Medizinprodukteverordnung

BVMed-Konferenz zur neuen europäischen Medizinprodukte-Verordnung (MDR): „Deutlich höherer Aufwand und steigende Kosten für die KMU-geprägte MedTech-Branche“

Die neue europäische Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation – MDR), die Ende Mai 2017 in Kraft trat, wird für die mittelständisch geprägte MedTech-Branche einen deutlich höheren Aufwand und damit steigende Kosten für den Markteintritt von Medizinprodukten mit sich bringen. Das betonten die Experten der BVMed- Konferenz „MDR-Sommer-Camp“ am 26. und 27. Juni 2017 in Düsseldorf. „Die Kosten für den Markteintritt von Medizinprodukten werden enorm steigen. Unsere Unternehmen müssen zusätzliches Personal für viele neue Bereiche einstellen“, sagte BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Joachim M. Schmitt. Die Unternehmen benötigen „pragmatische Lösungen für die Umsetzung der neuen Regelungen“. Deutschland sei hier mit dem „Nationalen Arbeitskreis zur Implementierung der MDR und IVDR“ (NAKI) auf einem guten Weg, so Schmitt.

Dr. Almut Fröhlich vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) stellte klar, dass vor allem die Anforderungen an die klinische Bewertung durch die MDR deutlich verschärft werden. Die technische Dokumentation der Hersteller muss zudem im Zusammenhang mit den Marktbeobachtungspflichten regelmäßig aktualisiert werden. Eine weitere neue Verpflichtung ist die Erstellung und Anbringung eines UDI-Codes zur eindeutigen Produktkennung. Die MDR ist nach einer dreijährigen Übergangszeit ab 26. Mai 2020 verpflichtend anzuwenden. Nach Ansicht der Experten ist die Übergangsfrist angesichts der umfangreichen neuen Anforderungen an Hersteller und Benannte Stellen zu knapp bemessen. Fröhlichs Appell an die MedTech-Unternehmen: „Bereiten Sie sich so schnell wie möglich vor“. Die Zeitschiene sei vor allem bei Klasse I-Produkten kritisch, da es hier die kürzesten Fristen gebe, so Barbara Lengert von Johnson & Johnson. Hersteller sollten sich bei den Benannten Stellen auf Kapazitätsengpässe einstellen, eine „klare Umstellungsstrategie“ entwickeln und sich frühzeitig mit der Benannten Stelle abstimmen, empfahl ZLG-Direktor Dr. Rainer Edelhäuser.


Bildergalerie zur MDR-Konferenz

Ausführlicher Konferenzbericht:


Dr. Almut Fröhlich vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) stellte zu Beginn der Konferenz wichtige Neuerungen der MDR vor und gab Hinweise zur Umsetzung der Verordnung. Sie wies darauf hin, dass die Arbeiten an dem neuen Rechtsrahmen bereits lange vor dem PIP-Skandal begonnen haben. Zu den Zeitabläufen:
  • Die MDR ist am 25. Mai 2017 in Kraft getreten. Geltungsbeginn ist damit am 26. Mai 2020, wobei sich das BMG „gerne eine längere Übergangsfrist gewünscht hätte“. Bis zum Geltungsbeginn können Medizinprodukte nach altem oder nach neuem Recht in Verkehr gebracht werden.
  • Die Vorschriften über die Benannten Stellen (Art. 35 bis 50) gelten bereits ab dem 26. November 2017, also sechs Monate nach Inkrafttreten.
  • Ab 26. Mai 2018 (beginnt die Kooperation der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und der Kommission mit Blick auf die einheitliche Anwendung der MDR.
  • Ab 26. Mai 2019 gelten GS 1, HIBCC und ICCBBA als benannte Zuteilungsstellen für UDI.
  • Frühestens ab 26. Mai 2020 oder sechs Monate nach Bekanntmachung der vollen Funktionsfähigkeit von Eudamed gelten die Regelungen, die in untrennbarem Zusammenhang mit Eudamed und der UDI-Datenbank stehen. Die Unternehmen haben dann 18 Monate Zeit, um ihre Produkte in Eudamed zu registrieren.
  • Nach Mai 2024 wird es keine gültigen Bescheinigungen mehr nach altem Recht geben. Dann endet die verlängerte „Abverkaufsregelung“.

