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BVMed-Konferenz zur Innovationseinführung bei Medizintechnologien: "Innovationsfonds ist der richtige Weg"

Um medizintechnische Innovationen schneller in der Patientenversorgung einzuführen, müssen neue Wege gegangen werden. Dazu gehören die Einführung eines "Innovationsfonds", intelligente Versorgungsverträge mit den Krankenkassen sowie Qualitätsmerkmale in der Erstattung von Leistungen. Das sagten die Experten der BVMed-Konferenz "Umdenken: Neue Techniken - neue Erlöse im Krankenhaus" am 23. Mai 2013 in Wiesbaden. "Der Ansatz, aus dem 'Gesundheitsfonds' einen 'Innovationsfonds' abzuspalten, erscheint mir als der richtige Weg", sagte Dr. Tobias Schilling von der Medizinischen Hochschule Hannover. Diskutiert wurde auch der Ansatz von Thom Rasche von Earlybird, für bestimmte Innovationen Privatzahler-Lösungen vorzusehen. Rasche richtete zudem einen Appell an die Krankenkassen: "Die Kassen müssen sich im Wettbewerb künftig auch darüber differenzieren, dass sie Innovationen gestalten und ihren Versicherten anbieten."

BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Joachim M. Schmitt verwies darauf, dass im Krankenhausbereich noch immer innovationsfreundliche Rahmenbedingungen bestehen. Insgesamt sei der Weg in die Erstattung im ambulanten Bereich aber zu lang. Prof. Dr. Friedrich Hagenmüller von der Asklepios Klinik Hamburg-Altona machte das am Beispiel der Kapselendoskopie zur Dünndarmuntersuchung deutlich. Das moderne Verfahren wurde 2001 eingeführt und wird seit 2007 im Krankenhaus-DRG-System adäquat erstattet. Die ambulante Methode habe aber bis heute noch keine flächendeckende Erstattung im niedergelassenen Bereich. "Die Wege sind zu lang, die Prozesse müssen verbessert werden", so Hagenmüller. Zudem werde die Zusammenarbeit zwischen Ärzteschaft und Medizintechnik durch die Compliance-Diskussion und die Kompetenz-Konkurrenz mit den Einkäufern geschwächt. Die notwendige Zusammenarbeit verschlechtere sich dadurch. Sein Appell: "Wir brauchen mehr Sinn für Langfristigkeit und müssen auch einmal in die Zukunft investieren." Moderiert wurde die BVMed-Konferenz von der Medizinjournalistin Renate Harrington.


Beispiele für gelungenes Innovationsmanagement stellte Berater Dr. Lars Langenberg von Pumacy Technologies aus Berlin vor. Er plädierte dafür, in den Innovationsprozess frühzeitig Praktiker einzubeziehen und einen standardisierten Prozess zu hinterlegen. Denn: Forscher sind nicht immer die besten Manager. "Das Thema Innovationen sollte von Anfang an auf mehrere Schultern verteilt werden." Für Krankenhäuser seien Innovationsnetzwerke sinnvoll, um Innovationen gemeinsam umzusetzen und davon zu profitieren. Ein Beispiel aus den USA sei das Bostoner Forschungsnetzwerk CIMIT, in dem 300 multidisziplinäre Spezialistenteams aus 12 weltweit führenden Instituten und über 60 Industriepartnern zusammenarbeiten. Das Netzwerk wertet Forschungsansätze aus, initiiert Wettbewerbe und wählte bereits 155 Forschungsskizzen aus, die sich für Zuschüsse bewerben können. Daraus ergaben sich unter anderem 200 Publikationen und 30 Patente. Ein Beispiel aus Europa ist das "KASK Innovation Network" mit Krankenhäusern aus drei Ländern. Der Fokus liegt auf Kosteneinsparungen und Verbesserungen in der Servicequalität durch die Gründung einer "zentralen Einheit für Innovationsexzellenz". Langenbergs Fazit: "Sinnvoll sind interne Wettbewerbe zur besseren Auswahl erfolgsversprechender Ideen, die Einbeziehung weiterer Akteure, die ihre Erfahrungen und Sichtweise frühzeitig einbringen können, und eine effiziente Zusammenarbeit über Kollaborations-Plattformen im Internet, die neue Ertragsmodelle ermöglichen."

