Medizinproduktegesetz - MPG

BVMed-Sozialrechtstag in Berlin: Gesetzeskonforme Umsetzung der Rahmenbedingungen notwendig – Theorie und Praxis stimmen nicht immer überein

Um einen qualitätsgesicherten Wettbewerb im Hilfsmittelbereich sicherzustellen, ist eine gesetzeskonforme Umsetzung der Rahmenbedingungen durch alle Beteiligten notwendig. Die Theorie und die Praxis stimmen derzeit nicht immer überein. Das war die einhellige Botschaft des BVMed-Sozialrechtstages am 13. Juni in Berlin. So werde durch einige Kassen versucht, sich mit "Open-House-Rabattverträgen" mit nicht verhandelbaren Konditionen und Preisen vom Vergaberecht zu lösen. Das Informationsrecht für Hilfsmittel-Leistungserbringer über die Inhalte abgeschlossener Verträge werde von manchen Krankenkassen ebenso missachtet, wie das bedingungsgleiche Beitrittsrecht zu Verträgen mit "Premiumpartnersystemen" ausgehebelt werde. Ohne gesetzliche Grundlage ist auch die Beauftragung eines externen Gutachters statt des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) – auch dann, wenn der Versicherte schriftlich eingewilligt hat. Ebenso ambivalent steht es um die eigentliche Therapiehoheit des Arztes, welche durch Wirtschaftlichkeits- und Richtgrößenprüfungen sowie Genehmigungspflichten und Sonderverträge von den Kassen beschränkt wird. Zulässige und unzulässige Formen der Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten sind im Rahmen des § 128 SGB V geregelt, im Alltag sollten alle Akteure transparent arbeiten und Leistungsverhältnisse dokumentieren.

Daniela Piossek, Leiterin des Referates Krankenversicherung beim BVMed in Berlin, erläuterte eingangs die Bereiche, in denen es durch die Krankenkassen immer wieder zu Umsetzungs- und Auslegungsproblemen im Hilfsmittelbereich gekommen ist. "Der Phantasie einiger Kostenträger sind dabei keine Grenzen gesetzt. Aber zum Glück handelt es sich dabei nur um eine Minderzahl. Viele Kassen handeln durchaus korrekt", war das Fazit der Hilfsmittel-Expertin. Piossek appellierte an die beteiligten Krankenkassen und Leistungserbringer, fair miteinander umzugehen.

Dr. Oliver Esch, Fachanwalt für öffentliches Wirtschafts- und Vergaberecht bei Osborne Clarke in Köln, referierte über den aktuellen Stand bei Ausschreibungen nach § 127 Abs. 1 SGB V und deren Umsetzung sowie über die geplanten europäischen Richtlinien zum Konzessions- und Vergaberecht. Das neue EU-Richtlinienpaket sei wesentlich umfangreicher geworden, als vorher gedacht. Jedoch ist fraglich, ob der geplante Zeitplan zur Verabschiedung eingehalten wird. Laut Esch werde die Richtlinie reine Dienstleistungen erfassen, keine Lieferaufträge. Was Dienstleistungen und was Lieferaufträge sind, definiert der wirtschaftliche Schwerpunkt. Zu den Inhalten und Auswirkungen der neuen Vergaberichtlinie führte er an: "Ich halte im Ergebnis nach wie vor die Risiken für gering, dass sich für Sie im gewohnten System etwas ändern wird." Es bestehe daher aus seiner Sicht wenig Handlungsbedarf.

Esch ging außerdem auf das Zusammenspiel von Kassen, Preisen und Qualitätskriterien in der Versorgung ein. Er stellte klar heraus, dass es möglich sei, nicht allein den Preis als einziges Zuschlagskriterium zu berücksichtigen. Esch setzte sich auch mit der Problematik des Begriffs "Aufzahlung" auseinander, welche keine Zuzahlung für den Patienten im eigentlichen Sinne darstelle. Teilweise würden Leistungserbringer "insgeheim" und planmäßig Aufzahlungen für die Versicherten kalkulieren, um selbst günstiger wirtschaften zu können. Es werde aber nach seinem "Dafürhalten schwierig, ein Aufzahlungsverbot durchzusetzen."

Mit der rechtsmissbräuchlichen Ausnutzung der Marktmacht von Krankenkassen setzte sich Peter Hartmann, Fachanwalt für Medizinrecht aus Lünen, auseinander. Er ging mit Beispielen auf einige in der Praxis vorkommende Missbräuche wie einseitige Vertrags- und Preisvorgaben durch Krankenkassen oder die bevorzugte Behandlung von Vertragspartnern ein und zeigte rechtliche Möglichkeiten auf, wie die Leistungserbringer damit umgehen können bzw. sollten. So haben einige Kassen versucht, sich vom Vergaberecht zu lösen, indem sie "Open-House-Rabattverträge" mit nicht verhandelbaren Konditionen und Preisen anbieten. Das Oberlandesgericht Düsseldorf beurteilte solche Verfahren als vergaberechtswidrig und als Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz.

