Experteninterview

"Die Telekardiologie bietet eine kontinuierliche Form der Patientenversorgung"

Prof. Dr. Gerhard Hindricks vom Herzzentrum der Universität Leipzig

Die Telekardiologie ermöglicht ein engmaschiges Monitoring für Patienten, die einen Herzschrittmacher, einen implantierbaren Defibrillator oder ein Herzinsuffizienzsystem tragen. Die aktuell veröffentlichte IN-TIME Studie belegt, dass Home Monitoring dabei die Mortalität von ICD- und CRT-D-Patienten senkt und die Behandlungsergebnisse verbessert. Aktion Meditech sprach mit dem Studienleiter, Professor Dr. Gerhard Hindricks vom Herzzentrum der Universität Leipzig.

Die Veröffentlichung der IN-TIME Studienergebnisse in der Fachzeitschrift „The Lancet“ belegt, dass die Fernnachsorge für Herzpatienten lebensrettend sein kann. Können Sie uns kurz erläutern, weshalb die Studie so bedeutsam ist?

Bereits vor der aktuellen IN-TIME Studie wurden zahlreiche Untersuchungen zur Telekardiologie durchgeführt. Dadurch konnte unter anderem nachgewiesen werden, dass dank Home Monitoring die Anzahl unangemessener Schocks eines ICD reduziert sowie Krankenhausaufenthalte von Implantatpatienten vermieden werden können.
Anhand der IN-TIME Studie lässt sich nun auch nachweisen, dass die Telekardiologie einen Überlebensvorteil für Patienten mit Herzschwäche darstellt, denn es konnte gezeigt werden, dass die Gesamtmortalität der Patienten in der Home Monitoring-Gruppe signifikant geringer als in der Vergleichsgruppe ist. Dies ist v.a. der verringerten kardiovaskulären Mortalität geschuldet – ein beeindruckendes Ergebnis, das zeigt, dass Home Monitoring nicht einfach nur eine weitere technische Zusatzfunktion ist. Vielmehr stellt die implantatbasierte Fernnachsorge eine neue Form der Therapieführung dar, die zu einer deutlichen Verbesserung des Gesundheitszustandes führen kann. Darüber hinaus sind wir auf Basis der Studienergebnisse zuversichtlich, dass die Telekardiologie Schritt für Schritt in die Regelversorgung der Krankenkassen überführt wird, damit die Kosten in Zukunft von ihnen übernommen werden.

Nach Schätzungen der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie sind allein in Europa mindestens 15 Millionen Menschen von Herzinsuffizienz betroffen. Zunehmend werden diese Patienten mit Herzimplantaten versorgt, die über eine Telemonitoringfunktion verfügen. Wie profitieren diese Patienten von der Telekardiologie? Gibt es Patienten, bei denen sich der Nutzen besonders deutlich zeigt?

Die Telekardiologie bietet in erster Linie eine kontinuierliche Form der Patientenversorgung. Durch die tägliche Übertragung von Informationen über den Gesundheitszustand des Patienten und die Funktion des Implantats kann der behandeln-de Kardiologe bei bedrohlichen Ereignissen zeitnah reagieren. Die Patienten selbst erhalten folglich größere Sicherheit im Alltag. Besonders Implantatträgern mit einer Herzinsuffizienz entsteht daraus ein Vorteil, denn im Verlauf ihrer Erkrankung kann es schnell zu kritischen Veränderungen des allgemeinen Gesundheitszustandes, einer so genannten Dekompensation, kommen. Die kontinuierliche Übertragung ihrer Herzdaten ist deshalb von besonderer Bedeutung.

Wo liegen die Vorteile für strukturschwache Regionen – gerade in Anbetracht der demographischen Entwicklung?

Strukturschwache und ländliche Regionen profitieren vom technologischen Fortschritt der Telemedizin. Implantatpatienten, die keinen Facharzt in ihrer unmittelbaren Umgebung bzw. keinen ungehinderten Zugang zu optimaler ärztlicher Behandlung haben, wird die medizinische Nachsorge erwiesenermaßen erleichtert. Sie müssen nicht mehr termingesteuert zur Vorstellung beim Kardiologen erscheinen, sondern können dann gezielt behandelt werden, wenn es nötig ist. Hinzu kommt die erhöhte Sicherheit. Aufgrund der Daten aus dem Herzen kann der Arzt eingreifen und beispielsweise rechtzeitig die Medikation anpassen.