Innovationsbeispiele aus einem spanischen Krankenhaus stellte Jorge Juan Fernandez Garcia vor. Er ist Director "E-Health & Health 2.0" im Hospital Sant Joan de Deu in Barcelona, dem größten Kinderkrankenhaus in Spanien. Das Motto lautet "Open Innovation - You can't innovate alone". Innovationen seien ein Prozess, der nur gemeinsam gestaltet werden könne. Deshalb habe das Krankenhaus die Initiative "Liquid Hospital" gestartet. In einer Konferenz wurden innovative Ideen aus anderen Bereichen und Industrien gesammelt, die im Krankenhaus umgesetzt werden können. Daraus ist ein Innovationsportal entstanden, in dem Ideen gesammelt, bewertet und diskutiert werden. Das Portal hat offene und geschlossene Bereiche. Ein Innovationsbeispiel ist ein neuartiger Helm, der modern und spielerisch die Maße eines Kinderkopfes vermisst und erfasst - über Kameras und Laser. Ein weiteres Beispiel ist eine App zur schnellen Ermittlung, ob ein Lebensmittel bei festgestellten Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten kompatibel ist.

Prof. Dr. Friedrich Hagenmüller, Chefarzt im Asklepios Klinikum Altona, berichtete über Hemmnisse bei der Einführung von medizintechnischen Innovationen am Beispiel der Dünndarm-Kapsel. Es handelt sich dabei um eine neue und schonende Methode zur Dünndarmdiagnostik, "eine radikale technische Innovation", so Hagenmüller. Ziel ist es, den Dünndarm für die Endoskopie zu gewinnen, da damit die Strahlenbelastung vermieden werden kann und der Eingriff nicht invasiv ist. Der Patient schluckt auf nüchternen Magen die Kapsel, die zwei Videokameras enthält. Die aufgenommenen Bilder werden auf einen Computer übertragen und als Film für die Auswertung sichtbar gemacht. Eine spezielle Software erleichtert die Suche nach Blutungsquellen oder rötlichen, entzündlichen Schleimhautschäden. Die Einführung in der Klinik in Altona ging dabei nur über eine Mischkalkulation, da die neue Methode zu Beginn noch nicht erstattet wurde, aber aus Kliniksicht langfristig Patienten mit Dünndarmerkrankungen anzieht. "Die Klinik kann sich so als Dünndarmzentrum etablieren und profitiert davon bis heute. Sie wertet auch Kapselfilme für kleinere Krankenhäuser aus. Zusätzlich bemüht sich das Krankenhaus um die Überlegenheitsevidenz", so Hagenmüller. Das Problem sei, dass der kaufmännische Geschäftsführer zunächst überzeugt werden müsse, erst einmal zu investieren.

"Die Innovationseinführung dauert in Deutschland gerade im ambulanten Bereich extrem lang", kritisierte Thom Rasche, Partner bei Earlybird Venture Capital. Deshalb müssten neue Wege zur Innovationseinführung gefunden werden. Beispiel Kapselendoskopie im Dünndarm: diese Technologie kann sowohl im Akutbereich als auch im ambulanten Bereich eingesetzt werden. Die Methode wurde 2001 eingeführt und hatte zunächst acht Jahre lang keine Erstattung. Erst 2009 kam ein erlösrelevantes Splittkriterium im DRG-System zustande. In Deutschland ist die Erstattung im ambulanten Bereich allerdings auch nach 12 Jahren noch nicht geregelt. Erstattung ist nur auf Einzelantrag bei der Krankenkasse möglich. Die Verhandlungen zu einem EBM-Code laufen seit 2010 noch ohne Abschluss. Rasche: "Wir müssen deshalb andere Wege in die Erstattung suchen, um vom 'Folger' zum 'Gestalter' zu werden." Beispiele seien die Privatabrechnung in der Chefarzt-Ambulanz oder die ambulanten Leistungen für Selbstzahler." Sein Plädoyer: "Um Innovationen einzuführen und klinische Daten zu generieren, brauchen wir ein Umdenken bei der Markteinführung." Man müsse mehr darüber nachdenken, wo Privatzahler-Modelle möglich und ethisch vertretbar seien.

