Gesundheitspolitik

Veit beim BVMed: "IQTIG will Schwellenwerte für Patientengefährdungen festlegen"

"Die Versorgungsqualität für Patienten wird verbessert, wenn die Qualitätssicherung denen nützt, die Patienten versorgen." Dieses Ziel formulierte Dr. Christof Veit, Geschäftsführer des neuen Qualitätsinstituts IQTIG, auf dem gesundheitspolitischen Event des BVMed zu "Qualität, Transparenz und Nutzen von medizintechnischen Verfahren" am 9. Juni 2015 in Berlin. Veit argumentierte ähnlich wie der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Axel Mühlbacher patientenorientiert: "Qualität ist das, was der Patient in der Versorgung erlebt." Beim Gefährdungspotenzial und dem Schutz der Patienten geht es Veit um die "begründete Setzung der Schwellenwerte". Neben der Qualitätsmessung spielte die Diskussion um die Nutzenbewertung von Medizintechnologien eine große Rolle. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Dietrich Monstadt verwies auf zahlreiche Verbesserungen bei der im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) vorgesehenen Regelung. So müssten die Anträge für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) mit Medizinprodukten höherer Risikoklassen von den Krankenhäusern "im Benehmen mit den MedTech-Unternehmen" gestellt werden. Zudem seien Schrittinnovationen von der Bewertung ausgeschlossen. BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Joachim M. Schmitt kritisierte, dass wesentliche Festlegungen, welche neuen Behandlungsmethoden einer Erprobungsregelung zu unterziehen sind, erst durch eine nachgelagerte Rechtsverordnung erfolgen. Sein Fazit: "Wir sind für eine sachgerechte Nutzenbewertung, immer im Einklang mit höchster Patientensicherheit. Patienten in Deutschland müssen auch künftig schnell von modernen und sicheren Medizintechnologien profitieren können."

Dr. Christof Veit, Geschäftsführer des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz (IQTIG), beschrieb die Aufgaben des neuen Qualitätsinstituts. Er sprach von einem "Paradigmenwechsel und Kulturwandel", indem Qualität als wichtiges Entscheidungskriterium im Gesundheitssystem etabliert wird. Das IQTIG ist ein unabhängiges Institut des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und soll bis zum Jahresende 80 Angestellte haben. Erarbeitet werden wollen Fachvorlagen zur Entscheidung beim G-BA, wie Qualität gemessen werden kann. "Qualität ist eine legitime Anforderung. Qualität ist das, was der Patient in der Versorgung erlebt", so Veit. Das IQTIG-Methodenpapier wird die Grundwerte der Qualitätssicherung und –messung zeigen. Zielgrößen der Qualitätssicherung sind laut Veit "Praktikabilität, Effektivität und Justiziabilität". Veit: "Wir wollen für diejenigen dienlich und nützlich sein, die die Patienten versorgen. Nur dann können wir die Versorgungsqualität verbessern und die Qualität auch sichtbar machen." Bei der Justiziabilität gehe es um das Gefährdungspotenzial und den Schutz der Patienten. Veit geht es dabei um die "begründete Setzung der Schwellenwerte" – ähnlich der Geschwindigkeitsbegrenzung im Straßenverkehr. Über den gewünschten Qualitätswettbewerb werde es aber keine Mengensteuerung geben. "Das ist eine Wunschvorstellung", so Veit. Durch Qualitätsdefinitionen und Qualitätsmessung soll die Nachfrage nach Angeboten gesteuert werden: über die Instrumente Planung, Vergütung und Transparenz.

Zur Diskussion um eine qualitätsorientierte Vergütung ("Pay for performance" – P4P) bemerkte Veit, dass die primäre Motivation zur Erbringung von qualitativ hochwertigen Leistungen nicht durch monetäre Anreize ersetzt werden könne. "Anreize wirken nur temporär", so Veit skeptisch. Sein Appell: "Wir müssen Qualität mit Lernen verbinden. Beispielsweise durch Rückmeldung an die Klinikärzte, was aus den Patienten geworden ist. Denn: 'Nur von Messung ist noch kein Schwein fett geworden.' Wir wollen sinnvolle Instrumente schaffen, die den medizinischen Versorgungseinrichtungen nützen. Die Versorgungsqualität für Patienten wird verbessert, wenn die Qualitätssicherung denen nützt, die Patienten versorgen". Dabei sollen vom IQTIG die relevanten Versorgungsbereiche abgebildet werden. Register sind hier nach Veits Ansicht ein wichtiges Instrumentarium.