Wie empfinden Ihrer Erfahrung nach Patienten die telemedizinische Nachsorge mittels Home Monitoring?

Die Informationsübertragung stellt keinerlei Hindernis im Alltag des Patienten dar. Im Gegenteil, meine Patienten gewinnen zusätzliche Sicherheit und Freiheit dank der automatischen Fernnachsorge mittels Home Monitoring. Viele Patienten trauen sich dank der telemedizinischen Nachsorge sogar wieder in ferne Länder zu verreisen. Auch das stellt kein Problem dar, denn die Datenübertragung funktioniert automatisch in über 160 Ländern weltweit. Spürbar besteht daher kein Unterschied zu einem Implantat ohne telemedizinische Technologie. Nur eine kleine ins Implantat integrierte Antenne überträgt die Daten täglich und ohne Zutun des Patienten.
Die hohe Akzeptanz des Home Monitoring-Systems resultiert auch aus der sehr einfachen Handhabung – der Patient muss lediglich das Übertragungsgerät, den sog. CardioMessenger, an die Steckdose schließen. Die Datenübertragung geschieht dann automatisch – nachts, wenn der Patient schläft.

Gewinnen die Patienten mit der Telekardiologie mehr Freiheit? Welche Vorteile bietet der Einsatz Ihnen als Arzt?

Mehr Freiheit gewinnen die Patienten vor allem durch die Sicherheit, die die Telekardiologie ihnen bietet. Zu wissen, dass der Arzt täglich auf die eingehenden Daten aus dem Implantat schaut und das Herz kontinuierlich im Blick hat, stärkt das Selbstvertrauen und den natürlichen Umgang mit der Erkrankung im Alltag.
Als Arzt sehe ich den größten Vorteil natürlich in der patientenorientierten Versorgung. Das bedeutet nicht nur, eine optimale Therapie für jeden einzelnen Patienten bereitstellen zu können, sondern auch meine Zeit für diejenigen Patienten zur Verfügung zu haben, die sie gerade benötigen. Damit bietet uns Home Monitoring eine der individuellsten und effizientesten Formen der implantatbasierten Nachsorge.

Welche Perspektiven sehen Sie für die Telekardiologie? Kommen die Systeme Ihrer Ansicht nach schon hinreichend zum Einsatz?

Die Telekardiologie findet bereits großen Zuspruch und wird von immer mehr meiner Kollegen eingesetzt. Home Monitoring-Systeme entsprechen den klinischen Leitlinien in Deutschland und sind FDA- und CE-zertifiziert. Deswegen gehe ich davon aus, dass immer mehr Ärzte Zugang zu dieser Form der Fernnachsorge finden und sie auch regulär einsetzen werden. Alle modernen Implantate sind heute standardmäßig mit einer Telemonitoring-Funktion ausgestattet.

Was wünschen Sie sich, wenn Sie an den zukünftigen Einsatz der Telekardiologie denken?

Bedauerlicherweise ist die Kostenübernahme dieser Leistung durch die Krankenversicherungen in Deutschland noch nicht umfassend garantiert. Dieser Umstand erschwert den flächendeckenden Einsatz der Telekardiologie. Es liegt sowohl im Sinne der Ärzte als auch der Patienten, dies zu ändern und Home Monitoring in die Regelversorgung der Krankenkassen aufzunehmen.
Entsprechende Daten zu den ökonomischen Effekten der Home Monitoring-geführten Nachsorge liegen bereits vor: So hat die vor kurzem publizierte EuroEco-Studie gezeigt, dass Krankenhäusern durch den Einsatz von Home Monitoring keine zusätzlichen Kosten entstanden sind und Krankenkassen im Vergleich zur Präsenznachsorge sogar einen Trend zur Kostenreduktion verzeichnen konnten.

Quelle: Aktion Meidtech

Hier können Sie sich einen Informationsfilm zum Thema Telekardiologie anschauen.
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