Qualitätsmanagement

MedInform-Veranstaltung zum Qualitätsmanagement für Medizinprodukte: Die neue Norm EN ISO 13485 ist prozessorientiert

Prozessorientierung, umfassende Risikobewertung aller Betriebsbereiche und Verantwortung der Unternehmensführung: Das sind die künftigen Herausforderungen an die Unternehmen der Medizintechnologiebranche durch die neue Norm zum Qualitätsmanagement für Medizinprodukte. Am 2. April 2004 wurde die Norm EN ISO 13485:2003 im EU-Amtsblatt als harmonisierte Norm veröffentlicht. Sie enthält eine Reihe von Elementen, die über die alte Fassung der Norm aus dem Jahr 1996 hinausgehen, und verpflichtet die Hersteller von Medizinprodukten zu einer umfassenden Revision ihres Qualitätsmanagementsystems. Auf einer MedInform-Veranstaltung Ende April in Bonn informierten Experten über die neuen Anforderungen dieser Norm mit dem Titel "Medizinprodukte-Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen für regulatorische Zwecke", die die bisherigen QM-Normen ab 2007 ersetzen wird. MedInform ist der Informations- und Seminarservice des BVMed.

Dr. Hans-Ulrich Plenio, Technologieberater für Medizinprodukte und Obmann des nationalen DIN-Spiegelgremiums zur Fortschreibung der EN ISO 13485, erläuterte in seinem einführenden Vortrag die Entstehung der neuen Norm für das Qualitätsmanagement und verwies insbesondere auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur ISO 9001:2000. Ein wesentlicher Aspekt ist die Übernahme des prozessorientierten Ansatzes dieser Norm. Die Aspekte "Kundenzufriedenheit" und "kontinuierliche Verbesserung" der ISO 9001 wurden ersetzt durch die Begriffe "Erfüllung der Kundenanforderungen" und "Aufrechterhalten der Wirksamkeit". Somit wird sich ein Hersteller, der nach der neuen Norm zertifiziert ist, künftig nur noch dann auf die ISO 9001 berufen können, wenn er Kundenzufriedenheit und kontinuierliche Verbesserung zusätzlich zertifizieren lässt. Neu für die Hersteller von Medizinprodukten ist die Einbeziehung der Dienstleistungen in das Qualitätsmanagementsystem. Ein Umdenken dürfte in vielen Fällen auch die Einbeziehung des Top-Managements erfordern, so Plenio. Durch die Ausweitung des Risikomanagements über alle Phasen der Produktrealisierung wird die Prozessqualität insgesamt verbessert. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Transfer von der Entwicklung in die Produktion. Aufwändiger werden die Anforderungen an die Dokumentation: Die Hersteller müssen bis zu 18 Verfahrensanweisungen zusätzlich aufnehmen, 21 zusätzliche Aufzeichnungen vorsehen und 17 weitere Anforderungen an die Dokumentation erfüllen. Bis zum 31. Juli 2006 kann noch die alte Norm ISO 13485 aus dem Jahr 2000 angewendet werden.

Die Umsetzung der EN ISO 13485 aus Sicht der Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten beschrieb Dr. Ulrich Poos, ZLG-Fachgruppenleiter "Konformitätsbewertungsstellen". Einleitend erläuterte Dr. Poos den Unterschied zwischen Zertifizierungsstellen und "Benannten Stellen": Erstere zertifizieren auf der Basis von Normen, letztere zertifizieren auf der Basis von EG-Richtlinien und werden für diese Aufgabe benannt. Von den 13 Zertifizierungsstellen für QM-Systeme für Medizinprodukte sind 12 Benannte Stellen. Beide Stellen werden durch die ZLG akkreditiert. Als maßgebliche Anforderung für die Akkreditierung einer Stelle nannte Dr. Poos die spezifische Kenntnis der Medizinprodukte eines Herstellers und der dazu gehörenden Prozesse.

Um eine harmonisierte Vorgehensweise der Stellen zu gewährleisten, werden maßgebliche Anforderungen in den so genannten "EK-Med-Dokumenten" des Erfahrungsaustauschkreises Medizinprodukte niedergelegt. Zu den Mindestvoraussetzungen für die Zertifizierung eines Unternehmens nach DIN EN ISO 13485 gehören u. a. die Validierung sämtlicher in Frage kommender Prozesse der Produktion und Dienstleistungserbringung sowie die Berücksichtigung des Risikomanagements während der gesamten Produktrealisierung. Ausgelagerte Prozesse wie die Produktion durch Originalhersteller und die Sterilisation von Medizinprodukten müssen für Produkte der Klassen IIa bis III, sofern sie sicherheitsrelevant sind, durch die Benannte Stelle auditiert werden, es sei denn der Betrieb legt ein Zertifikat auf Basis der harmonisierten Norm vor, das die Konformitätsvermutung bewirkt.

Dr. Susanna Kerschl, Lead-Auditorin für "Medizinprodukte" der TÜV Product Service GmbH München, beschrieb die Durchführung von QM-Audits nach der EN ISO 13485 aus Sicht einer Zertifizierstelle. Dr. Kerschl begrüßte den prozessorientierten Ansatz der neuen Norm im Gegensatz zu der vorherigen Orientierung an Einzel-Elementen. So sei der Hersteller gezwungen, alle Abläufe im Unternehmen zu durchleuchten und bisher vernachlässigte Schnittstellen zu berücksichtigen. Neu für die Hersteller sei auch die Orientierung am Kunden, die ja bis zum Patienten reiche. Das Risikomanagement-System sei umfassend und betreffe alle Elemente der Produktrealisierung, z. B. Bereiche wie die Lohnsterilisation und die Aufbereitung. Auch ausgegliederte Prozesse müssten, soweit sie kritische Fragen beträfen, durch den Hersteller gelenkt werden, so z. B. die Verpackung oder Sterilisation von Medizinprodukten.