Wie können medizintechnische Innovationen besser gefördert werden? Dr. Cord Schlötelburg, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (DGBMT) im VDE, beleuchtete zunächst die Innovationsfelder in der Medizintechnik: Miniaturisierung, Biologisierung, Vernetzung, Autonomisierung und Individualisierung. Ein Beispiel für die technologische Komplexität seien moderne Neuro-Implantate, die Diagnostik und Therapie zusammenführen. Der technologischen Komplexität stehe eine hohe regulatorische Komplexität gegenüber. "Der Weg von der Forschung zum fertigen Medizinprodukt ist lang und steinig", so Schlötelburg. Einen großen Mangel sieht der VDE-Experte in der medizinischen Ausbildung: "Das technische Verständnis spielt hier nach wie vor so gut wie keine Rolle." Eine besonders schwierige Schnittstelle bestehe zwischen Medizintechnik und klinischer Forschung. Es handle sich "um zwei getrennte Welten, die unterschiedliche Sprachen sprechen". Die theoretische Abstraktion der Ingenieure und die Patienten-Orientierung stehen der praktischen Patientenbehandlung und dem "Impact Factor" von Veröffentlichungen der Mediziner gegenüber. Durch das Zusammenwachsen von Medizintechnik und IT kommen völlig neue Player im Gesundheitssystem hinzu. Wie können medizintechnische Innovationen besser gefördert werden? Schlötelburg führte zusammenfassend folgende Punkte auf:

  • Weiterentwicklung der akademischen Ausbildung in Medizin und Medizintechnik
  • adäquate Projektförderung (Umfang, Dauer, Administration, Förderfähigkeit)
  • Projektförderung mit Klinik- bzw. Anwendernähe
  • Projekte mit tragfähigen Translations-/Transferkonzepten
  • Förderung klinischer Studien (mit Bezug zur Zulassung)
  • Entkopplung von "Impact Factor" und (interner) Mittelvergabe
  • obligatorische Förderung innovationsunterstützender Maßnahmen
  • den Kliniken Freiräume und Anreize für Medizintechnik-Forschung schaffen
  • Zulassungshürden nicht erhöhen
  • Register aufbauen
  • Datensicherheit und Datenethik
  • Sektoren- und Silodenken abbauen

