Mrd. € p.a.) und Tabak (ca. 8 Mrd. € p.a.) für Deutschland (Quelle: Effertz, Linder, Verheyen 2013).

Die Fachgesellschaften sind sich einig, dass dringender Handlungsbedarf besteht und dieses gesamtgesellschaftliche Problem nur ressortübergreifend und interdisziplinär gelöst werden kann.

Therapie

Zu Beginn stehen dem Patienten verschiedene konservative Therapiemöglichkeiten unter ärztlicher Anleitung zur Verfügung, wie Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie. Nach der S3-Leitlinie für Adipositas ist obligatorisch ein Arzt mit ernährungsmedizinischer Zusatzqualifikation oder eine Schwerpunktpraxis für Ernährungsmedizin in die Therapie einzubinden, um ein interdisziplinäres Behandlungskonzept zu erstellen.

Führen die konservativen Therapien nicht zum gewünschten Erfolg, besteht die Möglichkeit, einen Adipositas-chirurgischen Eingriff durchzuführen. Es gibt drei Hauptverfahren: den Schlauchmagen/Sleeve, den Roux-En Y Magen-Bypass und das (verstellbare) Magenband. Eine Kostenübernahme der OP durch die gesetzliche Krankenkasse setzt neben somatischen Voruntersuchungen und einem lebenslangen Nachsorge-Programm ein psychiatrisches Gutachten sowie die regelmäßige Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe voraus. Anschließend sollte eine lebenslange ernährungsmedizinische und psychologische Nachbetreuung gewährleistet werden.

Versorgung und lückenhafte Erstattung

In der ambulanten Regelversorgung von Adipositas-Patienten besteht eine Unterfinanzierung der konservativen Therapiemodule. Insbesondere die Therapieplanung, Gutachtenerstellung, Befundübermittlung, Ernährungsberatung, Fallbesprechung, interdisziplinäre Nachsorge und Laboruntersuchungen werden nicht bedarfsgerecht finanziert.

Die Erstattung des chirurgischen Eingriffs wird trotz sehr guter Evidenzlage und vorhandener Fallpauschale (DRG) nur nach Einzelfallentscheidung durch den Kostenträger übernommen.

Das für die Kostenübernahme der OP geforderte präoperative multimodale Gewichtsreduktionsprogramm sowie die lebenslange Nachsorge (z. B. psychologische und ernährungsmedizinische Betreuung, Bewegungstherapie) sind derzeit keine Regel-leistungen. Aktuell gibt es nur über Selektivverträge die Möglichkeit einer aufwandsgerechten Finanzierung über mehrere Jahre. Die Behandlungsergebnisse (Gewichtsabnahme, Rückgang der Begleit-erkrankungen, reduzierte Mortalität) und die damit einhergehende Kostenreduktion liefern eine Grundlage für die Überprüfung der derzeitigen Erstattungs-
modalitäten.

Integrative Adipositastherapie

Für die komplexe Behandlung von Adipositas-Patienten ist der interdisziplinäre Ansatz über einen IV-Vertrag (Integrierte Versorgung) oder KV-seitige Strukturverträge nach § 72 SGB V besonders geeignet.

Folgende IV-Verträge seien hier beispielhaft genannt:

BARMER GEK, Region Münster:
Der IV-Vertrag spiegeltden gesamten konservativen Behandlungpfad inkl. Vor- und Nachsorge der chirurgischen Patienten, wie z. B. die Erhebung des Ernährungs- und Bewegungsstatus, Beurteilung der psychischen Situation und der Laborparameter. Er beinhaltet auch das multimoda-le Gruppenprogramm Doc-Weight, sowie ein auf 24 Monate angelegtes postoperatives Nachsorgeprogramm.

AOK Nordost, Berlin/Brandenburg/Mecklenburg-Vorpommern:
Hier steht die Kooperation zwischen ernährungsmedizinischen Praxen, Psychotherapeuten und Sportstudios im Vordergrund. Diese Therapiemodule werden einschließlich des Nachsorgeprogramms außerhalb der Regelversorgung finanziert.

AOK PLUS, Region Gera:
Auch in diesem Vertrag geht es um die fachübergreifende und strukturierte Behandlung und Betreuung von stark übergewichtigen Patienten zwischen niedergelassenen und stationären Leistungserbringern. Die Koordination übernehmen speziell ausgebildete Case-Manager.

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Behandlung von Adipositas wird am Beispiel des integrativen Behandlungspfads des BDEM (s. u.) verdeutlicht:


Beim BDEM finden Sie eine vollständige Darstellung.

Quelle: MedTech ambulant Newsletter des BVMed vom 18. Juli 2014
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