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Parkinson: Fortschritte bei der Tiefen Hirnstimulation

ÄrzteZeitung Online vom 11. April 2021

Die Tiefe Hirnstimulation wird immer präziser: Ärzte steuern mit segmentierten Elektroden die Zielregion sehr genau an und arbeiten bereits an adaptiven und symptombezogenen Anwendungen.

Erhalten Patienten mit M. Parkinson oder anderen Bewegungsstörungen eine Tiefe Hirnstimulation (THS), wird die Zielregion meist kontinuierlich und mit konstanter Frequenz stimuliert. Dies könnte sich jedoch bald ändern: Die Entwicklung adaptiver Systeme ist schon recht weit fortgeschritten, und künftig soll eine symptomorientierte Stimulation möglich werden, erläuterte Professorin Andrea Kühn von der Charité in Berlin.

Für eine individualisierte THS müssten letztlich drei Fragen geklärt werden: Wo liegt die optimale Zielregion, wann soll stimuliert werden – bezogen auf Tageszeiten und Symptomausprägung – und um welche Symptome geht es vorrangig? Für einige dieser Fragen gibt es bereits klare Antworten und technische Lösungen, sagte Kühn bei der virtuellen Tagung „Parkinson und Bewegungsstörungen – Highlights Digital“.

Haben sich Ärzte und Patienten für die THS entschieden, gilt es zunächst, die Zielregion, meist im Nucleus subthalamicus (STN), möglichst genau mit der Elektrode zu treffen. Gelingt dies nicht, wird etwa der STN nur gestreift, können deutliche Nebenwirkung bei geringer Effektivität die Folge sein, erläuterte Kühn.

Vorteile segmentierter Elektroden

Moderne Elektroden mit segmentierten Ringen ermöglichen nach dem Einsetzen noch eine individuelle Adjustierung: So lässt sich über die einzelnen Segmente die Zielregion präziser ansteuern. Kühn verwies auf eine Dreijahresbeobachtung an der Charité bei 95 Patienten mit segmentierten Elektroden: Etwas mehr als die Hälfte der Patienten nutzte die Elektroden im direktionalen Modus, also unter Aktivierung einzelner Segmente, die übrigen im Ringmodus, hier stehen alle Segmente eines Rings unter Strom. Danach scheint der direktionale Modus vielen Patienten Vorteile zu bieten.

Deutlich wird dies auch in einer Untersuchung aus Würzburg: Dort erreichte die Hälfte der Patienten mit segmentierten Elektroden ein hervorragendes Therapieergebnis, aber nur jeder sechste mit nicht segmentierten Ringelektroden. „Durch die Ausrichtung des elektrischen Feldes können wir den motorischen Effekt weiter optimieren“, so Kühn.

Die Segmentierung der Elektroden wird weiter verfeinert, die Entwicklung geht zu fast punktförmigen Arealen, die sich einzeln ansteuern lassen. Damit ließe sich die Form und Ausrichtung des elektrischen Felds beliebig steuern und individuell adaptieren. Allerdings ist es für Ärzte und Patienten recht aufwändig und ermüdend, sämtliche Variationen durchzuspielen, um ein optimales Ergebnis zu erreichen. Künftig dürfen Ärzte auf bildgebungsgestützte Simulationen hoffen: Ein Computer rechnet anhand der tatsächlichen Elektrodenlokalisation durch, welche Einstellungen am günstigsten sein sollten. Neurologen müssen dann nur einige wenige Variationen klinisch testen.

Der nächste Schritt wäre eine bedarfsgerechte Stimulation. „Bisher stimulieren wir mit 130 Hz über 24 Stunden täglich“, so Kühn. Die Motorik der Patienten fluktuiert jedoch im Tagesverlauf deutlich, ebenso in Abhängigkeit von der Medikation.

Betawellen-Aktivität triggert THS

Optimal wäre also ein adaptives System, das erkennt, wann wie stark stimuliert werden soll. Denkbar wären Sensoren am Körper, die motorische Probleme wie einen Tremor erkennen und an den Pulsgenerator melden. Noch besser wäre jedoch ein neuronales Signal, das die Elektrode am Zielpunkt ableitet. Der Generator könnte daraus den Zeitpunkt und die Amplitude für den elektrischen Reiz berechnen. Ein geeigneter Biomarker ist offenbar die Betawellen-Aktivität: Sie lässt sich einfach ableiten und korreliert gut mit den motorischen Defiziten – je mehr Betawellen, umso stärker sind Bradykinese und Rigor. Theta-Wellen treten vor allem bei Dys- und Hyperkinesien auf, Gamma-Aktivität lässt sich bei Peak-Dose-Dyskinesien nachweisen.

Kühn präsentierte eigene Forschungsergebnisse, nach denen die Beta-Aktivität sowohl durch L-Dopa als auch die Stimulation zurückgeht. In ersten Versuchen gelang es, mit einem adaptiven Verfahren basierend auf Betawellen-Bursts die Stimulation zu optimieren. Andere Arbeitsgruppen konnten mit einem solchen Verfahren auch eine Verbesserung beim UPDRS-Score im Vergleich zur kontinuierlichen Stimulation erzielen, gleichzeitig ließen sich Probleme wie eine Dysarthrie vermeiden. Der Nutzen des adaptiven Verfahrens wird nun in einer klinischen Studie geprüft.

Weiter verbessern ließe sich die THS, wenn nicht nur der STN, sondern auch dessen Verbindungen berücksichtigt werden – über individuell erstellte funktionelle MRT-Karten oder Abbildungen zur strukturellen Konnektivität. Eine solche Konnektom-basierte THS soll über die Modulation ganzer motorischer Netzwerke die Beweglichkeit optimieren. Dabei wird anhand individuell erzeugter Aktivitätskarten des Gehirns berechnet, welche Stimulationsmuster die Motorik insgesamt am besten unterstützen. Ärzte könnten auf diese Weise die jeweils vorherrschenden Symptome wie Bradykinese, Tremor oder Freezing bei einzelnen Patienten gezielt angehen.

Quelle: ÄrzteZeitung Online vom 11. April 2021

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