Zu den wesentlichen Neuerungen zählte die BMG-Expertin Regelungen zur klinischen Bewertung, zum „Scrutiny Verfahren“, zum Eudamed/UDI-Datenbanksystem, neue Klassifizierungsregeln, eine Vielzahl neuer Berichtserfordernisse sowie zur Produkthaftung. Artikel 10 der MDR versucht, die Pflichten der Hersteller zusammenfassend zu beschreiben:
  • Die Anforderungen an die klinische Bewertung werden durch die MDR deutlich verschärft. Die klinische Bewertung ist „eine wesentliche Herstelleraufgabe für alle Produkte“ und ein kontinuierlicher, qualitätsgesicherter Prozess, der frühzeitig im Lebenszyklus eines Produktes geplant bzw. gestartet und während der gesamten Lebensdauer der Produkte angewandt und dokumentiert werden muss“, so Fröhlich. Die Bewertung muss andere verfügbare Behandlungsoptionen berücksichtigen und Bestandteil des Qualitätsmanagementsystems (QMS) des Herstellers sein. Für Klasse III-Produkte und implantierbare Produkte ist eine klinische Prüfung bis auf ganz wenige Ausnahmen verpflichtend. Die Berufung auf Gleichartigkeit (Äquivalenz) wurde erheblich eingeschränkt. Ausnahmen gibt es beispielsweise für Änderungen eines bereits von demselben Hersteller vermarkteten gleichartigen Produktes.
  • Die technische Dokumentation muss im Zusammenhang mit den Marktbeobachtungspflichten regelmäßig aktualisiert werden. Außerdem sieht die MDR eine Vielzahl neuer zusätzlicher Berichte vor.
  • Beim Konformitätsbewertungsverfahren wird das Prinzip der risikogestützten Klassifizierung beibehalten. Die Benannten Stellen werden aber zukünftig mit „klarer“ beschriebenen Zuständigkeiten für Produkt-oder Technologiearten benannt.
  • Mit dem „Scrutiny Verfahren“ (Art. 54 und Anhang XI Kapitel II 5.1) wird ein zusätzliches Überprüfungsverfahren („Konsultationsverfahren“) – fokussiert auf die klinische Bewertung – durch ein Expertengremium für bestimmte Medizinprodukte höherer Klassen eingeführt.
  • Eine neue Verpflichtung ist die Erstellung und Anbringung (Labeling) eines UDI-Codes (Unique Device Identification System, Art. 27) zur eindeutigen Produktkennung. Mit UDI gehen auch neue Registrierungspflichten in der produktbezogenen Eudamed-Datenbank einher.
  • Die MDR bringt zudem gestiegene Anforderungen an das System der Marktbeobachtung durch den Hersteller mit sich. Es muss ein proaktives System zur Sammlung und Auswertung aller im Feld verfügbaren Informationen auch zu ähnlichen Produkten anderer Hersteller etabliert werden.
  • Die Hersteller werden durch die MDR auch zu einer produkthaftungsrechtlichen Deckungsvorsorge verpflichtet.

Die Regelungen aus der EU-Verordnung gelten in den Mitgliedstaaten unmittelbar. Das deutsche Medizinproduktegesetz (MPG) und die nationalen Verordnungen müssen entsprechend angepasst oder aufgehoben werden. Für die nationale Umsetzungsstrategie wurde ein „Nationaler Arbeitskreis zur Implementierung der MDR und IVDR“ (NAKI) unter Einbindung der Herstellerverbände wie dem BVMed einberufen. Ein Ziel ist es, Probleme und Fragen bei der Auslegung und Umsetzung der MDR zu identifizieren und die nationalen mit den europäischen Aktivitäten zu verzahnen, „um in einem kontinuierlichen Prozess gemeinsame Lösungen zu finden“.

Das neue Benennungsverfahren der „Benannten Stellen“ beleuchtete Dr. Rainer Edelhäuser, Direktor der Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG). Nach dem so genannten „Dalli-Plan“ der EU-Kommission aus dem Jahr 2013 sei die Zahl der Benannten Stellen von über 80 auf etwas über 50 gesunken, „und sie wird weiter sinken, wenn man die gestiegenen Anforderungen durch die MDR betrachtet“. Edelhäuser bezeichnete die neue Benennung der Stellen als „eine gewaltige Herausforderung“, da über die nationale Behörde hinaus weitere Experten im „Joint Assessment Team“ in einem sehr komplexen Prozess einbezogen werden müssen. Der Benennungsprozess sei in der MDR sehr detailliert und mit umfangreichen Anforderungen geregelt. Der entsprechende Durchführungsrechtsakt muss bis zum 26. November 2017 vorliegen. Dann können die Benannten Stellen Anträge auf Neubenennung stellen. Auch wenn alle Stellen „rechtzeitig“ benannt seien, werde der Übergang „eng“. Hersteller sollten sich auf Kapazitätsengpässe einstellen, eine „klare Umstellungsstrategie“ entwickeln und sich frühzeitig mit der Benannten Stelle abstimmen, so Edelhäuser. Viele „konkrete Festlegungen“, beispielsweise für Prüfung der technischen Dokumentationen auf Stichprobenbasis, stehen noch aus. „Aber die Vorgaben aus der Verordnung zeigen schon deutlich den Mehraufwand“, so der ZLG-Direktor. Insgesamt komme es zu einem hohen Dokumentationsaufwand für alle Beteiligten, so dass sich die Frage stelle, ob die Übergangsfristen ausreichend seien. Edelhäuser regte an, Struktur und Umfang der aktuellen Technischen Dokumentation dahingehend zu prüfen, ob damit die neuen Dokumentations- und Informationspflichten sinnvoll erfüllt werden können.