Ungehobene Potenziale in der Gesundheitsversorgung beleuchtete der Analyst Dr. Dirk Bartig von drg market am Beispiel der Varizenchirurgie. In Deutschland gibt es rund 5,1 Mio. Patienten mit der Diagnose Krampfadern (Varizen) der unteren Extremitäten. Davon werden rund 4 Prozent operiert. Die DRG-Fallzahlen sind dabei seit 2008 (rund 89.000) rückläufig. Die Krankenhäuser erzielen in diesem Bereich 195 Millionen Euro Erlöse. Das Problem: rund 45 Prozent der Fälle erhalten einen Abschlag. Außerdem gibt es mit 18 Prozent eine hohe Re-Operationsquote. Beide Faktoren führen für das Krankenhaus zu deutlichen Erlösschmälerungen. Es gibt zwar viele Fälle, die DRG ist aber wenig lukrativ und verbunden mit hohen Bürokratiekosten durch MDS-Beanstandungen. Innovative Verfahren der Varizenchirurgie liegen mit Laser (EVLT) und Radiofrequenzablation (ELRA) vor, haben aber nur einen Anteil von 3 Prozent. Die Rahmenbedingungen für die Innovationen würden stimmen, "hier scheint aber eher die Ärzteschaft der Bremser zu sein", so Dr. Bartig.

Warum setzen sich die Innovationen bei der Krampfaderbehandlung nicht durch? Darauf ging Berater und Erstattungsexperte Rolf F. Dübbert in seinem Vortrag ein. 2010 haben knapp 800 Krankenhäuser operative Prozeduren für die Varizenchirurgie durchgeführt. Davon haben nur 23 Kliniken mit "moderner, weiterentwickelter" Medizintechnologie behandelt: den Laser- und Radiowellen-Technologien. Der Rest sei mit dem so genannten Stripping "tradierte Medizin", so Dübbert. In den USA und den Niederlanden sei das Verhältnis umgekehrt. Warum hinkt Deutschland bei den Innovationen hinterher? Als Hauptursache bezeichnet Dübbert, dass die Laser- und Radiowellen-Anwendung nicht Gegenstand der medizinischen Ausbildung in Deutschland ist. Sie seien reine "Anlernverfahren". Außerdem gebe es für die Krankenhäuser trotz der hohen Abschläge eine "auskömmliche Vergütung" mit dem Verfahren. Es fehle an Prozesskostenrechnungen, um das Einsparpotenzial der modernen Methoden zu dokumentieren. Externe Analysen zeigen, dass pro Fall 150 bis 300 Euro durch den Wegfall der Anästhesie bei Laser und Radiowelle eingespart werden könnten. Patienten sind hier weiter als die Krankenhäuser: sie fragen verstärkt die schonendere ambulante Methode nach, um den Krankenhausaufenthalt zu vermeiden. Hinzu kommt der Druck durch die Krankenkassen, um die ambulante Versorgung zu fördern. Dazu gibt es von der Barmer GEK bereits eine bundesweite Ausschreibung - allerdings mit einer vorgesehenen Selbstbeteiligung der Patienten in Höhe von 600 Euro.

Die Finanzierung von überlebenswichtigen innovativen Therapien problematisierte Dr. Tobias Schilling, Arzt in der Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Bei aufwändigen Operationen gebe es keine Möglichkeit, den Patienten an den Mehrkosten einer neuen Methode zu beteiligen. Hier gehe es um Beträge von mehreren Tausend Euro. Schilling nannte Beispiele aus dem Herzklappenersatz oder dem chirurgischen Aortenersatz. "Manche Innovationen sind für den Patienten besser, aber deutlich teurer als der Standard - und das innerhalb einer DRG", so Schilling. Die Entscheidung "Ethik oder Ökonomie" sei für den Arzt schwer zu treffen. In Niedersachsen plane man deshalb, Landeszuschüsse für Forschung und Lehre teilweise für Innovationen einzusetzen, um moderne Therapien zu ermöglichen. Dies sei eine Art "Innovationsfonds". Schilling: "Der Ansatz, aus dem 'Gesundheitsfonds' einen 'Innovationsfonds' abzuspalten, erscheint mir als der richtige Weg."

Hinweis an die Medien: Druckfähiges Bildmaterial zur Konferenz kann unter www.bvmed.de (Bilder / Veranstaltungen) heruntergeladen werden.

Die Vorträge der Referenten finden Sie unter www.bvmed.de (Publikationen / Reden und Vorträge).


Medienkontakt:
Manfred Beeres
Leiter Kommunikation/Pressesprecher
Tel: +49 30 246 255-20
E-Mail: beeres(at)bvmed.de
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