Innovationskraft

Medizintechnik-Innovationsfelder (VDE/DGBMT)

Forschung und Entwicklung stellen die Grundlage für jeden medizintechnischen Innovationsprozess dar. Somit sind förderliche Innovationsrahmenbedingungen von erheblicher Bedeutung für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung in der Medizintechnikindustrie. Dies gilt umso mehr für eine exportorientierte Industrie, die sich im internationalen Wettbewerb primär über technologischen Vorsprung und Qualität behaupten muss.

In der innovativen Medizinproduktentwicklung können fünf übergeordnete „Innovationsrichtungen“ identifiziert werden:

Miniaturisierung
Verkleinerung technischer Komponenten und Systeme, z. B. bei Instrumenten für die minimalinvasive Chirurgie oder tragbaren Sensorsystemen zur Überwachung von Vitalparametern.

Biologisierung
Integration biologischer und technischer Komponenten, z. B. bei „Bioimplantaten“ wie etwa Knorpel- oder Gefäßimplantate.

Computerisierung
Integration von Informations- und Kommunikationstechnik in Medizintechnische Systeme, z. B. bei der Computertomographie.

Personalisierung
Abstimmung der Behandlung und damit auch des Einsatzes „maßgeschneiderter“ medizintechnischer Komponenten, Geräte und Systeme auf den individuellen Fall und Krankheitsverlauf eines Patienten. Hierzu zählt auch die individuelle Behandlung durch unmittelbare Kopplung von Diagnostik mit darauf abgestimmter Therapie („Theranostik“), z. B. bei „Theranostischen Implantaten“.

Vernetzung
Informationstechnische Integration von Medizinprodukten in bestehende Daten- und Kommunikationsnetzwerke, z. B. die Vernetzung unterschiedlicher technischer Geräte im Operationssaal.

Die treibenden Kräfte dieser Innovationsrichtungen sind vielfältig. Im Mittelpunkt steht ein hoher medizinischer Bedarf, der sich vor allem aus der demografischen Entwicklung mit einer deutlichen Zunahme der Prävalenz chronischer Erkrankungen (wie etwa Herzinsuffizienz, Diabetes oder neurodegenerative Erkrankungen) und darüber hinaus einer Zahl bislang nur unzureichend oder gar nicht therapierbarer Erkrankungen ergibt. Weiterhin eröffnet innovative Medizintechnik erhebliche Potenziale zur Effizienzsteigerung. In Kombination mit stetig wachsenden technologischen Möglichkeiten sowie der steigenden Bedeutung der Gesundheitswirtschaft und damit auch der Medizintechnik als ein wesentliches katalysierendes Element, ergibt sich ein signifikantes, technologisches und medizinisch-bedarfsorientiertes „Innovationsmomentum“.

Aus Sicht der DGBMT weisen die folgenden Technologiefelder ein hohes Innovationspotenzial mit nach wie vor hohem Bedarf an Forschung und Entwicklung (FuE) und korrespondierenden erheblichen FuE-Risiken auf:

Bildgebende diagnostische Verfahren
Weiterentwicklung der bildgebenden Modalitäten und neuer Verfahren (z. B. Magnetic Particle Imaging)
automatisierte Bildverarbeitung und Bildanalyse
Kontrastmittelentwicklung
molekulare, funktionelle, quantitative, multimodale/hybride und interventionelle Bildgebung

Interventionelle Techniken
minimalinvasive Techniken und „Smart Instruments“
Robotik, Navigation und Tracking
bildgeführte Intervention und Closed-Loop-Systeme
Fusion und Visualisierung von prä- und intraoperativen Bilddaten zur Operationsunterstützung
Monitoring- und Anästhesiesysteme
Anwendung von Lasertechnik in der Medizin
Verzahnung computergestützter Chirurgieplanung mit intraoperativer Kontrolle und Workflowoptimierung
vernetzter OPf und Interoperabilität

In-Vitro-Technologien
In-Vitro-Biosensorik und Bioanalytik
DNAg-Chips und Protein-Chips
Lab-on-Chip
Zell- und Gewebetechnik
Zelldiagnostik und Zellkonditionierung
Gewebekonstrukte und Organersatz
Cell-, Tissue- und Bioengineering
Laborautomatisierung

Medizinische Informationssysteme und Telemedizin
medizinische Informationssysteme und Infomationsvernetzung
Data Mining und Data Warehouse Konzepte
ITh basiertes Workflow-Management
eHealth, mHealth, Telemonitoring, Assistenzsysteme
Biosignalverarbeitung und Biosignalanalyse
Datenfusion, Datenaufbereitung und Visualisierungsmöglichkeiten
Modellbildung und Simulation, Therapieplanung
Entscheidungsunterstützung und modellbasierte Therapie
Learning, Training und Virtual Reality im medizinischen Umfeld

Prothesen und Implantate
aktive, diagnostische und intelligente Implantate
theranostische Implantate
biologische, biologisierte und biofunktionalisierte Implantate
Neuroengineering und Neurostimulation
Rehabilitationstechnik
künstliche Gelenke, Endoprothesen und passive Implantate

Therapiesysteme
Drug-Delivery-Systeme
Elektrotherapie
Therapie mit Gasen und Aerosolen
Dialyse und Apherese
Strahlentherapie, Radionuklidtherapie

Weiterhin gibt es interdisziplinäre Querschnittsthemen, die mit Blick auf alle o.g. Technologiefelder von Bedeutung sind und welche die Erforschung und Entwicklung innovativer Medizintechnik maßgeblich vorantreiben.

Querschnittsthemen
Patientensicherheit in der Medizintechnik
Gebrauchstauglichkeit („Usability“) und Bedienerakzeptanz von Medizinprodukten
Mensch-Technik-Interaktion und Mensch-Maschine-Schnittstellen
Sektorübergreifende Medizintechnik
Aus- und Weiterbildung in der Medizintechnik
Standardisierung und Normung in der Medizintechnik
Medizintechnik im Kontext von Gesellschaft und Ethik

Kurz- bis mittelfristig sind primär kontinuierliche Verbesserungen von Technologien und Produkten und weniger Sprung-Innovationen in den oben genannten Technologiefeldern zu erwarten. Dabei werden einzelne Medizinprodukte immer stärker in Systemansätze mit IT basierten Dienstleistungen eingebunden. Die Komplexität des Managements von Innovationen nimmt auf diese Weise zu.

Neben der wachsenden Bedeutung solcher Systemansätze wird die Entwicklung einzelner Technologien bzw. Komponenten weiterhin zentrale Impulse geben. Dabei stehen offene und medizintechnische Grundlagenforschung sowie anwendungsorientierte FuE gleichberechtigt nebeneinander. Innovative (medizintechnische) Behandlungskonzepte mit Nutzen für den Patienten werden mittel- bis langfristig nur basierend auf einem breiten FuE-Fundament entstehen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit von Rahmenbedingungen, welche die Generierung dieses FuE-Fundaments mit Blick auf die Medizintechnikindustrie in Deutschland unterstützen.

Fazit
Die Medizintechnik hat ein hohes Innovationspotenzial durch personelle und thematische Zusammenführung verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen. Klar ist: Die Entwicklung der Medizintechnologie ist mit dem Ende des 20. Jahrhunderts noch lange nicht beendet. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass der Fortschritt noch rasanter werden wird. Wir stehen am Beginn einer medizintechnologischen Revolution.
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