Digitalisierung

BVMed-Veranstaltung zu digitaler Medizin: „Digitale Lösungen müssen Bestandteil von sinnvollen Versorgungsprozessen sein“

Die digitalisierte Medizin muss ein integrativer Bestandteil von sinnvollen Versorgungsprozessen sein. Das sagten die Experten der BVMed-Veranstaltung „Ambulant – Der neue Weg“ wie Nino Mangiapane vom Gesundheitsministerium oder Benjamin Westerhoff von der Barmer am 6. Juli 2017 in Berlin. Die Technik sei kein Selbstzweck, sondern das Werkzeug. Ziel müsse es sein, durch den sinnvollen Einsatz von eHealth und digitalen Lösungen die Versorgungsqualität der Patienten zeitnah zu erhöhen. Technologie werde dann Bestandteil eines bestehenden oder neuen Versorgungsprozesses sein. „Daher werden in Zukunft auch bei der Digitalisierung Aspekte der Versorgungsqualität in den Mittelpunkt rücken“, so Mangiapane. Treibende Kraft müssten konkrete Versorgungsdefizite und der medizinische Bedarf sein, sagte Westerhoff. Die Herausforderung für die Medizinprodukte-Hersteller bestehe darin, künftig nicht mehr nur Produkte, sondern komplette Lösungen für Versorgungsprozesse zu entwickeln, so Thom Rasche von Earlybird. Das Geschäftsmodell liege in den „Services“ zusätzlich zum Produkt. Praxisbeispiele präsentierten Dr. Tino Hauser von Biotronik mit der Telekardiologie und Dr. Andreas Witthohn von Medtronic mit dem Ereignisrekorder.

Für Nino Mangiapane, Referatsleiter Grundsatzfragen der Telematik und eHealth im Bundesgesundheitsministerium, müssen sich die vielversprechenden technischen Möglichkeiten an dem Hauptziel ausrichten: der zeitnahen Erhöhung der Versorgungsqualität durch den sinnvollen Einsatz von eHealth und personalisierter Medizin. „Technologie ist dann Bestandteil eines bestehenden oder neuen Versorgungsprozesses“, so Mangiapane. Weitere strategische Ziele, die darauf einzahlen sollen, seien unter anderem die Ausrichtung an Versorgungszielen, der Fokus auf zusammenhängende Versorgungsprozesse, die Ergänzung des Arzt-Patienten-Verhältnisses oder die Einbindung aller Akteure. Welche Digitalisierungstrends sind absehbar? Der Ministeriumsexperte nannte als Beispiel die sektorübergreifende Kombination von Videoverbindungen mit Befunddaten und automatisierten Abläufen. Ein weiterer Aspekt sei die personalisierte Medizin, also „Ausweitungen auf 1:N“. Ein weiterer Trend sei die Nutzung der Technologien durch die Einbeziehung der Patienten in den Behandlungsprozess.

Benjamin Westerhoff, Leiter Versorgungsprogramme bei der Barmer, sieht die Krankenkassen im Spannungsverhältnis zwischen neuen, zusätzlichen Versorgungswegen und der Finanzierung dieser Add on-Lösungen. Die Barmer sagt „ja zu Progression und Innovation, aber mit Verstand“, so Westerhoff. „Wir finden den medizinischen Fortschritt und die digitalen Chancen gut. Wir sind bereit, auch neue Wege zu beschreiten.“ Treibende Kraft müssten aber ein konkretes Versorgungsdefizit und der medizinische Bedarf sein. Die digitalisierte Medizin müsse „ein integrativer Bestandteil funktionierender Versorgungsprozesse“ sein. Technik kann beispielsweise helfen, ärztliche Entscheidungen auf eine breitere Basis zu stellen. Dabei fordern die Krankenkassen evidenzbasierte Lösungen und informationelle Selbstbestimmung. Es sei sehr wichtig, dass der medizinische Fortschritt anhand der Outcomes wie Funktionalität und Lebensqualität gemessen wird. Innovative Angebote sollten auch zur besseren Wirtschaftlichkeit der Versorgung beitragen und Fehl- und Überversorgungen zu vermeiden. Sein positiver Ausblick: „Es gibt gute Beispiele wie innovative Versorgungsangebote zur messbaren Verbesserung der Versorgungsqualität beitragen.“ Innovative Lösungen setzt die Barmer derzeit in rund 300 laufenden Selektivverträgen um. Für solche Lösungen seien die Kapazitäten aber begrenzt.