Prof. Dr. Reinhard Rychlik vom Institut für Empirische Gesundheitsökonomie (ifeg) schilderte den AMNOG-Prozess für Arzneimittel und bewertete, was daraus für den Bereich der Medizinprodukte folgen kann. Entscheidend sei eine Neudefinition des Begriffs der therapeutischen Verbesserung gewesen. Mit der Einführung des Ziels der "zweckmäßigen Therapie", des "medizinischen Zusatznutzens im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie" und anderer Rechtsbegriffe sei ein Regulationsprozess geschaffen worden, "der letztendlich den Kostengesichtspunkten dient", so Rychlik. Mit dem AMNOG-Neuordnungsgesetz von 2011 seien ein 16-prozentiger Zwangsrabatt, die frühe Nutzenbewertung, die Mehrkostenregelung für Medikamente und die Novellierung der Packungsgrößenverordnung eingeführt worden. Der AMNOG-Prozess sei vom Beratungsprozess bis zur Preisverhandlung methodisch-wissenschaftlich durchgestaltet und unterliege dem "Primat der klinischen Studie". Die oberste Zusatznutzen-Kategorie "erheblich" ("nachhaltige und bisher nicht erreichte große Verbesserung des therapierelevanten Nutzens") sei dabei in fünf Jahren nur einmal vergeben worden. Zu den Konsequenzen des AMNOG-Prozesses gehören ein Selektionsprozess der Hersteller, einhergehend mit einer Reduktion der Forschungsaktivitäten sowie einer Verlagerung der Aktivitäten ins außereuropäische Ausland. Rychliks Appell an die MedTech-Unternehmen: "Man muss diese Entwicklungen ernst nehmen. Das hat die Pharmaindustrie 2010 nicht getan. Der Weg der Politik ist einseitig, aber er wird konsequent verfolgt." Der Bedarf an zusätzlichen Studien würde auch zusätzliche Kosten verursachen. Wichtig sei es, auf der wissenschaftlichen Seite die internationalen Standards besser zu berücksichtigen. Der deutsche IQWiG-Sonderweg mit eigenen Maßstäben sei hier nicht zielführend. Außerdem müsse immer wieder auf die Besonderheiten von Schrittinnovationen hingewiesen werden. "Hier gibt es wenig politisches und wirtschaftliches Bewusstsein und demzufolge auch keine Anerkennung", so Rychlik.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Dietrich Monstadt, Berichterstatter seiner Fraktion für Medizinprodukte, beleuchtete die neue Bewertung medizintechnischer Innovationen nach dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG). Er betonte zunächst die große Bedeutung der Medizintechnik-Branche als Wirtschafts- und Arbeitsmarktfaktor. Knapp 200.000 Menschen sind in Deutschland in der Branche tätig, die überwiegend mittelständisch geprägt ist. Die neue Regelung im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz zu Nutzenstudien sei ein Einstieg in die Nutzenbewertung von Medizintechnologien. Ziel sei die weitere Verbesserung der Versorgungsqualität der Patienten. "Hier brauchen wir nun erst einmal Erfahrungen, wie viele Verfahren der G-BA beurteilen muss. Wir gehen von maximal zehn Verfahren im Jahr aus." Zu den mehr als 50 Änderungsanträgen der Regierungsfraktionen zum GKV-VSG gehören die rückwirkende Gewährung von NUB-Entgelten für neue Methoden mit Medizinprodukten hoher Risikoklasse, die Klarstellung der Einbeziehung aktiver implantierbarer Medizinprodukte sowie der Ausschluss von Schrittinnovationen. Außerdem sollen die NUB-Anträge nur im Benehmen mit den MedTech-Unternehmen von den Krankenhäusern gestellt werden können. Die sogenannte "Trittbrettfahrer-Problematik" sei im Gesetzgebungsverfahren nicht zu lösen gewesen.

Prof. Dr. Axel Mühlbacher, Leiter des Instituts für Gesundheitsökonomie und Medizinmanagement (IGM) an der Hochschule Neubrandenburg, ging auf methodische Fragen bei der Nutzenbewertung von Medizintechnologien ein. Bei der Nutzenbewertung müssten zunächst die Besonderheiten der Medizintechnik berücksichtigt werden: die hohe Innovationsrate mit häufigen Schrittinnovationen, die Kurzlebigkeit der Produkte, die vorwiegend physikalische Wirkweise oder die Abhängigkeit des Erfolgs der Anwendung vom Anwender, also dem Arzt. Mühlbacher bemängelte, dass im neuen Methodenpapier des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) die Evidenz zu den Patientenpräferenzen nicht systematisch berücksichtigt wird. In diesem Kontext würde nicht transparent gemacht, wie die verschiedenen Endpunkte einer klinischen Studie bei der Bewertung des Nutzens gewichtet werden. "Die klinische Messung ist das eine, Bewerten der klinischen Endpunkte das andere. Ich kann je nach Gewichtung der klinischen Effekte zu unterschiedlichen Bewertungen kommen." Mühlbacher forderte eine "transparente Nutzenbewertung und Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit und Preisfestsetzung, die sich konsistent am Patientennutzen und der Wirtschaftlichkeit orientiert".

Hinweis an die Medien: Druckfähige Bilder zur Konferenz können unter www.bvmed.de/bildergalerien heruntergeladen werden.
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