Ein Knackpunkt bildet nach wie vor das Informationsrecht, nach welchem Hilfsmittel-Leistungserbringer über die Inhalte abgeschlossener Verträge auf Nachfrage von den Krankenkassen unverzüglich zu informieren sind. Hier liegen Theorie und Praxis teilweise weit auseinander. Das Beitrittsrecht, nach dem jedem Leistungserbringer der bedingungsgleiche Beitritt zu von anderen Leistungserbringern abgeschlossenen Verträgen sichergestellt werden soll, werde beispielsweise von einer Kasse in Form eines sogenannten "Premiumpartnersystems" umgangen. Die Kasse kündigte alle bestehenden Hilfsmittelverträge und schloss mit wenigen "Premiumpartnern" neue Verträge ab. In einem anderen Fall hat eine Kasse mit einer so genannten "Vertragsanpassung" einseitig Vertragsbedingungen und Preise geändert, welche bei Widerspruch seitens der Leistungserbringer die aktuellen Verträge auslaufen lässt. Auch läuft der Verhandlungsanspruch für Hartmann ebenso ins Leere, da Leistungserbringer meist auf bestehende Verträge verwiesen würden und das Beitrittsrecht somit zum "Vertragsdiktat" werde. Abschließend forderte Hartmann die "gleiche Umsetzung der Spielregeln für alle", da "die Nachfragemacht auf monetärer Seite massiv ausgenutzt" werde. Krankenkassen seien jedoch Körperschaften öffentlichen Rechts und damit an Recht und Gesetz gebunden.

Dr. Markus Plantholz, Fachanwalt für Medizinrecht aus Hamburg, erörterte die Rechtslage zu externen Hilfsmittelberatern und Gutachtern. Grundsätzlich gelten für Krankenkassen der Bewilligungsvorbehalt und das Wirtschaftlichkeitsgebot. Auf medizinischer Seite entscheidet der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK), ob ein Hilfsmittel beispielsweise medizinisch notwendig oder technisch zweckmäßig ist. Für die Beauftragung eines externen Gutachters gibt es hingegen laut Plantholz keine gesetzliche Grundlage – auch dann nicht, wenn der Versicherte schriftlich zur Datenweitergabe an und medizinischen Überprüfung durch einen externen Gutachter eingewilligt hat. Dem pflichtet auch der Bundesbeauftragte für Datenschutz bei: Der gesetzliche Rahmen der Verfahrenswege nach SGB V, wonach der MDK die vorgegebene Institution zur Beurteilung von medizinischen Sachverhalten in der Hilfsmittel-Versorgung ist, dürfe durch eine Unterschrift des Patienten nicht umgangen werden. Als gesetzlich definiertes Beispiel für den Einsatz externer Berater verweist Plantholz auf die Neuregelungen in der Pflege: Im SGB XI werden die Anforderungen an externe Gutachter detailliert geregelt.

Der Rechtsanwalt Jörg Hackstein aus Lünen wog die Therapiehoheit des Arztes gegen das Wirtschaftlichkeitsprinzip ab. Der Arzt habe zwar die Therapiehoheit, jedoch werde diese durch Wirtschaftlichkeits- und Richtgrößenprüfungen sowie Genehmigungspflichten und Sonderverträge mit einzelnen Kassen beschränkt. Leistungen der GKV unterliegen nach SGB V dem Wirtschaftlichkeitsgebot, d. h. das Maß des Notwendigen darf nicht überschritten werden. Eine Wirtschaftlichkeitsprüfung des Arztes gibt es jedoch nur bei Arznei-, Verband- und Heilmitteln, nicht aber bei Hilfsmitteln. Für diese gilt vielmehr verbindlich die Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Die Verordnung soll eine dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Kenntnisse, ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung mit Hilfsmitteln gewährleisten. Für den Arzt ist nicht allein die Diagnose ausschlaggebend; er muss eine Gesamtbetrachtung der Schädigungen und Beeinträchtigungen vornehmen und dabei die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) beachten. Damit sollen u. a. der Bedarf und das Versorgungsziel einer Hilfsmittelverordnung realistisch und am individuellen Alltag des Versicherten ermittelt werden. Hackstein äußerte hier sein Bedenken, "dass das Wort 'Versorgungsziele' gerne übersehen wird", obwohl dies "der Maßstab für die Verordnung" sei. Zudem sind Hilfsmittelversorgungen genehmigungspflichtig, d. h. eine Verordnung des Arztes begründet nicht sofort einen Versorgungsanspruch.