Die Frage nach der Grenze zwischen ausgegliederten Prozessen und zugekauften Produkten führte bei der Veranstaltung zu Diskussionen. Produkte, auf die einzelne Anforderungen der Norm nicht zutreffen, wie z. B. die Montage und der Kundendienst bei Einmalprodukten, müssen diesen nicht unterworfen werden. Allerdings bedarf auch dies einer Begründung im QM-Handbuch, so Dr. Kerschl. Auch Lenkungsmaßnahmen zu Design und Entwicklung könnten ausbleiben, wenn regulatorische Anforderungen das zuließen. Klärungsbedarf könne es u. a. noch bei der Frage geben, wie weit die Validierung von Software gehen muss. Benannte Stellen dürften ihr Augenmerk hauptsächlich auf produktrelevante Software-Elemente richten. Für die Benannten Stellen bedeute der prozessorientierte Ansatz, dass sie sich, statt eines "Abarbeitens von Checklisten" nun stärker auf die individuellere Fragestellung jedes Unternehmens vorzubereiten haben. Die Frage, ob die Zertifizierung nach ISO 9001:2000 noch notwendig sei, beantwortete Frau Dr. Kerschl mit ja, solange dies z. B. Kundenerwartungen oder regulatorische Vorgaben (wie z. T. in Südamerika) erforderlich machen. Grundsätzich werde aber angestrebt, dass die ISO 13485 bei Medizinprodukten die ISO 9001 ersetzt. In vielen Ländern (USA, Kanada, China, Taiwan, Südafrika, Schweiz) habe oder erhalte die neue ISO 13485 einen besonderen Stellenwert.

Dipl.-Ing. Rosemarie Rütten, Head of Risk Management, Partnerin der Beratungsgesellschaft aric GmbH bewertete den Stellenwert einer Zertifizierung nach der neuen Norm aus Sicht des Versicherungsmanagements. Ein erfolgreiches Risikomanagement sei eng mit dem Qualitäts-Management des Unternehmens verzahnt, so Frau Rütten. Interne Risiken seien z. B. Mitarbeiter, Management, Instandhaltung, Entwicklung, Strategie und Informationssysteme. Als Risikoquellen nannte Rütten: Produktherstellung und -verwendung, Dienstleistung (Probanden), Verfahren, Transport und Ort der Anwendung. Bei der Risikoauswertung werde die Schadenshöhe und die Eintrittswahrscheinlichkeit betrachtet. Die Risiko-Auswertung könne dann in einer Qualitätsverbesserung resultieren. Mit Zitaten aus der Branche belegte Frau Rütten die Zurückhaltung der Versicherer gegenüber Unternehmen der Medizinprodukte- und Pharma-Industrie, die zu einem Teil auch Stimmungen folge. Mittlerweile sei es durchaus schwierig für die Unternehmen, eine angemessene Haftpflichtdeckung zu bekommen. Chancen auf ein positives Rating hätten die Hersteller deshalb bei Sicherstellung der folgenden Elemente im Unternehmen: funktionierendes QM-System, umfassendes Risikomanagement, externes Audit, positive Risikobeurteilung, und versicherungs- und medizintechnisches Know-how im Unternehmen.

Hans-Werner Veenhuis, Abteilungsleiter Strategischer Einkauf beim LBK (Landesbetrieb Krankenhäuser) Hamburg, unterstrich die Bedeutung der EN ISO 13485 aus Sicht des strategischen Krankenhauseinkaufs. Der LBK, mit 12.600 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber in Hamburg, verfolgt die Strategie, seine sieben Krankenhäuser auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren. Patientenferne Bereiche werden durch Service-Einrichtungen übernommen, so z. B. auch der strategische Einkauf. Im patientennahen Bereich werde derzeit an der Einführung von Qualitätssicherungs-Systemen gearbeitet. Bedingung für die Belieferung des LBK mit Medizinprodukten sei künftig nicht nur deren CE-Kennzeichnung, sondern auch die Einhaltung von QM-Normen. Eine Differenzierung der Lieferanten erfolge danach, wie sie das Unternehmen bei der Reduzierung seiner Gesamtkosten unterstützen.

In seiner Zusammenfassung appellierte BVMed-Geschäftsführer Joachim M. Schmitt an die Unternehmen, die neue Norm nicht als unbequeme Pflicht zu verstehen, sondern als eine echte Chance, einen möglichen Mehraufwand in der Einführungsphase durch eine deutliche Qualitätsverbesserung mit allen Vorteilen bei Kosten, Kundenzufriedenheit und Rating aufzuwiegen.

Hinweis an die Medien:
Digitale Bilder zur Veranstaltung können im Internet unter
www.bvmed.de (Bilderpool – Veranstaltungen) abgerufen werden. Hochauflösende 300 dpi-Bilder können bei der BVMed-Pressestelle per Mail (beeres@bvmed.de) oder telefonisch (030 – 246 255-20) bestellt werden.
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