Die MDR-Übergangsfristen vom alten zum neuen Recht thematisierte Dr. Joachim Wilke, Director Regulatory Affairs and Policy Europe bei Medtronic, aus Herstellersicht. Zu den offenen Fragen gehören die Zertifikatsdefinition, die Auswirkungen von wesentlichen Änderungen der Auslegung nach der Übergangsfrist, die Anforderungen an nach altem Recht zertifizierte Produkte nach der Übergangsfrist, die Anwendbarkeit des Konsultationsverfahrens während der Übergangsfrist sowie die Regelungen zum Abverkauf nach der Übergangsfrist. Beim Übergang vom alten zum neuen Recht benötigen die MedTech-Unternehmen Klarstellungen, um sich auf die neuen Anforderungen einstellen zu können. So sei es beispielsweise offen, wie mit nach altem Recht zertifizierten Produkten zu verfahren ist, die sich fünf Jahre nach dem Anwendbarkeitsdatum noch in der Distributionskette befinden. Der BVMed schlage hier vor, die Bereitstellung dieser Produkte zumindest national weiterhin zu ermöglichen, sofern ein etwaiges Haltbarkeitsdatum nicht überschritten wird oder kein Rückruf der Produkte erfolgte. „Wir müssen wissen, was auf unsere Produkte genau zukommt und wie wir gemeinsam mit den Beteiligten ein einheitliches Verständnis der Regelungen erzielen“, so Wilke.

Barbara Lengert, Senior Manager Strategic Regulatory Affairs bei Johnson & Johnson Medical GmbH, ging aus Herstellersicht auf Herausforderungen für Medizinprodukte der Klasse I ein. Die verschiedenen Unternehmenstöchter des Konzerns haben zusammen über 20.000 Klasse I-Produkte. Anforderungen sind neben dem Konformitätsbewertungsverfahren der Bericht über die Überwachung nach dem Inverkehrbringen (Post Market Surveillance Report), die einmalige Produktkennung (UDI) sowie die ausreichende finanzielle Deckung der potentiellen Haftung. Das Konformitätsbewertungsverfahren bleibt bei Klasse I-Produkten grundsätzlich in alleiniger Verantwortung der Hersteller. Die Herausforderung ist die Umsetzung der neuen Regelungen bis zum 26. Mai 2020. Bei den Klasse I s, I m und I r, beispielsweise wiederverwendbare chirurgische Instrumente, werde es eine „begrenzte Beteiligung der Benannten Stelle“ geben, die aber noch näher definiert werden muss, so Lengert. Das Unternehmen tue dies unter enger Einbindung der Benannten Stellen. Die Berichte über die Überwachung nach dem Inverkehrbringen (Post-Market-Surveillance-Report) müssen ständig aktualisiert werden. Die Überwachung nach dem Inverkehrbringen wird auch Teil des Qualitätsmanagementsystems. Die Ressourcen im Unternehmen müssen dafür gut gemanagt werden, da die Berichte bei Bedarf aktualisiert und der Behörde auf Ersuchen zur Verfügung gestellt werden müssen. Für die UDI-Umsetzung müssen noch technische Lösungen beispielsweise für sehr kleine Produkte entwickelt werden. Schließlich gibt es für die Klasse I-Hersteller die Herausforderung, die Haftungsrisiken angemessen finanziell abzudecken.