Als Praxisbeispiel für die Einbindung von digitalen Lösungen in die Versorgungsprozesse stellte Dr. Tino Hauser, Director Clinical Affairs und Reimbursement bei Biotronik, die telekardiologische Versorgung von Patienten mit aktiven kardialen Implantaten vor. Die Herausforderung ist, dass über eine Million Patienten mit Herzschrittmachern oder implantierten Defibrillatoren in Deutschland eine regelmäßige Nachsorge benötigen. Dazu gehört eine „technische“ Überprüfung und eine „individuelle Therapie“, in der Regel alle 3 bis 12 Monate. Die Telekardiologie mit Hilfe eines Home-Monitoring-Systems ermöglicht ein kontinuierliches Monitoring und die sofortige automatische Benachrichtigung bei klinisch relevanten Ereignissen bezüglich des Implantatstatus und Arrhythmien. Studien zeigen als Effekte unter anderem weniger klinische Nachsorgen und damit Kosteneinsparungen, aber auch gerettete Leben oder weniger Schlaganfälle. Trotz dieser Vorteile ist die Vergütung des Telemonitoring allerdings noch immer nicht gegeben.

Dr. Andreas Witthohn, Senior Reimbursement Manager bei Medtronic, präsentierte das Beispiel einer ambulanten Implantation eines Ereignisrekorders und der Nachsorge der Patienten durch ein MedTech-Unternehmen. Der Ereignisrekorder ist ein kleines Implantat, das bis zu drei Jahren den Herzrhythmus (EKG) aufzeigen kann. Implantation und Nachsorge sind ambulant möglich. Die Nachsorge wird telemedizinisch unterstützt. 90 Prozent der Ereignisse bedürfen dabei keiner weiteren Intervention, dennoch muss der Arzt sich die Ereignisse anschauen. Intelligente Systeme können die Ereignisse bewerten und nach Relevanz sortieren, so Witthohn. Derzeit gebe es aber für die Lösung keine Erstattung. Laut einem HTA-Bericht der Berline Charité und der medizinischen Leitlinie sei die Lösung „Standard of care“ bei Synkope und kryptogenem Schlaganfall, aber noch nicht in der Regelversorgung. Lösungsmöglichkeiten für die Übergangszeit sind beispielsweise Selektivverträge, die aber immer nur regionale Lösungen darstellen, von denen nur wenige Patienten profitieren können. Erfolgreiche Selektivverträge müssten schneller in die Regelversorgung überführt werden. Eine weitere „Krücke“ seien Einzelfallanträge, die aber einen immensen bürokratischen Aufwand darstellen. Mit einem Antrag direkt an den Bewertungsausschuss versucht Medtronic, nun neue Wege in die ambulante Erstattung zu gehen.

Dr. Markus Müschenich, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Internetmedizin (BiM) und Geschäftsführer von F. H. Incubator, ist überzeugt, „dass wir in Zukunft ein digitales Ökosystem haben, das uns zwischen dem stationären und dem ambulanten einen digitalen Sektor beschert.“ Digitale Lösungen bieten Anleitungen, Therapieempfehlungen und Versorgungen über intelligente digitale Technologien „genau dort, wo der Patient sich gerade befindet“, so Müschenich. Die Frage sei dann, wer anschließend wie den Patienten in die Arztpraxis und die Klinik steuert.

Der niedergelassene Hausarzt Dr. Hans-Jürgen Melderis stellte eine „ganzheitliche Medizin einmal ganz anders“ vor. Im ersten Schritt gehört für ihn eine visuelle persönliche Begegnung mit dem Patienten von Angesicht zu Angesicht dazu. Der Patient schildert „in aller Ruhe ausführlich seine Beschwerden - ergänzt durch gezieltes Nachfragen des Arztes“. Es folgt eine ausführliche klinische Untersuchung des Patienten, mit den Augen, Händen und Ohren, vom Scheitel bis zur Sohle. Melderis: „Dies führt beim erfahrenen internistischen Generalist zu etwa 80 Prozent der Diagnosen. Das kann Telemedizin nicht leisten. Digitale Lösungen können dann in der Nachsorge und Überwachung unterstützen.

Moderiert wurde die BVMed-Veranstaltung von der Medizinischen Fachjournalistin Renate Harrington und von Thom Rasche, Partner bei Earlybird Venture Capital.

Hinweis an die Medien: Druckfähige Bilder zur Konferenz können unter www.bvmed.de/bildergalerien heruntergeladen werden.
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