Hackstein führte auch besondere, freiwillige Vergütungsmodelle von Krankenkassen für Ärzte an, wonach diese bei der Verschreibung bestimmter günstiger Produkte und Therapien unter der Maßgabe von Quoten und Versorgungsmengen einen Bonus erhalten. Er schloss daraus, dass das Verordnungsverhalten des Arztes davon sicherlich beeinflusst werde und hält "solche Ansätze mit finanziellen Anreizen für die Ärzte" für nicht "wirklich richtig gut".

Zulässige und unzulässige Formen der Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten im Rahmen des § 128 SGB V erörterte Maria Heil, Rechtsanwältin bei Clifford Chance in Düsseldorf. Das Gesetz beinhaltet vier grundsätzliche Verbote:

> Das Depotverbot untersagt die Abgabe von Hilfsmitteln an Versicherte über Depots bei Vertragsärzten und in Krankenhäusern, nicht aber in Pflegeheimen und in der Notfall-Versorgung. Depots mit Verbrauchsmaterialien, Sprechstundenbedarf, Materialien der ärztlichen und stationären Behandlung (bspw. Implantate) sind dagegen zulässig.

> Nach dem Beteiligungsverbot dürfen Leistungserbringer Ärzte nicht gegen finanzielle oder sonstige wirtschaftliche Vorteile an der Hilfsmittelversorgung beteiligen.

> Das Zuwendungsverbot untersagt es Leistungserbringern, Ärzten in Verbindung mit der Hilfsmittelverordnung Zuwendungen zu gewähren. Unzulässig sind demnach bspw. auch das unentgeltliche oder verbilligte Überlassen von Geräten und Material für Schulungen, das Bereitstellen oder eine Kostenbeteiligung an Räumen oder Personal sowie Einkünfte von Ärzten aus Unternehmensbeteiligungen von Leistungserbringern. Schulungen gegen Entgelt und solche nach medizinprodukterechtlichen Verpflichtungen (MPG-Einweisungen) sowie Schulungen von Patienten und Pflegepersonal sind unter Beachtung des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) jedoch weiterhin möglich. Das gilt auch für Rabatte auf Materialien und Sprechstundenbedarf, die nicht im Zusammenhang mit Hilfsmittelverordnungen stehen, ggf. aber an die GKV weitergegeben werden müssen.

> Das Verbot der Vergütung zusätzlicher privatärztlicher Leistungen untersagt es Leistungserbringern, solche Leistungen im Rahmen der Hilfsmittelversorgung zu vergüten. Der Leistungserbringer darf also bspw. im Rahmen der Hilfsmittelversorgung keine Kosten für IGeL-Leistungen übernehmen.

Einkünfte aus Unternehmensbeteiligungen an Leistungserbringern sind Medizinern darüberhinaus ebenfalls untersagt, sofern der Arzt seine Einkünfte durch sein eigenes Verordnungs- und Zuweisungsverhalten beeinflussen kann. Unzulässig ist demnach zum Beispiel eine Beteiligung an Apotheken oder Physiotherapiepraxen in "räumlicher" Nähe und einer "entsprechenden" Anzahl von Patienten, die diese aufsuchen könnten. Das gilt auch für die Beteiligung an Leistungserbringern, wenn die Gewinnbeteiligung für den Arzt direkt mit der Zahl an Überweisungen im Zusammenhang steht. Zulässig sind nach Heil jedoch Beteiligungen zu den gleichen Konditionen wie für andere Investoren, sofern eine maßgebliche Beeinflussung ausgeschlossen werden kann.

Grundsätzlich seien die Regelungen sehr spezifisch und vom Einzelfall abhängig: "Ich kann Sie leider nicht mit einem Katalog entlassen, der sagt 'geht' oder 'geht nicht'." Nach Meinung Heils seien für die Praxis noch viele Fragen ungeklärt. Für die praktische Umsetzung im Unternehmensalltag empfahl die Juristin, vier Grundprinzipien zu beachten: Das Trennungs-, Transparenz-, Dokumentations- und Äquivalenzprinzip. So sollten Umsatzgeschäfte voneinander unabhängig sein, dienst- und berufsrechtliche Anforderungen stets eingehalten und Leistungsverhältnisse dokumentiert und transparent gemacht werden sowie Leistung und Gegenleistung bei Verträgen gleichwertig sein. Nicht zuletzt sollten Mitarbeiter gut geschult werden und Leistungserbringer gegenüber Krankenkassen transparent arbeiten.

Hinweis an die Medien: Druckfähiges Bildmaterial zur Konferenz kann unter www.bvmed.de (Bilder / Veranstaltungen) heruntergeladen werden.

Medienkontakt:
Manfred Beeres
Leiter Kommunikation/Pressesprecher
Tel: +49 30 246 255-20
E-Mail: beeres(at)bvmed.de
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