Katja Klein, Team Manager Regulatory and Clinical Affairs bei pfm medical, beleuchtete die Herausforderungen für Medizinprodukte der Klassen IIa und IIb. Die wesentlichen Neuerungen für diese Produktklassen sind das „Scrutiny-Verfahren“ („Konsultationsverfahren“) für Klasse III-Produkte und aktive Produkte der Klasse IIb, die Arzneimittel zuführen oder ableiten, die Neuregelung der Marktüberwachung mit kürzeren Meldefristen, die zusätzliche Berichte und Pläne, wesentlich höhere Anforderungen bei der Erstellung von klinischen Daten, beispielsweise in der klinischen Bewertung, die zeitlich gestaffelte Einführung der UDI-Kennzeichnung, die Höherklassifizierung bestimmter stofflicher und chirurgisch-invasiver Medizinprodukte sowie die verpflichtende Einführung eines Implantationsausweises für grundsätzlich alle implantierbaren Medizinprodukte. Notwendig seien Gap-Analysen (Lückenanalysen) und Übergangspläne „für jedes Produkt und für das Unternehmen als Ganzes“, so Klein. Strategien müssten abhängig vom Produkttyp, der technischen Ausgereiftheit des Produkts oder dem Markt festgelegt werden. Die Aktivitäten sollten dabei abteilungsübergreifend organisiert werden. Der höhere Aufwand zum Erhalt des Produktes führt zu einem deutlichen Anstieg der Kosten und der Ressourcen sowie zu längeren Entwicklungszeiten. Schwierig sei in der aktuellen Phase, dass die Auslegung der MDR-Regelungen in großen Teilen noch offen sei, „so dass großer Interpretationsspielraum herrscht“. Empfehlenswert sei es, eine Koordinierungsstelle zur MDR-Umsetzung innerhalb des Unternehmens zu schaffen.

Die geänderten Anforderungen an Klasse III-Medizinprodukte beleuchtete Karin Fricke, Senior Manager Regulatory Affairs bei Edwards Lifesciences. Das Unternehmen ist der weltweit größte Anbieter von Herzklappen. Klasse III-Produkte haben bei der UDI-Einführung die kürzeste Frist: Geltungsbeginn ist hier der 26. Mai 2021. Der zu erstellende „Kurzbericht über Sicherheit und klinische Leistung“ (Artikel 32) führt zu einer deutlich steigenden Transparenz zur klinischen Bewertung und zur klinischen Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen, da er bei Eudamed veröffentlicht wird. Der Kurzbericht ist mindestens einmal jährlich zu aktualisieren. Weitere Herausforderungen sind das „Scrutiny-Verfahren“ (Artikel 54) unter Einbindung der EU-Kommission und eines Expertengremiums sowie die gestiegenen Anforderungen an die klinische Bewertung. Der Bericht über die Sicherheit der Produkte (PSUR) muss ebenfalls mindestens einmal jährlich aktualisiert werden.

Die neuen Herstellerpflichten nach der MDR stellte Frank Matzek vor. Er ist Vice President Regulatory and Governmental Affairs bei Biotronik. Die Herstellerpflichten treffen Unternehmen, die Produkte unter eigenen Namen auf dem Markt bereitstellen, aber beispielsweise auch Aufbereiter eines Einmalproduktes, „Re-Labeler“, die die Zweckbestimmung eines bereits in Verkehr gebrachten Produktes ändern, sowie „Re-Manufacturer“ oder Ersatzteil-Lieferanten, die das Produkt verändern. Keine Herstellerpflichten haben "Private Label Distributor". Das sind Händler oder Importeure, die Produkte unter eigenem Namen vertreiben, aber eine Vereinbarung mit einem Hersteller haben, "wonach der Hersteller auf der Kennzeichnung angegeben wird und für die Einhaltung der nach der MDR für die Hersteller geltenden Anforderungen verantwortlich ist", so Matzke. Die Hersteller müssen schriftlich festlegen, welche Personen im Unternehmen für die Herstellerpflichten verantwortlich sind. Um Markttransparenz herzustellen, müssen die Hersteller umfängliche Informationen bereitstellen und in die Eudamed-Datenbank eintragen. Beispielsweise müssen Kennzeichnung, Gebrauchsanweisung, Implantationsausweis und Patienteninformationen in allen Sprachen des Vertriebsgebietes und auch auf der eigenen Webseite zur Verfügung gestellt werden. Problematisch sei, dass rund 30 neue Symbole eingeführt werden, für die es aber noch keine Festlegungen gebe. Zu den weiteren Herstellerpflichten gehören die UDI-Kennzeichnung auf allen Verpackungsstufen, die Registrierung von Produkten und Wirtschaftsakteuren sowie die Produkthaftpflichtversicherung.

