Branchenstudien

Fallstudie 15: Nervus-Vagus-Stimulation zur Epilepsie-Behandlung

Zusammenfassung der Fallstudie:
- Krankheitsbild: Epilepsie
- Medikamentöse Therapie
- Eine neue Behandlungsmethode: die Vagus-Nerv-Stimulation
- Kostenerstattung und Wirtschaftlichkeit

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Krankheitsbild: Epilepsie

Epilepsie ist in jedem Land die am meisten verbreitete schwerwiegende Hirnkrankheit und möglicherweise die am weitesten verbreitete Gesundheitsstörung überhaupt.
Die Prävalenz von Epilepsien beträgt weltweit etwa 1 % der Bevölkerung. In Deutschland ist von 400.000 – 800.000 Epilepsiekranken auszugehen. Erkrankungsgipfel finden sich dabei im ersten Lebensalter und ab dem 65. Lebensjahr.

Epilepsien sind Syndrome unterschiedlicher Ätiologie, die klinisch gekennzeichnet sind durch wiederholt und meist spontan auftretende Anfälle aufgrund paroxysmaler exzessiver neuronaler Entladungen im Gehirn. Die zelluläre Ursache von Epilepsien ist unbekannt. Die klinische Phänomenologie der epileptischen Anfälle hängt wesentlich vom Ursprungsort der abnormen Entladung im Gehirn und deren Ausbreitung ab. Die Ätiologie der Epilepsie, wovon nur ein Drittel bekannt ist, beispielsweise Hirntraumen, kortikale Dysplasien des Gehirns und genetische Defekte, beeinflusst die medikamentösen Therapieergebnisse nicht wesentlich. Therapierelevant ist die Unterscheidung in fokale Anfälle (die von einem oder seltener mehreren umschriebenen Anfallsherden ausgehen und etwa 60 % aller Anfälle ausmachen, vor allem einfache oder komplexe fokale Anfälle und sekundär generalisierte, meist tonisch-klonische Anfälle) und in generalisierte Anfälle (mit einer sofortigen Einbeziehung beider Hirnhälften bei Anfallsbeginn) vornehmlich im Kindes -und Jugendalter beginnend. Am häufigsten sind Absencen, Myoklonien und primär generalisierte Anfälle sowie einzelne, speziell im Kindesalter beginnende Epilepsiesyndrome wie das Lennox-Gastaut-Syndrom oder die Rolando-Epilepsie.

Die bisherige Behandlungsmethode: Medikamentöse Therapie

Vorrangige Behandlungsziele sind Anfallsfreiheit, möglichst wenig unerwünschte Nebenwirkungen der Medikamente, die soziale Integration und die Prävention oder Beseitigung psychischer Störungen. Bei optimaler medikamentöser Erstbehandlung werden meist innerhalb von Monaten etwa 64 % aller Patienten anfallsfrei, 47 % mit dem ersten Medikament, weitere 13 % mit dem zweiten und nur noch 4 % mit dem dritten oder unter einer Kombination weiterer Medikamente. Bei längerer erfolgloser Vorbehandlung sinken die Therapiechancen der übrigen 36 % der Patienten mit einer nunmehr chronischen Epilepsie, die derzeit zu 90 % pharmakoresistent ist.

Es wird geschätzt, dass etwa 30 % aller Patienten mit Epilepsie eine pharmakoresistente Epilepsie haben, hierunter v. a. solche mit einfachen oder komplexen fokalen Anfällen, mehreren Anfallsarten, West-Syndrom oder Lennox-Gastaut-Syndrom, einem pathologischen neurologischen oder psychiatrischen Befund, häufigen Anfällen vor Beginn der Behandlung sowie einem pathologischen EEG-Befund und einem Status epilepticus.

Eine neue Behandlungsmethode: die Vagus-Nerv-Stimulation

Heutzutage bietet die chirurgische Resektion von anfallsverursachendem Hirngewebe eine gute Chance - aber nur für ca. 20 % der Patienten mit einer pharmakosresistenten Epilepsie. Ist eine resektive epilepsiechirurgische Behandlung nicht möglich oder hat sie nicht zum Erfolg geführt, steht die Vagus-Nerv-Stimulation zur Verfügung. Es handelt sich um die zervikale Stimulation des linken Nervus vagus mit einem im Brustbereich implantiertem Schrittmacher.

Der Vagusnervstimulator ist ein implantierbares Stimulationsgerät von der Größe eines Herzschrittmachers, das über eine Reizelektrode mit dem linken Nervus vagus im Halsbereich verknüpft ist. Er stimuliert im Regelfall alle fünf Minuten für dreißig Sekunden. Nach bisher vorliegenden Daten und Erfahrungen bei etwa 15.000 Patienten liegt die Wirksamkeit des Vagusnervstimulators in der Größenordnung der Wirksamkeit eines neuen Antiepileptikums, ohne aber dessen Nebenwirkungen zu haben.

Die Nebenwirkungen der Vagusnervstimulation sind auf eine Heiserkeit nur während der Stimulation beschränkt und unter Umständen Kribbelparästhesien im Halsbereich, die entweder nach kurzer Zeit vom Patienten toleriert werden oder aber vom Patienten nach einer gewissen Zeit nicht bemerkt werden. Die Wirksamkeit entwickelt sich erst im Laufe der Zeit, wobei die meisten Patienten innerhalb eines Jahres responden. Aber auch nach ein bis zwei Jahren kann es noch zu einer wesentlichen Verbesserung der Anfallssituation kommen. Über 70 % der mit VNS behandelten Patienten ließen sich die Batterie austauschen und profitierten somit eindeutig.

Nach heutiger Vorstellung sind geeignete Patienten alle, die mehr oder weniger pharmakoresistent sind und keine geeigneten Kandidaten für einen resektiven epilepsiechirurgischen Eingriff sind. Die streckenweise auftretenden positiv psychotropen Effekte der Vagusnervstimulation werden von vielen Patienten dankbar wahrgenommen. Besonders auch bei Kindern konnte weltweit in Studien und auch multizentrischen Studien neben der Anfallsreduktion ein positiver Effekt auf die Wachheit, Konzentrations- und Leistungsfähigkeit, das Gedächtnis sowie die Entwicklung allgemein beobachtet werden.

Nach Indikationsstellung und Ausschluss seltener Kontraindikationen (ausgeprägte Lungenfunktionsstörung, Zustand nach Vagotomie) erfolgt die Implantation des Stimulators, welche ambulant durchgeführt werden kann. Bei der postoperativen, ambulanten Nachsorge erfolgt die individuell angepasste Einstellung der Reizparameter (Stromstärke, Reizdauer, Intervall zwischen Stimulationen) sowie die Überprüfung der medikamentösen antikonvulsiven Therapie. Prinzipiell sollte bei erfolgreicher Vagusnervstimulation überlegt werden, ob das ein oder andere Medikament reduziert oder gar abgesetzt werden kann.

Kostenerstattung und Wirtschaftlichkeit

In Deutschland können leider momentan nur wenige Patienten mit dem NCP-System zur Vagus-Nerv-Stimulation versorgt werden. Grund dafür ist eindeutig die limitierte Finanzierung und Budgetierung der Implantate in den einzelnen Kliniken.

Kosten/Nutzen-Studien in Schweden und Belgien zeigen, dass nach drei bis vier Jahren ein eindeutiger „Kostenbenefit“ besteht. Allein bei den direkten Kosten konnten durch die verbesserte Anfallssituation und den somit wegfallenden Hospitalisierungs- und Medikamentenkosten ca. USD 3.000 pro Jahr eingespart werden.

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