Garrelt Schmidt, Leiter Regulatory Affairs beim Endoprothetik-Unternehmen Peter Brehm, sieht den Innovationsstandort Deutschland durch die neuen Anforderungen zu klinischen Bewertungen und klinischen Prüfungen in Gefahr. Es sei fraglich, wie kleine MedTech-Unternehmen die neuen, umfangreichen Anforderungen stemmen sollen. „Aufgrund der kurzen Innovationszyklen der MedTech-Branche und der mittelständischen Struktur werden die Anforderungen kaum noch zu erfüllen sein“, so Schmidt. Der Hersteller muss sicherstellen, dass die klinische Bewertung auf einer ausreichenden klinischen Datenlage basiert, die fortlaufend im Rahmen der klinischen Weiterverfolgung nach dem Inverkehrbringen aktualisiert werden muss. Es sei dabei derzeit noch unklar, welche Datenlage ausreichend sein wird, so Schmidt. Gerade bei spezialisierten Produkten mit geringen Patientenzahlen würden klinische Studien nicht leistbar sein. Klar sei aber, dass die Benannten Stellen der klinischen Bewertung genauere Beachtung bei der Bewertung der technischen Dokumentation schenken werden. Die Bewertung der Benannten Stelle wird wiederum regelmäßig einer Überprüfung durch die Benennungsbehörde unterzogen. Zudem wird bei bestimmten Produkten hoher Klasse die Bewertung der Benannten Stelle im Rahmen des „Scrutiny-Verfahrens“ von einem Expertengremium überprüft. Hinzu kommen die regelmäßigen Berichtspflichten beispielsweise zur klinischen Überwachung. Hersteller müssten über 20 Berichte an die Benannte Stelle senden. Das überlaste nicht nur kleine Unternehmen, sondern auch die Benannten Stellen selbst. Im Endeffekt führe dies bei kleineren Unternehmen zu Einschränkungen des Produktportfolios.

Die neuen Klassifizierungsregelungen für Medizinprodukte nach der MDR beleuchtete Dr. Anton Eckle, Director Regulatory Affairs Intelligence bei Paul Hartmann. Die Gliederung des Anhangs „Klassifizierungsregeln“ wurde gegenüber der bisherigen Richtlinie beibehalten: es gibt im Anhang 8 der MDR Definitionen, Durchführungsvorschriften und Klassifizierungsregeln. Innerhalb der einzelnen Kapitel ergeben sich aber „signifikante Änderungen“, so Eckle. So werden bestehende Definitionen erweitert und präzisiert, beispielsweise zu einem „implantierbaren Produkt“ oder einem „chirurgisch-invasiven Produkt“, und neue Definitionen eingeführt. Auch die Klassifizierungsregeln werden präzisiert und ergänzt sowie um neue Sachverhalte erweitert. Aktive Implantate und Zubehör werden in Regel 8 eingefügt und ausnahmslos in Klasse III eingestuft, was vor allem beim Zubehör kritisch zu betrachten ist. Neue Regeln werden für Software, Nanomaterialien, Produkte zur Inhalation von Arzneimitteln, stoffliche Medizinprodukte sowie aktive therapeutische Produkte mit integrierter und regelnder Diagnostik aufgenommen. „Im Einzelfall ergeben sich nach der MDR höhere Klassifizierungen mit erweiterten Anforderungen an das Konformitätsbewertungsverfahren“, so Eckle.

Dr. Bernd Peschke, Director Regulatory Compliance bei Becton Dickinson, ging abschließend auf die Regelungen zur Marktüberwachung ein. Für die Überwachung nach dem Inverkehrbringen (Post Market Surveillance) ist der Hersteller verantwortlich. Zuständig für die Marktüberwachung (Market Surveillance) sind dagegen die Behörden. Die Marktüberwachung bleibt dabei der nationalen Souveränität der EU-Mitgliedstaaten überlassen. Elemente der deutschen Medizinprodukte-Verwaltungsvorschrift (MPG-VwV) wurden dabei in die MDR übernommen. Basierend auf den momentan veröffentlichten Texten sind keine großen Änderungen für die Hersteller in der von den Behörden durchgeführten Marktüberwachung absehbar, so Peschke. Auch derzeit finden bereits angekündigte und unangekündigte Kontrollen vor Ort beim Hersteller statt. Auch für die Marktüberwachung werde die Eudamed-Datenbank ein zentrales System sein, so Peschke. Die Behörden erstellen eine jährliche Zusammenfassung der Ergebnisse der Überwachungstätigkeit und stellen sie den anderen Behörden über Eudamed zur Verfügung. Dazu gehören auch Berichte über die Bewertung der Funktionsweise der Marktüberwachungstätigkeiten.

Hinweis an die Medien: Druckfähige Bilder zur Konferenz können unter www.bvmed.de/bildergalerien heruntergeladen werden.
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